Artikel • Prävention, Videos, KI und mehr beim RuhrSummit 2024

Digitale Perspektiven für das Gesundheitswesen

„Die Deutschen haben keine Lust auf Prävention.“ Mit dieser etwas provokanten Aussage eröffnete Oliver Neumann seinen Impulsvortrag beim RuhrSummit in der Digital Health Town. Neben dem viel beachteten Thema Prävention standen zudem die Themen künstliche Intelligenz (KI), gerechte Gesundheitsversorgung und die digitale Vor- und Nachsorge auf der Agenda in der traditionsreichen Jahrhunderthalle Bochum.

Artikel: Sonja Buske

Oliver Neumann steht beim RuhrSummit mit einem Mikrofon auf der Bühne und hält seinen Impulsvortrag
Oliver Neumann informierte über die Wichtigkeit von Präventionsmaßnahmen

Foto © Sonja Buske

Neumann legte dar, dass in Deutschland jährlich 473 Milliarden Euro für Präventionsmaßnahmen zur Verfügung stünden, jedoch nur 600 Millionen Euro genutzt würden. „Alle reden über das Thema, aber in der Bevölkerung und bei den Krankenkassen scheint es noch nicht so richtig angekommen zu sein“, wunderte sich der Geschäftsführer von CyberHealth, einer Plattform für Prävention und digitale Gesundheit. Er plädierte dafür, nicht nur darüber zu reden, wie man Krankheiten behandeln kann, sondern vielmehr intensiv darüber zu informieren, wie man sie vermeidet. 

Ein guter Punkt, an dem Start-ups ansetzen könnten. Denn wie Lars Boermann und Heiner Vogelsang von der Techniker Krankenkasse (TK) berichteten, sei gerade das Thema Früherkennung interessant, wenn es um neue Kooperationen geht. Gründer könnten ihre Ideen online über das Innovationsportal der TK einreichen. Wichtig sei, dass der Mehrwert für Versicherte stets im Fokus stehe. Neben dem großen Bereich der Früherkennung hätten auch Projekte mit dem Schwerpunkt Präzisionsmedizin, Patient Empowerment und mentale Gesundheit gute Chancen auf Erfolg, betonten die Experten.

Digitale Vor- und Nachsorge

Der mentale Aspekt spielt auch bei Bettercare eine Rolle. Geschäftsführer Jan Arbter präsentierte eine Systemlösung, die Patienten bei der Vor- und Nachsorge unterstützt, und dabei auch Ängste nehmen soll. „Viele Patienten sind vor einem Arzttermin unruhig, machen sich Gedanken über den Ablauf und haben viele Fragen. Wir verschicken daher über unser System am Vorabend der Untersuchung oder des Eingriffes eine Videobotschaft des Arztes an die Patienten, um sie zu beruhigen“, erklärte Arbter das Konzept.

Die Erfahrung zeigt, dass Patienten vieles von dem vergessen, das ihnen während des Termins erklärt wurde, da sie aufgeregt und angespannt sind. Deshalb fassen wir in einer E-Mail oder SMS noch einmal das Wichtigste zusammen

Jan Arbter

Nach der Behandlung folgt dann eine weitere Nachricht, in der noch einmal alle wichtigen Punkte zusammengefasst werden, die den Heilungsprozess unterstützen. „Die Erfahrung zeigt, dass Patienten vieles von dem vergessen, das ihnen während des Termins erklärt wurde, da sie aufgeregt und angespannt sind. Deshalb fassen wir in einer E-Mail oder SMS noch einmal das Wichtigste zusammen.“ Auch für die Praxen habe das Portal Vorteile, führte Arbter aus. Die Patientenzufriedenheit steige und dank einer interaktiven Mail sinke zudem die Zahl der Terminausfälle. „Viele Ärzte schicken vor einem Termin eine einfache Erinnerung. Wir verschicken jedoch einen Link, den die Patienten aktiv anklicken müssen, um ihren Termin zu bestätigen. Dadurch werden viel mehr Termine auch tatsächlich wahrgenommen“, wusste Arbter zu berichten. Aktuell gibt es die Systemlösung nur für Zahnärzte, doch das Unternehmen möchte auch in andere Fachbereiche expandieren.

