Interview • Mikrobiologie & Hygiene
„Nosokomiale Infektionen sind ein Problem, multiresistente Bakterien ein anderes“
Angesichts des stetigen Anstiegs von multiresistenten Erregern hat die Weltgesundheitsorganisation WHO die zunehmenden Antibiotika-Resistenzen bei ansteckenden Krankheiten als eine der derzeit größten Gesundheitsbedrohungen eingestuft. Insbesondere in Krankenhäusern sind sie ein anwachsendes Problem.
Interview: Sascha Keutel
Quelle: National Institute of Allergy and Infectious Diseases (NIAID)
Im Gespräch berichtet Professor Dr. Georg Häcker, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie (DGHM) und Leiter des Instituts für Mikrobiologie und Hygiene am Universitätsklinikum Freiburg, über die Prävention nosokomialer Infektionen sowie Strategien gegen den weiteren Anstieg multiresistenter Erreger.
Welche Herausforderungen gibt es bei der Prävention nosokomialer Infektionen und wie können sie bekämpft werden?
Nosokomiale Infektionen sind zunächst alle Infektionen, die im Krankenhaus erworben werden oder auftreten. Sie entstehen z. B., wenn sich der Patient dank der eigenen bakteriellen Flora im Mund, Darm oder auf der Haut selbst infiziert. Wenn eine schwerkranke Patientin, die seit längerer Zeit im Krankenhaus therapiert wird, Bakterien aus ihrer eigenen Rachenflora in die Lunge aspiriert und eine Pneumonie bekommt, so ist auch das eine nosokomiale Infektion, die kaum zu verhindern ist.
Nosokomiale Infektionen entwickeln sich aber auch mittels Keimübertragung durch andere Patienten oder das Personal sowie aus der unbelebten Umwelt. Zwar kann der Fall, dass sich Patienten auf einer gemeinsamen Toilette gegenseitig infizieren, oder das Personal Bakterien überträgt, weitgehend verhindert werden. Doch eine vollständige Vermeidung aller nosokomialen Infektionen wird nicht möglich sein; dafür ist das Zusammenleben von Menschen und Bakterien zu intensiv.
Die Vielfalt der Infektionswege führt zu unterschiedlichen Herausforderungen und Maßnahmen. Manchmal hilft es, Keime aus der Patientenflora gezielt zu entfernen, um der Selbstinfektion zu begegnen. Personal, Besucher und Mitpatienten müssen angehalten werden, einfache hygienische Maßnahmen wie Händehygiene zu beachten. Die Patientenumgebung (Tische, Toiletten) und Geräte, die mit Patienten in Kontakt kommen, müssen nach Plänen desinfiziert oder sterilisiert werden, die auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse erstellt werden.
Die patienteneigene Flora ist möglicherweise die größte Herausforderung, da sie nur begrenzt zu beeinflussen ist und nicht beseitigen lässt. Die Umsetzung bekanntermaßen wirksamer Hygienemaßnahmen im Klinikalltag, besonders unter nicht immer optimalen Arbeitsbedingungen, ist ebenfalls eine Herausforderung. Auch ist zu beachten, dass die meisten nosokomialen Infektionen nicht durch multiresistente Bakterien verursacht werden. Beides wird in der Öffentlichkeit fälschlicherweise gerne vermischt. Nosokomiale Infektionen sind ein Problem, multiresistente Bakterien ein anderes, und die Schnittmenge beider Probleme – nosokomiale Infektionen durch multiresistente Bakterien – ist relativ klein.
Welche Fortschritte gibt es bei der Entwicklung neuer Antibiotika und neuer Wirkstoffe?
Es gibt eine Reihe verbesserter Wirkstoffe und Wirkstoffkombinationen, die gegen manche hochresistenten Bakterien wirken. Das Feld ist weit und sehr komplex. Gegen manche Bakterien gibt es neue Wirkstoffe, manchmal auch neue Wirkstoffklassen, gegen andere nicht. Dass die Antibiotikaentwicklung bei den großen Konzernen nicht die höchste Priorität hat, ist sicher richtig. Es ist aber auch nicht so, dass es überhaupt keine Aktivitäten gäbe. Auf Antibiotika, denen Bakterien hilflos ausgeliefert sind, werden wir allerdings vergeblich warten. Auch auf neue Klassen werden Bakterien mit ziemlicher Sicherheit Resistenzen entwickeln. Entscheidend ist daher, Antibiotika richtig einzusetzen und alle Elemente der Infektionsmedizin zu stärken.
Ist die Antibiotika-Therapie noch ein probates Mittel im Kampf gegen Infektionen?
Durch den medizinischen Einsatz von Penicillin und verwandten Antibiotika sind Staphylokokken resistent geworden
Georg Häcker
Die kurze Antwort ist ein klares Ja. Obwohl Bakterien gegen alle eingesetzten Wirkstoffe Resistenzen entwickelt haben, heißt das nicht, dass alle Bakterien gegen alle Antibiotika resistent sind oder werden können. Ein einfaches Beispiel ist Penicillin: Die Bakterienarten Staphylococcus aureus und Streptococcus pyogenes sind primär Penicillin-sensibel, sie müssen die Resistenzen erst erwerben. Durch den medizinischen Einsatz von Penicillin und verwandten Antibiotika sind Staphylokokken resistent geworden. Heute sind ca. 90 Prozent der Patientenisolate von Staphylococcus aureus Penicillin-resistent. Alle Streptococcus pyogenes-Isolate sind dagegen weiterhin Penicillin-sensibel.
