Illustration der Nieren auf schwarzem Hintergrund. Die linke Niere ist blau,...

© Nitiphol – stock.adobe.com

Interview • Forderung nach mehr Wachsamkeit und politischer Unterstützung

Chronische Nierenkrankheit: Frauen erhalten schlechtere Versorgung

Interview: Sonja Buske

Zwei aktuelle Studien aus Schweden1 und Kanada2 kommen zu dem alarmierenden Ergebnis, dass Frauen mit einer chronischen Nierenkrankheit (CKD) eine schlechtere Versorgung erhalten als Männer. Woran das liegt und wie man dem entgegenwirken kann, erklärt Prof. Dr. Julia Weinmann-Menke gegenüber Healthcare in Europe in einem Gespräch im Vorfeld der 16. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN)3.

HiE: Die Studien zeigen ein deutliches Defizit bei der Behandlung von an CKD erkrankten Frauen im Vergleich zu Männern, und zwar sowohl bei der Diagnostik als auch bei der Betreuung und der medikamentösen Therapie. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Portraitfoto von Prof. Julia Weinmann-Menke
Prof. Dr. Julia Weinmann-Menke

© DGfN

Weinmann-Menke: „Diese Frage ist leider schwer und auch nur unbefriedigend zu beantworten. Fest steht, dass bei Frauen seltener nach einer CKD gesucht wird. Das könnte daran liegen, dass Frauen regelmäßiger zum Arzt gehen und Vorsorgeuntersuchungen gewissenhafter wahrnehmen als Männer, weshalb viele Mediziner daher davon ausgehen, dass eine schwerwiegende Erkrankung bereits erkannt worden wäre. 

Häufig werden bei Frauen auch eher psychische oder psychosomatische Ursachen als Grund ihrer Beschwerden vermutet, so dass der Verdacht seltener auf eine CKD fällt. Insgesamt gibt es keinen objektivierbaren Grund, warum Frauen weniger Diagnostik, Monitoring und Therapie erhalten, sodass dies in weiteren Studien untersucht werden sollte und auch alle eventuell vorliegenden Einflussfaktoren einbezogen werden müssen.“

Welche Risikofakten gibt es für CKD, und sind diese bei Frauen anders als bei Männern?

„Die größten Risikofaktoren sind Diabetes mellitus Typ 2, arterielle Hypertonie, Adipositas, geringe sportliche Aktivität, ungesunde Ernährung, Fettstoffwechselstörungen und Rauchen – also alles typische Risikofaktoren, die auch zu Herzerkrankungen führen. Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt es hierbei durchaus, jedoch sind diese häufig multifaktoriell und individuell, so dass man keine direkten Rückschlüsse aufgrund dieser Risikofaktoren auf geschlechtsspezifische Unterschiede der CKD ziehen kann.“

Wie sieht die adäquate Behandlung bei CKD aus?

„Vor der Behandlung steht die Diagnose: Hier ist es wichtig, neben der Kreatinin-Bestimmung im Serum die Albumin-Ausscheidung im Urin (so genannte Albuminurie) zu bestimmen. Nach Diagnose einer CKD sollten Bluthochdruck, Diabetes, Übergewicht und Fettstoffwechselstörung ausgeschlossen oder, falls vorhanden, behandelt werden. Zudem sollte der Patient auf einen gesunden Lebensstil (Ernährung, körperliche Aktivität, Verzicht auf Nikotin) hingewiesen werden. 

Das Bewusstsein für die Unterschiede zwischen Männern und Frauen bei CKD muss gestärkt werden, und zwar sowohl bei den behandelnden Ärzten als auch in der Bevölkerung

Julia Weinmann-Menke

Medikamentös sollte eine CKD aus einer Kombination mit einer RAS-Inhibition (die sogenannten ACE-Hemmer oder AT-1 Antagonisten) und einem SGLT-2 Inhibitor behandelt werden. Dies kann die Progression der CKD bedeutend verlangsamen. Diese Kombination ist seit wenigen Jahren neu und wird voraussichtlich dazu führen, dass Dialysen später oder gar nicht mehr notwendig werden. Bei Vorliegen eines Diabetes mellitus Typ 2 hat man weitere neue Therapieoptionen, nämlich die nicht-steroidalen Mineralkortikoidrezeptorblocker und die GLP-1 Analoga.“

Welche Konsequenzen hat eine verspätete Diagnose und somit auch Behandlung von CKD?

