Artikel • S3-Leitlinie
Multiparametrische MRT hält Einzug in die Primärdiagnostik
Unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Urologie e.V. (DGU) wurde die 6. Fassung der S3-Leitlinie zum Prostatakarzinom im Rahmen des Leitlinienprogramms umfangreich aktualisiert. Sie dient als Behandlungsleitfaden für die mit jährlich rund 60.000 Neuerkrankungen häufigste Krebserkrankung des Mannes. Priv.-Doz. Dr. Lars Schimmöller vom Universitätsklinikum Düsseldorf fasst die Rolle der MRT in der Primärdiagnostik zusammen.
Die wichtigste Änderung vorweg: „Die neue Leitlinie zur Diagnostik des Prostatakarzinoms besagt, dass die multiparametrische MRT (mpMRT) in der Primärdiagnostik eingesetzt werden sollte.“
Die mpMRT – auch als MR-Prostatographie bezeichnet – wurde in den vergangenen Jahren hinsichtlich ihrer diagnostischen Güte umfassend wissenschaftlich evaluiert. „Zwar gibt es bereits sehr gute Evidenz, dennoch ist es für eine Soll-/Muss-Empfehlung noch zu früh. Es fehlt dazu in der Breite an Qualität und Ressourcen, um eine Verpflichtung flächendeckend vorzuschreiben“, sagt Schimmöller.
Das Problem sei dabei nicht die Anzahl der MRT-Geräte, sondern die Qualität, Expertise sowie die Logistik im Anschluss an die Bildgebung. Qualitative Aufnahmen müssten nicht nur radiologisch gut bewertet und die entsprechenden Tumore genau markiert werden, sondern danach natürlich auch noch gut biopsiert werden. Wünschenswert wäre es, wenn die entsprechenden Fusionssysteme zur gezielten Biopsie in der Breite zur Verfügung ständen, so dass die Diagnostik von Anfang bis zum Ende möglichst fehlerfrei durchgeführt werden kann.
„Wenn wir primär eine MRT durchführen, müssen wir bei auffälligem Befund danach auch gezielt biopsieren. Leider sind wir in Deutschland noch nicht so weit, die mpMRT und Fusionsbiopsie mit hinreichender Qualität flächendeckend anbieten zu können, unter anderem auch weil sie nicht entsprechend als separate Leistung zugelassen und vergütet wird. So gut die Methode bei der nötigen Expertise auch ist, aktuell würde ein vorgeschriebener, genereller Einsatz durchaus (noch) zu logistischen und qualitativen Problemen führen, zumal es Regionen gibt, in denen noch nicht oder erst anfänglich gezielt biopsiert wird“, bedauert Schimmöller.
Dieser Artikel könnte Sie auch interessieren
Artikel • Diagnostik
Multiparametrische MRT verbessert die Diagnostik des Prostatakarzinoms
Ungefähr 25 Prozent aller Krebserkrankungen des Mannes in Deutschland sind Prostatakarzinome. Die Mortalitätsrate liegt bei rund 11 Prozent und damit hinter dem Lungenkarzinom an zweiter Stelle der Todesursachen für Männer. Derzeit ist der PSA-Test der Laborparameter für die Früherkennung von Prostatakarzinomen. Doch die multiparametrische MRT hat enorm an Stellenwert gewonnen.
Laut neuer Leitlinie ist eine MR-Prostatographie nach negativer systematischer Biopsie ohne vorherige MRT bei fortbestehendem Karzinomverdacht allerdings nun uneingeschränkt vorgesehen. Ebenso sollen (müssen) Patienten, die eine aktive Überwachung erwägen, vor Indikationsstellung eine mpMRT erhalten. Im Rahmen der durchgeführten mpMRT soll auch das Staging der auffälligen Areale berücksichtigt werden.
Keine relevanten Änderungen gibt es bei der Leitlinie für das Screening. „Zur Früherkennung eines Prostatakarzinoms sind bildgebende Verfahren als primäre Untersuchung weiterhin nicht geeignet. Wir können folglich derzeit noch nicht mit Sicherheit sagen, welche Rolle die MRT beim Screening genau einnehmen wird. Der größte Benefit scheint bei auffälligen Patienten nach klinischer Vorselektion (u.a. PSA, Risikokalkulatoren) zu liegen, ggf. sogar mittels MRT ohne Kontrastmittel-Sequenzen“, so Schimmöller.
Fusionsbiopsie
Die Wertigkeit der Fusionsbiopsie ist kürzlich infrage gestellt worden. Auslöser war der vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) veröffentlichte vorläufige Health Technology Assessment (HTA)-Bericht zum Nutzen des Verfahrens für die Patientenversorgung. Die eingesetzten Sachverständigen kamen darin zu dem Ergebnis, dass es keinen Anhaltspunkt für einen (höheren) Nutzen oder (höheren) Schaden für die Anwendung der Fusionsbiopsie im Vergleich zur transrektalen Ultraschallbiopsie gäbe.
