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Mythen und Wahrheiten über Antibiotika, Antiseptika und Impfungen

62 Prozent der Deutschen fürchten sich vor Antibiotikaresistenzen, das ergab jüngst eine Umfrage des Bundesinstituts für Risikobewertung. „Gerade auch Patienten, die mit multiresistenten Erregern besiedelt sind, leben häufig in Angst.

Quelle: Shutterstock/amenic181

Richtig ist allerdings, dass die Ausbreitung von Resistenzgenen und multiresistente Erregern (MRE) mit dem Verbrauch von Antibiotika korreliert. Je höher der Verbrauch ist, desto schneller steigen die Resistenzen

Mathias Pletz

Dabei beruhen viele Ängste auf typischen Missverständnissen,“ erklärt Prof. Mathias Pletz, Direktor des Instituts für Infektionsmedizin und Krankenhaushygiene am Universitätsklinikum Jena auf dem Kongress für Infektologie und Tropenmedizin (KIT), der vom 20.-23. Juni in Köln stattfand. Häufig würde angenommen, dass sich eine Resistenzentwicklung bei einem korrekten Einsatz von Antibiotika vermeiden ließe. „Das ist falsch, weil Resistenzentwicklung Teil der bakteriellen Evolution ist, die weder vermeidbar noch vorhersehbar ist. Wir konnten in über 30.000 Jahre alten Bakterien aus dem Permafrostboden dieselben Resistenzgene nachweisen, wie sie heute in Vancomycin-resistenten Enterokokken (VRE) vorkommen. Richtig ist allerdings, dass die Ausbreitung von Resistenzgenen und multiresistente Erregern (MRE) mit dem Verbrauch von Antibiotika korreliert. Je höher der Verbrauch ist, desto schneller steigen die Resistenzen“, erklärt der Kongresspräsident des KIT.

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Prof. Mathias Pletz ist Direktor des Instituts für Infektionsmedizin und Krankenhaushygiene am Universitätsklinikum Jena.

Ebenso falsch sei auch die Annahme, dass MRE generell aggressiver als sensible Bakterien sind. Richtig ist, dass sich MRE in der Regel langsamer als sensible Bakterien teilen. Resistenzgene bieten nur einen Vorteil in Anwesenheit von Antibiotika, ansonsten sind sie genetischer Ballast. Diese geringere biologische Fitness führt dazu, dass bei vielen MRE-kolonisierten Menschen die körpereigene Flora den MRE wieder verdrängt, wenn über längere Zeit keine Antibiotika mehr gegeben werden. Prof. Pletz: „Die höhere Sterblichkeit bei schweren MRE-Infektionen beruht meist darauf, dass die zuerst gegebenen Antibiotika nicht wirken, denn zu Beginn der Erkrankung kennt der Arzt den Erreger meist noch nicht und muss auf Verdacht behandeln, da der Nachweis meist 1-2 Tage dauert. Daher brauchen wir unbedingt eine schnellere Diagnostik.“

Das Fehlen neuer Antibiotika ist vor allem ein ökonomisch bedingtes Problem, denn ihre Entwicklung dauert ca. ein Jahrzehnt und kostet bis zu einer Milliarde US-Dollar. Damit diese Investition für die Industrie wieder rentabel wird, fordern Pletz und seine Kollegen eine Verlängerung des Patentschutzes wie in den USA. „Es gibt Anlass zu Hoffnung, denn in der aktuellen Literatur werden viele Substanzen mit antibakterieller Wirkung beschrieben, die das Potenzial für eine klinische Entwicklung haben“, klärt der Professor über ein weiteres häufiges Missverständnis auf.

Ebenso unwahr ist es, MRE als reines Krankenhaus-Problem zu beschreiben. MRSA ist in Deutschland vorrangig an die Krankenhäuser gebunden, aber seine Rate ist seit einigen Jahren rückläufig. Dafür sind andere Erreger auf dem Vormarsch wie etwa multiresistente Darmbakterien (sogenannte ESBL-Bildner), die auch über die Ernährung aufgenommen werden. Sie werden hierzulande schon 10 bis 13 Prozent der Patienten bei Aufnahme in eine Klinik nachgewiesen, in Indien sind 40 bis 60 Prozent der Allgemeinbevölkerung mit diesen Erregern besiedelt. Diese Erreger wird man nicht mit einer Antibiotikatherapie wieder los, sondern es werden im Gegenteil weitere Resistenzen generiert.

