Artikel • Infektionsbekämpfung
MRE: „Wir sitzen auf einer tickenden Zeitbombe“
Multiresistente Erreger (MRE) sind auf dem Vormarsch und beschäftigen weltweit die Infektionsmediziner. Ein Infektiologe vom Universitätsklinikum Leipzig ist den gefährlichen Keimen in Indien auf die Spur gekommen.
Bericht: Katrin Schreiter
Privatdozent Dr. Christoph Lübbert, Infektiologe am Universitätsklinikum Leipzig warnt vor einer weltweiten Gefahr, die durch multiresistente Erreger („Keime“) entstanden ist. Dabei ist das Problem nicht neu. Der Mediziner erinnert an einen Fall in Leipzig, der in den Jahren 2010 bis 2013 nicht nur die Ärzteschaft in Alarmbereitschaft versetzt hat. Damals hatte sich im Universitätsklinikum der bislang größte in Deutschland bekannt gewordene KPC-Ausbruch (Klebsiella pneumoniae mit Carbapenemasebildung) ereignet.
Eine fatale Ereigniskette
Die Situation hatte sich im Anschluss an die stationäre Übernahme eines 66-jährigen Patienten zugespitzt, der von einem Krankenhaus auf Rhodos (Griechenland) in das Universitätsklinikum Leipzig verlegt worden war. Der Patient war zunächst beatmungspflichtig auf die internistische Intensivstation übernommen worden. Nach Verlegung des Mannes auf eine Normalstation – zu einem Zeitpunkt, als die genaue mikrobiologische Typisierung des aus Griechenland mitgebrachten Erregers noch nicht bekannt war – kam ein fatales Ausbruchsgeschehen in Gang. Nach und nach infizierten sich in den folgenden Monaten überwiegend Patienten der interdisziplinären operativen Intensivstation.
Wiederkehrende „Keim“-Übertragungen von Patient zu Patient – wahrscheinlich über die Hände des medizinischen Personals und verstärkt durch kontaminierte Oberflächen – gelten als wahrscheinlichste Ursache für den langen Ausbruchsverlauf, der erst durch das entschiedene Eintreten einer internen Task Force gestoppt werden konnte. Und auch die gängigen Antibiotika schlugen nicht wie gewünscht an, wenn es zu Infektionen kam – die wirksamsten Waffen im Kampf gegen diese Erreger hatten ihre Wirkung weitgehend verloren. Von den gut 100 betroffenen, in der Regel schwerstkranken Patienten sind schließlich 42 verstorben, darunter sieben ziemlich eindeutig an den Folgen einer KPC-Infektion.
„Damals haben wir gesehen, was passieren kann, wenn plötzlich bestimmte Antibiotika nicht mehr wirken, und wir haben gelernt, wie entschieden man darauf reagieren muss“, erzählt Christoph Lübbert, der das Uniklinikum Leipzig im Kampf gegen MRE heute gut aufgestellt sieht und dieses Thema in den Fokus seiner klinischen Forschung gerückt hat. Vor einigen Monaten ist der 46-Jährige mit einem Team von Investigativjournalisten aus einem Rechercheverbund von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung ins indische Hyderabad gereist und hat dort Industrieabwasser in der Nähe großer Pharmafabriken untersucht, die den Weltmarkt mit den wichtigsten Antibiotika versorgen.
In Indien herrscht leider ein großer Missbrauch mit Antibiotika – sowohl beim Menschen als auch beim Tier
Christoph Lübbert
In Indien und in China werden 80 bis 90 Prozent aller Antibiotika produziert. „In mehr als 95 Prozent der Proben von insgesamt 28 Entnahmeorten fanden wir multiresistente Erreger mit wichtigen Resistenzmechanismen wie ESBL- oder Carbapenemase-Bildung“, erklärt Lübbert. „Es wurden in fast allen Umweltproben, die an 16 unterschiedlichen Stellen entnommen wurden, relevante Konzentrationen von Antibiotika und Antimykotika gefunden“.