Die Stellungnahme löste heftigen Widerspruch in der Fachwelt aus. Auch im Rahmen der Leitlinien-Aktualisierung war dies laut Schimmöller ein viel diskutiertes Thema. Das Ergebnis: Die Kombination aus MRT-gestützter, gezielter plus systematischer Biopsie im Rahmen der Erstdiagnose bleibt Standard. „Diese Kombination erzielt aktuell die höchsten Detektionsraten“, sagt der Experte.
Dieser Artikel könnte Sie auch interessieren
Artikel • MRT und Ultraschall
Prostatakrebs: Was nutzt die Fusionsbiopsie?
Bei Verdacht auf Prostatakrebs ermöglicht die MRT-/Ultraschall-Fusionsbiopsie eine gezielte Gewebeentnahme aus verdächtigen Arealen, die in der MRT identifiziert wurden. Dafür werden die entsprechenden Aufnahmen aus der multiparametrischen MRT mit dem Ultraschall-Livebild zur Biopsie überlagert (fusioniert).
Der Nutzen der Fusionsbiopsie – neben den Vorteilen der MRT, die Überdiagnostik niedriggradiger Prostatakarzinome zu reduzieren – liegt vor allem darin, dass mehr klinisch relevante Prostatakarzinome detektiert bzw. besser klassifiziert und so frühzeitiger effiziente und kurativ-intendierte Therapien angewendet werden können. Die Nachteile der Methode: es gibt potenzielle Fehlerquellen wie eine eingeschränkte MRT-Qualität oder fehlerhafte Befundung, ein ungenauer Transfer der auffälligen Areale bzw. Arealzentren, die nicht ausreichende Expertise des Biopseurs und natürlich der Biopsiemethode selbst.
Schimmöller verweist auf eine von seiner Arbeitsgruppe durchgeführten Studie (Klingebiel et al. 2021 Eur J Radiol), in der mit der gezielten Fusionsbiopsie etwa 13 Prozent signifikanter Prostatakarzinome verpasst wurden. Diese wurden aber mittels zusätzlicher systematischer Biopsie gefunden. „In anderen Worten, die Fusionsbiopsie hat technische und methodische Schwächen, insbesondere bei zu wenig Expertise. Werden wir methodisch besser, erlangen wir auch mehr Sicherheit im Umgang mit dem Verfahren. Bei der systematischen Biopsie gibt es einen Sicherheitsschirm, der gewährleistet, dass der Urologe auch Areale erwischt, die er mit der gezielten Biopsie eventuell verpasst hätte und der zudem auch zur richtigeren Therapieentscheidung beitragen kann“, erklärt der Radiologe.
Dieser Artikel könnte Sie auch interessieren
Artikel • Q1/Q2-Zertifikat
Mehr Qualität: Zertifizierungen der MR-Prostatographie
In der Prostatadiagnostik hat die multiparametrische MRT (mpMRT oder auch MR-Prostatographie genannt) einen regelrechten Hype ausgelöst. Wermutstropfen war bislang die schwankende Bildqualität, mit der das Verfahren belastet war – nun sollen die von der AG Uroradiologie und Urogenitaldiagnostik in der DRG eingeführten Spezialzertifizierungen Q1 und Q2 Abhilfe schaffen. Wir sprachen mit…
Radiologische Qualität
"Zur Früherkennung (Screening) eines Prostatakarzinoms sind bildgebende Verfahren als primäre Untersuchung weiterhin nicht geeignet."
Lars Schimmöller
Die Autoren haben in der aktualisierten Leitlinie explizit die Bedeutung der Qualität hervorgehoben. „Grundsätzlich gelten die für die MRT festgelegten Qualitätsstandards, die eingehalten werden müssen, um aussagekräftige Befunde zu liefern“, betont Schimmöller.
Die Deutsche Röntgengesellschaft (DRG) hat gemeinsam mit dem Berufsverband der Deutschen Radiologen (BDR) zum Jahresbeginn gültige, aktualisierte Vorgaben, unter Berücksichtigung der PIRADS-Standards, in der Fachzeitschrift für medizinische Radiologie (RöFo) publiziert, die die Qualitätsstandards für die fachliche und technische Umsetzung der MR-Prostatographie gewährleisten (Franiel et al. 2021 Röfo). „Die Q1- und Q2-Zertifikate der DRG und die QRR-Zertifikate des BDR mit zusammen bereits über 700 Zertifizierungen belegen, dass wir radiologisch auf einem guten Weg sind, Qualität abzubilden und beständig weiterzuentwickeln.“
Profil:
Priv.-Doz. Dr. Lars Schimmöller ist Leitender Oberarzt am Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie, Universitätsklinikum Düsseldorf und Vorsitzender der AG Uroradiologie und Urogenitaldiagnostik der Deutschen Röntgengesellschaft. Sein Spezialgebiet ist die MRT- und bildgebungsbasierte Diagnostik des Prostatakarzinoms. Weitere medizinische Schwerpunkte sind die urogenitale und interventionelle Radiologie, die (PSMA)-PET-Diagnostik und onkologische Bildgebung. 2018 erhielt er den Wilhelm-Conrad-Röntgen-Preis und 2020 der Marie-Curie-Ring der Deutschen Röntgengesellschaft.
23.06.2021