Bakterien sind unterschiedlich und entwickeln sich folglich auch sehr unterschiedlich in Hinblick auf Resistenzen. Gegen bakterielle Infektionen ist fraglos die Antibiotikatherapie weiterhin das beste Mittel und die meisten bakteriellen Infektionen können mit Antibiotika wirksam therapiert werden. Allerdings gibt es Fälle bakterieller Infektionen, auch in Deutschland, bei denen aufgrund von Resistenzen kein Antibiotikum mehr wirkt, die jedoch weit in der Minderzahl sind. In vielen Gegenden der Erde ist die Situation weitaus schlimmer. Daher müssen wir daran arbeiten, die Ausbreitung multiresistenter Bakterien so weit wie möglich zu verhindern. Die meisten Prognosen gehen von einer Zunahme dieser kaum oder nicht therapierbaren Infektionen in der Welt, auch in Deutschland, aus.
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Im Kampf gegen resistente Keime haben sich Partner zusammengetan, die kaum weiter voneinander entfernt sein könnten – und doch eine Menge Gemeinsamkeiten haben.
Gibt es neue Ansätze gegen Antibiotikaresistenzen?
Es gibt keine Ansätze, das Problem schlagartig zu lösen, sondern solche, die uns helfen werden, das Problem besser zu verstehen, den Umfang der Problematik besser zu erkennen sowie Ideen zu entwickeln, wie medizinische Strukturen gestärkt werden müssen, um die Entstehung und Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen zu minimieren. Ein schon lange verfolgter und inzwischen mit mehr wissenschaftlicher Reife ausgestatteter Ansatz ist der Versuch, Phagen (Bakterienviren) zu nutzen, die antibiotikaresistente Bakterien infizieren und zerstören können. Es ist allerdings viel zu früh, um die Erfolgsaussichten dieses therapeutischen Ansatzes abzuschätzen.
Welche weiteren Strategien den gegen Anstieg multiresistenter Erreger gibt es und welche werden entwickelt?
Der Begriff der „multiresistenten Bakterien“ umfasst heterogene Lebewesen und wird nicht einheitlich verwendet. Die bekannteste Gruppe ist der MRSA, der in verschiedenen Ländern unterschiedliche Probleme verursacht. In Deutschland sind MRSA-Infektionen seit einigen Jahren rückläufig. Die wieder nicht einheitliche Gruppe der sogenannten gramnegativen Bakterien machen uns am meisten Sorgen, da durch sie ausgelöste Infektionen gelegentlich gar nicht mehr antibiotisch therapiert werden können. In manchen Ländern sind solche Bakterien fast ubiquitär, nach Deutschland werden sie eingeführt, teilweise aber auch durch Antibiotikagabe selektioniert.
Spezifische Strategien müssen sich differenziert an den verschiedenen Bakterien ausrichten. Und die wichtigste „Breitband“-Strategie besteht darin, die drei Säulen der Infektionsmedizin zu stärken und zu koordinieren. Infektionen müssen schnell nachgewiesen und die Antibiotikaempfindlichkeit der Bakterien muss schnell und zuverlässig bestimmt werden. Dies ist Aufgabe der Mikrobiologie. Bakterielle Infektionen müssen schnell und richtig therapiert werden. Hierfür müssen Ärzte adäquat ausgebildet sein. Die Übertragung von resistenten Bakterien zwischen Menschen, insbesondere im Krankenhaus, muss so weit wie möglich vermieden werden. Dies ist Aufgabe der Krankenhaushygiene. Durch die Kombination dieser Strategien kann der Selektionsdruck auf Bakterien reduziert und die Ausbreitung multiresistenter Bakterien deutlich eingeschränkt werden.
Müssen solche Strategien auf nationaler oder internationaler Ebene umgesetzt werden?
Jedes Land hat ein gewachsenes Gesundheitssystem, das durch internationale Bemühungen nur schwer zu beeinflussen ist. Auch ist die Resistenzsituation je nach Land sehr unterschiedlich. Nationale Strategien, die lokale Strukturen berücksichtigen, sind daher unabdingbar. Gleichzeitig ist der Wissenstransfer von höchster Bedeutung, denn nicht alle Länder haben gleich gute Strukturen, um multiresistente Keime gut zu kartieren und zu verstehen, und alle müssen versuchen, das Wissen zu nutzen, das international verfügbar ist.
Eine international koordinierte Strategie wäre sicherlich hilfreich. Deren Kernpunkte wurden auch bereits von der WHO entwickelt und stehen zur Verfügung. Global erfolgreiche Strategien benötigen jedoch neben dem langfristigen politischen Willen auch erhebliche strukturelle und finanzielle Verbesserungen in den Gesundheitssystemen ebenso wie Änderungen im Lebensstil und der Wahrnehmung der Menschen. Daran zu arbeiten ist wichtig, ohne der Illusion zu erliegen, dass internationale Strategien schnell weltweit mit großer Wirkung umgesetzt werden können.
Profil:
Prof. Dr. Georg Häcker hat Humanmedizin an der Universität Ulm studiert und dort 1991 promoviert. Er ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie (DGHM) und Leiter des Instituts für Mikrobiologie und Hygiene am Universitätsklinikum Freiburg. Die Schwerpunkte seiner Forschung sind die molekularen Mechanismen des Zelltods, der Zelltod im Immunsystem sowie die Infektionsbiologie von Chlamydia trachomatis.
24.06.2019