Entweder Schnelltests für Biomarker aus dem Blut, um zwischen viral und bakteriell zu unterscheiden. Oder der direkte Nachweis von Erregern per Schnelltest

Mathias Pletz

Der renommierte Infektiologe sieht drei wichtige Strategien im Kampf gegen Antibiotikaresistenzen: „Das A und O ist ein rationaler Umgang mit Antibiotika, wie er durch Antibiotic- Stewardship-Programme (ABS) in den Kliniken geprüft und eingefordert wird. Wichtig ist auch eine gute Krankenhaushygiene. Nur so kann eine MRE-Übertragung von einem auf den anderen Patienten effektiv verhindert werden. Ebenso wichtig Und nicht zuletzt sind Impfungen, v.a. die Grippe- und Pneumokokkenimpfung ein wirksames Mittel, um die Anzahl von Antibiotikaverordnungen im ambulanten Bereich zu reduzieren und damit Resistenzbildungen zu verringern.“

Das Qualitätsmanagement für Antibiotikaverordnungen, das selbst in den Häusern der Grund- und Regelversorgung inzwischen etabliert ist, hat allerdings das Problem im ambulanten Bereich nicht gelöst, wo 85 Prozent der Verordnungen vorgenommen werden – meist ohne Verfügbarkeit von Laborbefunden und Röntgenbild (www.rai-projekt.de). Um Entscheidungen für oder gegen Antibiotika hier sicherer zu machen, gibt es zwei Möglichkeiten: „Entweder Schnelltests für Biomarker aus dem Blut, um zwischen viral und bakteriell zu unterscheiden. Eine Studie aus Hannover hat gezeigt, dass man damit bis zu 60% der Antibiotikaverordnungen in der Hausarztpraxis einsparen kann. Oder der direkte Nachweis von Erregern per Schnelltest. Uns hat in diesem Winter ein Influenza-Schnellnachweis aus einem Rachenabstrich, der die Viren innerhalb von 20 Minuten in der Notaufnahme nachgewiesen hat, sehr geholfen.“ Ein Problem sei allerdings, dass viele dieser Schnelltests nicht erstattet würden.

Antiseptika nicht ohne Indikation einsetzen

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Prof. Simone Scheithauer ist Leiterin der Zentralabteilung Krankenhaushygiene und Infektologie an der Universitätsmedizin Göttingen.
Quelle: Universitätsmedizin Göttingen/Swen Pförtner

Ein fast genauso großes und weltumspannendes Problem wie die Antibiotikaresistenzen stellen im Krankenhaus erworbene Infektionen, sogenannte nosokominale Infektionen dar. Die Krankheitslast der sechs wichtigsten nosokominalen Infektionen (NI) ist doppelt so hoch wie die der 32 relevantesten übertragbaren Krankheiten. Für Europa heißt das: 2,6 Millionen Infektionen und ca. 90.000 Todesfälle pro Jahr. Infektionen infolge exogene Erreger sind dabei leichter vermeidbar als durch Patienten-eigene Keime. „In den letzten Jahren hat sich die Forschung auf Antiseptika fokussiert, weil diese die körpereigenen Bakterien reduzieren können. Da sie Mikroorganismen aber nicht selektiv abtöten, sollte ihr Einsatz plausibel und Bestandteil von hausinternen Hygieneplänen und Leitlinien sein. Ein nicht zielgerichteter Einsatz ist keineswegs risikoarm und sollte möglichst vermieden werden“; erklärt Prof. Simone Scheithauer, Kongress-Vizepräsidentin und Leiterin der Zentralabteilung Krankenhaushygiene und Infektologie an der Universitätsmedizin Göttingen.

Am Beispiel des Zentralen Venenkatheters (ZVK) zeigt sich, wo Nutzen und Grenzen des Antiseptikaeinsatzes liegen. „Für die Desinfektion der Haut an der Eintrittsstelle ist man in den letzten Jahren auf die Idee gekommen, statt einem schnellwirksamen alkoholischen Präparat oder der Kombination aus Alkohol und PVP-Jod, eine Kombination aus Alkohol und Octenidin bzw. Chlorhexidin mit remanenter Wirksamkeit zu nutzen. Mimoz et al. konnten 2015 im Lancet aufzeigen, dass die Verwendung von Chlorhexidin zu einer signifikanten Reduktion der Katheter-induzierten Sepsis führt“, schildert die Professorin. Die KRINKO empfiehlt daher den Einsatz eines solchen Kombinationspräparats.

Bei besonders vulnerablen Patienten bzw. bei einer hohen Infektionsrate befürwortet die Kommission am Robert-Koch-Institut zudem antiseptische Folienverbände bei liegendem Gefäßzugang. Prof. Scheithauer: „Wenn die lokale Antiseptikaapplikation effektiv ist, so liegt es nahe, die Substanz direkt am Ort des Risikos aufzubringen, klassischerweise in Form von imprägnierten Folienpflasterverbänden. Sogar bei niedrigen Ausgangsraten konnte so ein erhebliches Reduktionspotenzial für Gefäßkatheter assoziierte Infektionen nachgewiesen werden.“ Eine antiseptische Hautwaschung sollte nur als letztes Mittel gewählt werden. Auch diese Zusatzmaßnahme bedarf einer Indikation und einer strengen Abwägung. Denn eine zunehmende Resistenz gegenüber Antiseptika könnte diese sehr wirkungsvollen Substanzen genau für die Patienten wirkungslos machen, die am meisten davon profitieren.

Impfen ist Gemeinschafts- und Resistenzschutz

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Prof. Markus Knuf ist Chefarzt der Kinder- und Jugendklinik der Dr. Horst Schmidt Kliniken in Wiesbaden.