Moritz Roloff und Sebastian Paschen sitzen beim RuhrSummit auf der Bühne und...
Moritz Roloff (links) und Sebastian Paschen setzen sich für eine gerechtere Medizin ein.

Foto © Sonja Buske

Gleichberechtigung im Gesundheitswesen? Bitte nicht!

Die Medizinstudenten Moritz Roloff und Sebastian Paschen ließen das Publikum aufhorchen, als sie sich vehement gegen Gleichberechtigung im Gesundheitswesen aussprachen. Was in anderen Bereichen immer mehr gefordert wird, sei in der Medizin ein No-Go, befanden die beiden angehenden Ärzte und untermauerten ihre Aussage sogleich mit Fakten: „Chemotherapeutika lösen bei Frauen 30% mehr Nebenwirkungen aus als bei Männern, Herzinfarkt-Symptome werden bei weiblichen Patienten häufig übersehen, und Autoimmunerkrankungen treten vermehrt bei Frauen auf“, so Roloff. Paschen ergänzte, dass auch Medikamente bei Männern und Frauen unterschiedlich wirken und für die meisten Normwerte ein junger, männlicher, weißer Mann als Vorbild genommen wurde. „Alle Patienten gleich zu behandeln ist einfach fatal“, so Paschen.

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Artikel • Gendermedizin

„Frauen müssen stärker in Studien und Leitlinien einbezogen werden“

Frauen und Männer sind unterschiedlich. Kaum jemand wird diese Aussage anzweifeln, dennoch spielt das Geschlecht in der Medizin eine untergeordnete Rolle. Weder in der Forschung noch in der Prävention noch in der Therapie wird dieser Unterschied angemessen berücksichtigt. „Das ist nicht länger akzeptabel“, findet Prof. Dr. Vera Regitz-Zagrosek.

Beide merkten an, dass im Medizinstudium oder auch in der Ausbildung zur Pflegekraft oder zum Therapeuten diese Themen keine Rolle spielen, genauso wenig wie die Behandlung von queeren Menschen. „Viele fühlen sich diskriminiert oder nicht ernst genommen und gehen daher gar nicht erst zum Arzt“, stellte Roloff fest. Ein großes Problem sehen die beiden auch bei einigen Medizinprodukten. So seien zum Beispiel Sauerstoffclips auf weiße Haut geeicht, weshalb sie bei andersfarbiger Haut falsche Werte anzeigen würden. Um Medizin gerechter zu machen, haben sie daher die Akademie für Diversitäts- und Individualmedizin gegründet.

Kira Dammann und Ify Azike stehen beim RuhrSummit auf der Bühne und halten...
Kira Dammann (links) und Ify Azike klären über den verantwortungsvollen Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) auf.

Foto © Sonja Buske

Verantwortungsvolle Nutzung von KI

Die wenigsten Schulen informieren über KI. Schüler müssen jedoch frühzeitig lernen, diese verantwortungsvoll zu nutzen, damit sie für den Arbeitsmarkt und die globalen Herausforderungen ausreichend vorbereitet sind

Kira Dammann

Die meisten Redner in der Digital Health Town waren der Meinung, dass künstliche Intelligenz (KI) die Medizin in vielen Bereichen voranbringen kann. Dem stimmten auch Kira Dammann und Ify Azike bei, doch sie riefen auch dazu auf, die Möglichkeiten, Grenzen und sozialen Auswirkungen von KI zu verstehen, um fundierte Entscheidungen treffen zu können. Die beiden jungen Frauen aus Hamburg und Münster haben mit Aelai ein Unternehmen gegründet, das in Bildungseinrichtungen und Firmen Aufklärungsarbeit über KI leistet. „Die wenigsten Schulen informieren über KI. Schüler müssen jedoch frühzeitig lernen, diese verantwortungsvoll zu nutzen, damit sie für den Arbeitsmarkt und die globalen Herausforderungen ausreichend vorbereitet sind“, erklärte Dammann. 

Laut Azike sei das Bild von künstlicher Intelligenz bei mehr als 70% aller Deutschen neutral oder negativ geprägt. In ihren Workshops möchten die beiden daher Ängste vor KI nehmen und Unternehmen dabei helfen, diese Technologien effektiv zu integrieren und zu nutzen. Azike: „Wir müssen das KI-Potenzial voll ausschöpfen, insbesondere in der Gesundheitsbranche.“

08.07.2024

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