Artikel • Abdomen
Verwirrende Zeichen
Die Fortschritte in der Strahlen- und Chemotherapie sind immens, können aber – auch radiologisch erkennbare – Nebenwirkungen nicht ausschließen. Die Unterscheidung von therapie- und tumorassoziierten Veränderungen im Abdomen stellt selbst erfahrene Radiologen vor eine Herausforderung.
Prof. Dr. Andreas Schreyer, leitender Oberarzt und stellvertretender Institutsdirektor Radiologie am Universitätsklinikum Regensburg, fasst die wichtigsten Zweifelsfälle zusammen und plädiert für eine einfache wie effektive Hilfestellung: mehr miteinander sprechen.
Worin bestehen die Schwierigkeiten in der Diagnostik?
Es gibt viele neue, faszinierende und extrem effiziente, kombinierte chemotherapeutische Verfahren und Bestrahlungsschemata in der onkologischen Therapie – selbstverständlich in Zusammenarbeit mit der Chirurgie. Jedoch ziehen Strahlen- und Chemotherapie einige spezifische Nebenwirkungen nach sich, die radiologisch ähnlich aussehen können wie Rezidive oder Veränderungen durch den Tumor.
Für die Überleitung an den klinisch onkologischen Kollegen und die weitere Therapie ist es wichtig zu erkennen, ob es sich um eine therapie- oder tumorassoziierte Veränderung handelt. Diese können sich sehr, sehr ähnlich sehen. Die Herausforderung für die Radiologie ist, die Veränderungen sicher zu differenzieren und nicht in Panik zu geraten, wenn man welche feststellt. Beispielsweise stellt sich eine fokale Leberverfettung in der Bildgebung ähnlich dar wie eine metastatische Veränderung.
Was sind die wichtigsten Komplikationen?
Wenn wir bei der Leber bleiben, sind es vor allem strukturelle Veränderungen, also eine globale oder auch eine geografisch eingegrenzte Verfettung der Leber. Komplikationen im Bereich der Milz können sogar bis zu Milzperforationen oder Milzblutungen reichen. Im Bereich der Pankreas sind Entzündungen, also eine Pankreatitis, als klassische Folgen möglich. Im Darm können nach der Bestrahlung oder Chemotherapie Darmwandverdickungen als unspezifisches Zeichen radiologisch in Erscheinung treten, die dann leicht mit einer Kolitis, also einer Entzündung des Dick- oder Dünndarms, verwechselt werden. Das sind die wichtigsten Komplikationen. Erwähnen sollte man auch noch die Pfortaderthrombose, bei der sich ein Thrombus in der Pfortader der Leber gebildet hat, und auch den venösen Verschluss der Leber bei verschiedenen Chemotherapien.
Für Nichtradiologen ist es geradezu unmöglich zu erkennen, ob es sich um eine therapie- oder tumorassoziierte Veränderung handelt, und selbst für den Radiologen können sich verwirrende Bilder ergeben. Es ist entscheidend, diese Veränderungen als Teil der Therapie und nicht als Tumorprogress zu identifizieren. Gravierende Fehldiagnosen oder zumindest Verunsicherungen können entstehen, wenn der Radiologe diese speziellen Therapeutika und ihre Nebenwirkungen nicht kennt. Beispielsweise würde man die Thrombose in der Pfortader mit dem Progress eines Lebertumors in Verbindung bringen.
Wie sollte in Zweifelsfällen verfahren werden?
Ich plädoyiere dafür, von Besprechungen Gebrauch zu machen und sie nicht als eine lästige Angelegenheit abzutun.
Prof. Dr. Andreas Schreyer
Das Schlagwort hierzu ist die „sprechende Radiologie“, ein besonderes Anliegen von mir, dem ich derzeit auch wissenschaftlich nachgehe. Es ist unglaublich wichtig, dass wir als Radiologen nicht autistisch in unserem Kämmerchen sitzen und lediglich die Befunde herausgeben, sondern dass wir unsere klinisch-onkologischen Kollegen bereits bei der Befunderstellung mit ins Boot holen. Bei uns im Haus ist das in der Tat üblich. Es gibt derart spezielle Nebenwirkungen oder Situationen etwa bei einem kompliziert voroperierten, onkologischen Patienten, dass wir gemeinsam mit unseren Kollegen am Monitor den Fall beraten.
In einer aktuellen Studie, die gerade zur Publikation eingereicht wurde, haben wir herausgefunden, dass bei rund einem Drittel der Patienten eine Änderung der Diagnose oder der Therapie vorgenommen wird, wenn die sprechende Radiologie Anwendung findet. Es ist beachtlich, dass klassische Konferenzen, wie sie in der radiologisch-klinischen Welt üblich sind, diese gravierende Anzahl von über 30 Prozent erzielen können. Ich plädoyiere deshalb dafür, von Besprechungen Gebrauch zu machen und sie nicht als eine lästige Angelegenheit abzutun. Insbesondere in einem schwierigen Bereich wie den therapieassoziierten Veränderungen ist die gemeinsame Abklärung auf jeden Fall anzuraten.
Profil:
Prof. Dr. Andreas Schreyer ist seit 2010 stellvertretender Institutsdirektor des Instituts für Röntgendiagnostik in Regensburg. Nach seinem Studium der Humanmedizin an der Universität Erlangen-Nürnberg führte ihn der Weg von 1997 bis 1999 als MRI Research Fellow an die renommierte Harvard Medical School in Boston. Nach seiner Rückkehr wurde er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Röntgendiagnostik des Universitätsklinikums Regensburg. 2007 habilitierte er sich in der Radiologie mit dem Thema „Moderne MRT-Bildgebung des Gastrointestinaltraktes“. Schreyer ist darüber hinaus Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Abdominal- und GI-Diagnostik der Deutschen Röntgengesellschaft (DRG) und Mitglied der Zertifizierungskommission der deutschen Darmkrebs- und Pankreaszentren.
30.10.2015