Die Impfprävention verfolgt – impfstoffspezifisch – verschiedene Ziele: neben der Verhinderung einer Infektionskrankheit und möglichen Folgeerkrankungen für den Einzelnen geht es auch um den Aufbau eines Gemeinschaftsschutzes, den Schutz von nicht impfbaren Patientengruppen und – wenn möglich - die Eradikation eines Erregers. Dabei kann der Impfschutz auch zwischen den Generationen wirken. „Ein typisches Beispiel für den Gemeinschaftsschutz in einer Familie ist die Impfung gegen Pneumokokken. Diese Erreger können Lungenentzündungen und Blutvergiftungen hervorrufen und kommen besonders häufig bei Säuglingen und älteren Menschen vor. Werden Säuglinge und Kinder geimpft, verschwinden die Serotypen nicht nur bei den Geimpften sondern auch im älteren, nicht geimpften Kollektiv“ schildert Prof. Markus Knuf, Chefarzt der Kinder- und Jugendklinik der Dr. Horst Schmidt Kliniken in Wiesbaden.

Auch bei der Grippe sind Kinder der Dreh- und Angelpunkt für die Übertragung. Sie erkranken relativ betrachtet häufiger als Erwachsene, weil ihr Immunsystem noch unreif und unzureichend mit „Influenza in Kontakt“ gekommen ist und Kinder daher eine hohe Zahl von Viren lange ausscheiden. Zudem begünstigen anatomische Faktoren und das Verhalten die Ausbreitung des Erregers. Eine Kontrolle der Influenza bei den Jüngsten kann daher auch zu weniger grippekranken Erwachsenen führen. Allerdings gibt es nicht sehr stark wirksame Grippeimpfstoffe für junge Kinder.

Andersherum können geimpfte Erwachsene Säuglinge vor Keuchhusten in einem Stadium schützen, in dem diese noch nicht impffähig sind. Jedoch hält der Impfschutz nur für sechs bis acht Jahre an. Die Inzidenz bei Pertussis hat sich inzwischen auf Jugendliche und Jugendliche hin verlagert. Hier wird der Keuchhusten oftmals als „chronische Bronchitis“ verkannt und es kommt immer häufiger vor, dass Jugendliche nicht immunisierte Säuglinge anstecken. Bei Kleinstkindern ist der Verlauf mit Atemaussetzern viel schwerwiegender und kann zum Tode führen.

Varizellen gelten unter dem Namen Windpocken als harmlose Kinderkrankheit. Vor Einführung der Varizellenimpfung betrafen Windpocken tatsächlich vor allem Kinder. Etwa 5 Prozent der Infektionen verlaufen kompliziert, das bedeutet geschätzt etwa 35.000 Fälle pro Jahr in Deutschland. Herpes Zoster kann durch die Reaktivierung der Varizellen durchaus als Folgeerkrankung verstanden werden. „Etwa die Hälfte der Patienten mit Windpocken bekommen auch eine Gürtelrose. Insofern verfolgt die Varizellen-Impfung nicht nur das Ziel, Varizellen-Komplikationen zu vermindern, sondern auch Einfluss auf die Herpes-Zoster-Inzidenz zu nehmen. Erwachsene können mit einem speziellen Herpes Zoster-Impfstoff gegen die Reaktivierung geschützt werden. Ein seit etwa zehn Jahren verfügbarer Impfstoff erwies sich als nicht ausreichend immunogen. Eine neuartige Formulierung mit einem Adjuvanzsystem verspricht deutlich bessere Ergebnisse,“ so Prof. Knuf.


Profil:

Prof. Dr. Mathias Pletz ist Facharzt für Innere Medizin und Pneumologie und verfügt über die Zusatzbezeichnungen Infektologie und Krankenhaushygiene. Nach dem Studium in Leipzig forschte er zwei Jahre lang an der Rollins School of Public Healthe der Emroy Universität und an den Centers for Disease Control an Prevention in Atlanta, USA. 2008 erfolgte die Habilitation, und 2011 die Berufung auf eine W2-Professur für Klinische Infektologie an der Friedrich-Schiller-Universität zu Jena.

Prof. Dr. Simone Scheithauer ist seit 2014 Leiterin der Zentralabteilung Krankenhaushygiene und Infektologie an der Universitätsmedizin Göttingen. Zuvor war sie als Beraterin für Hygiene, Umweltmedizin und später auch Infektionskrankheiten tätig. Vor Kurzem wurde ihr eine W3-Professur an der Universitätsmedizin Göttingen angeboten.

Univ.-Prof. Dr. Markus Knuf studierte Humanmedizin in Münster und Mainz. Von 1992 bis 1997 erfolgte an der Uniklinik Mainz die Ausbildung zum Arzt für Kinder- und Jugendmedizin mit den Schwerpunkten Infektologie, pädiatrische Immunologie und Neuropädiatrie. Von 2001 bis 2009 war Knuf Oberarzt am Zentrum in Mainz und seit 2009 leitet er die Klinik für Kinder-  und Jugendmedizin in Wiesbaden. Im August 2009 wurde Prof. Knuf auf die Universitätsprofessur „Pädiatrische Infektologie und interdisziplinäre Kinderintensivmedizin“ der Uni Mainz berufen.

10.07.2018

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