„Wird die Diagnose verspätet gestellt, muss sehr viel schneller mit der Dialyse begonnen werden und es treten Komorbiditäten auf, insbesondere Herz-Kreislauf-Erkrankungen.“

Wie können geschlechtsspezifische Unterschiede in der CKD-Versorgung zukünftig vermieden werden?

„Wir brauchen mehr Wachsamkeit. Jeder Patient sollte auf das Vorliegen einer CKD gescreent werden, zum Beispiel beim Hausarzt oder in speziellen Screening-Zentren, die etabliert werden sollten, um die Hausärzte zu entlasten. Das Screening müsste dafür als Regelleistung in die Check-up-Untersuchungen aufgenommen werden. 

Schulungen über leitliniengerechte Therapien wären zudem wichtig, um für das Thema zu sensibilisieren. Hilfreich könnte auch eine Praxissoftware sein, die bei bestimmten auffälligen Labor-Parametern direkt eine CKD-Diagnostik vorschlägt.“

Was wünschen Sie sich für die Zukunft hinsichtlich der Behandlung von Frauen mit CKD?

„Das Bewusstsein für die Unterschiede zwischen Männern und Frauen bei CKD muss gestärkt werden, und zwar sowohl bei den behandelnden Ärzten als auch in der Bevölkerung. Dafür benötigen wir auch politische Unterstützung, ähnlich wie es gerade bei den Bestrebungen zum „Gesundes-Herz-Gesetz“ der Fall ist.“ 


Profil: 

Prof. Dr. Julia Weinmann-Menke ist Leiterin der Klinik für Nephrologie, Rheumatologie und Nierentransplantation (NTX) sowie der SLE-Ambulanz am Universitätsklinikum Mainz. Sie ist zudem die Direktorin des Gutenberg Nachwuchs Kolleg (GNK) der Johannes Gutenberg-Universität und seit 2020 Vorsitzende der Kommission Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie (DGfN). 2022 erhielt sie den Franz-Volhard-Preis der DGfN. 


Quellen:

  1. Swartling O, Yang Y, Clase CM et al. (2022) Sex differences in the recognition, monitoring, and management of CKD in health care: an observational cohort study. Journal of the American Society of Nephrology 33:1903-1914 
  2. Bello AK, Ronksley PE, Tangri N et al. (2019) Quality of chronic kidney disease management in Canadian primary care. JAMA network open 2:e1910704-e1910704 
  3. 16. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie e. V. (DGfN); Motto: „Neue Nephrologie“, 26.-29. September 2024 im ECC Berlin

24.09.2024

Verwandte Artikel

Photo

News • Neues zu Diagnostik und Therapie

Nierenzellkarzinom: S3-Leitlinie erhält Update

Mit seiner jüngsten Überarbeitung hat die S3-Leitlinie zum Nierenzellkarzinom wesentliche Zusätze erhalten - unter anderem gibt es erstmals ein Kapitel zu Diagnostik und Therapie des…

Photo

News • Ungleichheiten in der Versorgung

Herzinfarkt: Junge Frauen oft rehospitalisiert

Eine neue Studie aus Kanada zeigt: Die Versorgung von jüngeren Herzinfarkt-Überlebenden ist zwar gut, es gibt aber immer noch Ungleichheiten zwischen Männern und Frauen.

Photo

News • Geschlechtsunterschiede bei der Behandlung

Akuter Herzinfarkt: Männer und Frauen werden unterschiedlich behandelt

Herz- und Gefäßkrankheiten, darunter insbesondere der akute Myokardinfarkt, gehören sowohl bei Frauen als auch bei Männern zu den häufigsten Todesursachen in Industrienationen. Bei Verlauf und…

Verwandte Produkte

Newsletter abonnieren