Eine Probe aus einem Abwassergraben mitten im Industriegebiet Patancheru-Bollaram enthielt pro Liter 237 Milligramm des Pilzmedikaments Fluconazol. „Das ist eine Konzentration, die 20-mal höher liegt als der Maximalwert, den schwerkranke Patienten im Blut haben dürfen “, beschreibt Lübbert. „Darüber hinaus ist das der höchste Wert, der jemals weltweit bei einem Medikament in der Umwelt gemessen wurde.“
„In Indien herrscht leider ein großer Missbrauch mit Antibiotika – sowohl beim Menschen als auch beim Tier“, berichtet Lübbert weiter. „Dort sind schon so viele resistente Erreger unterwegs – wenn zusätzlich noch Antibiotika in die Umwelt gelangen, werden diese tickenden Zeitbomben noch schärfer gemacht, extreme Multiresistenzen entstehen.“ Infektionen, die man sich in Indien einfange, seien manchmal kaum noch zu behandeln. „Da wirkt dann so gut wie kein Antibiotikum mehr“, hat der Mediziner festgestellt. Laut einer Studie sterben in dem asiatischen Land jährlich allein etwa 60.000 Neugeborene an Infektionen durch MRE. Doch das bleibt kein Problem der Inder. „Egal, wo neue Resistenzen entstehen, sie verbreiten sich weiter: durch die Verlegung von Patienten, durch Lebensmitteltransporte, durch Zugvögel und auch durch Reisende.“
Lübbert spricht von einem globalen Thema, dem man mit einem globalen Aktionsplan entgegentreten müsse. „Wenn die Medikamente aus Schwellenländern bezogen werden, muss man unabhängig prüfen, ob dort die Umwelt zu Schaden kommt.“ Eine Frage der Transparenz, die der Fachmann nicht gewährleistet sieht. Die Pharmahersteller könnten die Umstände ihrer Produktion immer noch verschleiern – hier stehe mutmaßlich die Rendite unter Inkaufnahme von Kollateralschäden zum Beispiel bei Umweltschutz im Vordergrund. „Darauf müssen wir reagieren – und schlimmstenfalls auch den europäischen Markt für unter fragwürdigen Umständen produzierte Produkte schließen können. Gleichzeitig brauchen wir neue, bessere Antibiotika“, sieht Lübbert die Forschung in der Pflicht. Das gehe nicht von heute auf morgen: „In der Regel dauert es bis zur Zulassung zehn bis 15 Jahre.“
Nicht zuletzt müsse in Deutschland einiges geändert werden – auch wenn die Situation lange nicht so schlimm sei wie in Indien. „Wir müssen auch bei uns verhindern, dass Antibiotika in die Umwelt gelangen. Und dass die Medikamente nicht wahllos eingesetzt werden. Viele Ärzte verschreiben noch immer zu schnell ein Antibiotikum, und auch Tierärzte greifen zu oft darauf zurück – vor allem in der Massentierhaltung.“ Nicht ohne Folgen: „Wenn Bakterien einem Selektionsdruck durch Antibiotika massiv ausgesetzt sind, bilden sie Resistenzen.“ Heute habe man meist noch zwei bis drei Antibiotika, die gegen extrem multiresistente Erreger wirken würden. „Aber das ist nicht viel. Wir sind schon spät unterwegs.“ Lübbert hofft unter anderem auf das G-20-Treffen in Hamburg, bei dem Indien sowie China mit am Tisch sitzen. Dort soll es auch um nationale Antibiotika-Aktionspläne gehen, um Transparenz bei der Pharmaproduktion und um Leitlinien für Ärzte sowie Tierärzte.
Profil:
Christoph Lübbert ist 1971 in Ratzeburg (Schleswig-Holstein) geboren. Er studierte Biologie sowie Medizin und ist – nach zahlreichen Stationen – heute Leiter des Fachbereichs Infektions- und Tropenmedizin am Universitätsklinikum Leipzig. 2016 erhielt Lübbert den Präventionspreis Innere Medizin der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin.
12.10.2017