Artikel • Zwischen Umweltschutz, Patientensicherheit und Personalknappheit

Nachhaltigkeit in der Notfallmedizin – eine Quadratur des Kreises?

Patientensicherheit und Sterilität auf der einen Seite, Klimaschutz auf der anderen: Auf der gemeinsamen Jahrestagung der Deutschen und Österreichischen Gesellschaften für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN und ÖGIAIN) war dieses Spannungsfeld ein zentrales Thema.

Bericht: Wolfgang Behrends

Bildquelle: Adobe Stock/CStock

Zwei DGIIN-Experten erläuterten, was sich gegen den traditionell großen CO2-Abdruck des Fachbereichs tun lässt – und wie die anstehende Krankenhausreform auch in Personalfragen die Weichen für mehr Nachhaltigkeit stellen könnte.

portrait of Matthias Kochanek
Professor Dr. Matthias Kochanek

Bildquelle: Uniklinik Köln

Zum Einstieg machte Professor Dr. Matthias Kochanek deutlich, dass die Ökobilanz der Intensiv- und Notfallmedizin bislang keine Priorität genießt. „Der Einsatz von Personal und Material im Krankenhaus ist wichtig, weil wir versuchen, Menschenleben zu retten – und so haben wir uns über Nachhaltigkeit bislang kaum Gedanken gemacht. Und doch, betonte der Präsident Elect der DGIIN sowie Leiter der internistischen Intensivmedizin der Klinik I für Innere Medizin an der Uniklinik Köln: „Es gibt keine Alternative dazu, über dieses Thema nachzudenken.“ Immerhin haben internationale Studien gezeigt, dass der Gesundheitssektor für fast 5% der globalen CO2-Emissionen verantwortlich ist.1 

Niedrig hängende Früchte 

An einem Umdenken im Fachbereich geht also kein Weg vorbei, so der Experte. Eine Umfrage der jüngst ins Leben gerufenen AG Nachhaltigkeit in der DGIIN habe drei wesentliche Aspekte ans Licht gebracht: Zum einen zeigten sich alle befragten Berufsgruppen – von den unter Intensivärzten und -pflegern bis hin zu den Rettungssanitätern und Mitarbeitern der zentralen Notaufnahmen – hochmotiviert, sich für eine nachhaltigere Intensiv- und Notfallmedizin einzusetzen. Dieses Potenzial müsse für die Umsetzung konkreter Maßnahmen genutzt werden, betonte Kochanek.

Denn zum anderen handele es sich bei vielen dieser Maßnahmen um „Low Hanging Fruits“, also um vergleichsweise einfach umsetzbare Schritte, die aber in Summe eine große Auswirkung auf die Klimabilanz haben. Dazu zählen etwa ein besseres Abfallmanagement, die Reduzierung von Einwegmaterialien oder ein umsichtigerer Einsatz von Narkosegasen. Natürlich gehe es nicht ohne aufwändigere Maßnahmen, etwa die energetische Sanierung älterer Krankenhäuser oder Umstellung auf erneuerbare Energien, befand Kochanek. Aber schon jetzt lasse sich durch viele kleine Maßnahmen ein großer Unterschied bewerkstelligen. 

„Auf der einen Seite wollen wir natürlich alle unsere Patienten exzellent versorgen und sie keinen zusätzlichen Gefahren aussetzen, etwa durch verminderte Hygiene“, brachte der Experte abschließend das Spannungsfeld auf den Punkt. „Auf der anderen Seite wollen wir auch in Zukunft nicht mehr Patienten produzieren durch hohe Treibhausgas-Emissionen.“ Denn bereits jetzt zeigen Studien, dass der Klimawandel zusätzliche Gesundheitsrisiken mit sich bringt, unter anderem durch Überhitzung und Wassermangel, aber auch durch die Ausbreitung gefährlicher Infektionskrankheiten.2 

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Nachhaltigkeit betrifft jedoch nicht nur die CO2-Bilanz der Kliniken, sondern auch deren Personaldecke – und auch hier ist die Lage ernst, wie Professor Dr. Christian Karagiannidis betonte: 

portrait of Christian Karagiannidis
Prof. Dr. Christian Karagiannidis

Bildquelle: Klinik Merheim

„Während der Corona-Pandemie haben uns einige Kollegen verlassen, und viele weitere streben einen Wechsel von Voll- auf Teilzeit-Beschäftigung an“, so der Präsident der DGIIN und leitender Oberarzt an der Lungenklinik Köln-Merheim. Darüber hinaus würden sich die Auswirkungen des demografischen Wandels in den kommenden Jahren voll bemerkbar machen. „Wir rechnen im Moment damit, dass wir in den nächsten Jahren – egal, was wir tun und wie gut wir sind – sicherlich noch einmal 20-25% des Personals verlieren werden. Das ist etwas, das man realistisch einkalkulieren muss. Wir glauben aber, dass wir es mit einer guten Strukturreform trotzdem schaffen können, die Bevölkerung entsprechend zu versorgen.“ 

Den Grund dafür, dass viele Krankenhäuser aktuell tiefrote Zahlen schreiben, sieht Karagiannidis vor allem im gesunkenen Leistungsniveau seit Beginn der Pandemie. „Rund 10-15% der Fälle fehlen, und in meinen Augen ist der Hauptgrund dafür der Personalmangel.“

Ruf nach Strukturfonds und Zentralisierung wird lauter

Da sich dieser Leistungseinbruch nicht von selbst erholen werde und die bisherige Förderpolitik kaum Besserung bringe, plädiert der DGIIN-Präsident dafür, im Rahmen der Krankenhausreform einen Strukturfonds einzurichten, vergleichbar etwa mit den wirtschaftspolitischen Maßnahmen nach der Wende, mit einer Drittelfinanzierung von Bund, Ländern und Krankenkassen. Anders als beim ‚Aufbau Ost‘ solle der Fokus jedoch nicht auf Neubauten liegen, sondern insbesondere auf Nachhaltigkeit ausgerichtet sein: Ausbau von Photovoltaik-Anlagen, Dachbegrünung und Energiesanierung von Kliniken sind nach Ansicht des Experten sinnvolle Investitionen. 

Die Not ist so groß, dass ein Scheitern der Krankenhausreform keine Option ist

Christian Karagiannidis

Allein mit Geld wird sich das Problem jedoch nicht lösen lassen, wie Karagiannidis ausführte: Die große Zahl an Standorten lasse sich nicht mit der immer dünner werdenden Personaldecke vereinbaren, so dass an einer Zentralisierung kein Weg vorbeiführe. Gerade die Zusammenlegung kleinerer Krankenhäuser mit 100-200 Betten sei notwendig, um den Versorgungsstandard aufrecht zu erhalten und die Überlebenschancen der Kliniken zu verbessern. „Die Not ist so groß, dass ein Scheitern der Krankenhausreform keine Option ist.“ Neben einer Verbesserung der Versorgungsqualität müsse auch eine Reduzierung der Bürokratie angestrebt werden, so der Appell des Experten in Richtung der politischen Akteure. 


Quellen: 

  1. Health care climate footprint report; Health Care Without Harm
  2. Sachstandsbericht Klimawandel und Gesundheit (2023); Robert Koch-Institut

22.06.2023

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