News • Hinweis auf Gefäßveränderungen

Pulssynchroner Tinnitus: Symptome, Risiken, moderne Therapien

Für viele Menschen ist Tinnitus ein störendes, aber häufig harmloses Ohrgeräusch. Doch nicht immer ist das „Pfeifen im Ohr“ bloß ein akustisches Phantom.

Illustration eines Gehörgangs mit Tinnitus. Die untere Bildhältfe zeigt eine Angiografie mit verengten Gefäßen
In diesem Fall wurde der pulsatile Tinnitus durch eine Engstelle im rechten Sinus transversus, einem großen venösen Gefäß im Schädelinneren, bedingt

© Universitätsmedizin Magdeburg / Dr. Roland Schwab 

Eine besondere Form, der pulssynchrone Tinnitus, kann auf ernsthafte Gefäßveränderungen hinweisen – und ist in vielen Fällen kausal behandelbar – mit guten Erfolgsaussichten. Die Deutsche Gesellschaft für Neuroradiologie (DGNR) klärt auf über Symptome, Risiken und moderne Therapiemöglichkeiten. 

Während der klassische Tinnitus meist beidseitig und konstant auftritt, ist der pulssynchrone Tinnitus typischerweise einseitig – und folgt dem eigenen Herzschlag. „Das Ohr wird zum Resonanzraum des Blutflusses“, erklärt PD Dr. Fabian Flottmann, Neuroradiologe am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Ursache sind oft Veränderungen der Blutgefäße in Kopf oder Hals, zum Beispiel Fisteln, Gefäß-Engstellen oder Missbildungen. Einige dieser Veränderungen können gefährlich werden, etwa wenn sie den Blutabfluss aus dem Gehirn behindern. 

Der pulssynchrone Tinnitus ist als Symptom seit Langem bekannt, wurde jedoch in der Vergangenheit eher Fachbereichen wie der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde oder der Neurologie zugeordnet. Durch die Fortschritte in der Bildgebung und minimalinvasiven Therapieverfahren rückt die Neuroradiologie zunehmend in eine Schlüsselrolle. „Uns eröffnen sich hier ganz neue Aufgaben – sowohl diagnostisch als auch therapeutisch“, so Flottmann.

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MRT vor Intervention – Pathologisches Flusssignal im Bereich der Occipitalkondyle links

© UKE Hamburg-Eppendorf/PD Dr. Fabian Flottmann

„Patienten sollten besonders wachsam sein, wenn das Ohrgeräusch sich verändert, Kopfschmerzen auftreten oder sogar neurologische Ausfälle wie Sehstörungen oder Schwindel dazukommen“, warnt Flottmann. Denn: Anders als beim klassischen Tinnitus lassen sich die Ursachen des pulssynchronen Tinnitus oft bildgebend nachweisen – und sogar gezielt behandeln. 

Bei der neuroradiologischen Diagnostik kommen moderne Bildgebungsverfahren wie Kontrastmittel-MRT, zeitaufgelöste MR-Angiografie und gegebenenfalls CT oder Katheterangiografie zum Einsatz. So lassen sich Gefäßveränderungen präzise lokalisieren. „Die Zeitauflösung ist häufig entscheidend: Nur so erkennen wir, wie sich das Blut durch die Gefäße bewegt und ob es zu Kurzschlüssen kommt“, so Flottmann. 

Die Therapie erfolgt meist minimalinvasiv über die Pulsader oder die Leistenarterie. Fisteln lassen sich beispielsweise mit sogenannten Embolisationen behandeln, bei denen mit Platinspiralen oder Gewebekleber der „Kurzschluss“ zwischen Arterie und Vene verschlossen wird. Engstellen in venösen Abflusswegen können durch Stents erweitert werden. „Wenn wir die Ursache identifizieren, bestehen sehr gute Heilungschancen“, betont Flottmann. 

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MRT nach Intervention: Kein pathologisches Flusssignal mehr und das Ohrgeräusch ist verstummt

© UKE Hamburg-Eppendorf/ PD Dr. Fabian Flottmann 

Schätzungsweise etwa 5% der Patienten mit starkem Tinnitus leiden unter einem pulssynchronen Tinnitus – eine relevante Zahl Betroffener. „In der Neuroradiologie sehen wir ein wachsendes Aufgabenfeld. Diagnose und Therapie vaskulärer Ursachen für Tinnitus werden künftig eine größere Rolle spielen“, prognostiziert Flottmann. 

Pulssynchroner Tinnitus ist ein Paradebeispiel für interdisziplinäre Medizin: Die Zusammenarbeit zwischen HNO-Heilkunde, Neurologie und Neuroradiologie ist entscheidend für eine erfolgreiche Diagnose und Therapie. Am UKE, so Flottmann, finden bereits regelmäßige Fachvorträge für HNO-Ärzte statt, auch der Austausch mit niedergelassenen Kollegen wird aktiv gesucht. 

Prof. Dr. Peter Schramm, Präsident der DGNR und Neuroradiologe am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, erklärt: „Minimalinvasive Verfahren – sowohl gefäßöffnende als auch gefäßverschließende Eingriffe – sind ein wesentlicher Bestandteil der modernen Neuroradiologie. Die Behandlung von Fisteln und Engstellen in den Hirngefäßen ist Bestandteil eines Zertifizierungsprogramms, das unsere Fachgesellschaft gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Interventionelle Radiologie und minimalinvasiver Therapie (DeGIR) entwickelt hat. Das Programm stellt sicher, dass solche interventionellen Eingriffe auf hohem Qualitätsniveau flächendeckend verfügbar gemacht werden.“ 

Zahlreiche Zentren in Deutschland bieten bereits gezielte Therapien bei gefäßbedingtem Tinnitus an. Die DGNR fördert die interdisziplinäre Aufklärung und betont: Pulssynchroner Tinnitus darf nicht unterschätzt werden, sondern eröffnet die Möglichkeit einer kausalen Behandlung. Eine aktuelle Übersicht neuroradiologischer Kliniken finden Betroffene auf der Internetseite der DGNR


Quelle: Deutsche Gesellschaft für Neuroradiologie 

29.07.2025

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