Quelle: Schimmöller
Artikel • MRT und Ultraschall
Prostatakrebs: Was nutzt die Fusionsbiopsie?
Bei Verdacht auf Prostatakrebs ermöglicht die MRT-/Ultraschall-Fusionsbiopsie eine gezielte Gewebeentnahme aus verdächtigen Arealen, die in der MRT identifiziert wurden. Dafür werden die entsprechenden Aufnahmen aus der multiparametrischen MRT mit dem Ultraschall-Livebild zur Biopsie überlagert (fusioniert).
Die Wertigkeit der Fusionsbiopsie ist jedoch kürzlich in Frage gestellt worden. Auslöser war der am 12. Juni 2020 im Auftrag des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) veröffentlichte, vorläufige Health Technology Assessment (HTA)-Bericht zum Nutzen des Verfahrens für die Versorgung von Patienten. Die vom IQWiG eingesetzten Sachverständigen kamen zu dem vorläufigen Ergebnis, dass es für die Anwendung der Fusionsbiopsie im Vergleich zur transrektalen Ultraschallbiopsie keinen Anhaltspunkt für einen (höheren) Nutzen oder (höheren) Schaden gäbe. Die Stellungnahme löste heftigen Widerstand in der Fachwelt aus. Von einer sehr missverständlichen Bewertung und ungünstigen Fragestellung spricht auch der Radiologe Priv.-Doz. Dr. Lars Schimmöller vom Universitätsklinikum Düsseldorf, der aktuell Vorsitzender der AG Uroradiologie und Urogenitaldiagnostik der Deutschen Röntgengesellschaft ist.
Herr Dr. Schimmöller, was genau widerstrebt Ihnen am vorläufigen Ergebnisbericht des IQWIG?
Schimmöller: "Das Problem ist, dass die vorläufige Bewertung nicht den eigentlichen Nutzen der Fusionsbiopsie für den Patienten widerspiegelt und falsche Impulse setzt. Ausgangspunkt des Vorberichts ist die Fragestellung eines Bürgers: 'Führt die Anwendung der Fusionsbiopsie im Vergleich zur Anwendung üblicher diagnostischer Verfahren zu besseren Behandlungsergebnissen?' Ein Endpunkt, der zur Beantwortung dieser Fragestellung gewählt wurde, ist die Mortalität. Das ist beim in der Regel langsam wachsenden Prostatakarzinom allerdings sehr schwierig und zum jetzigen Zeitpunkt eigentlich unmöglich zu beantworten, da die Fusionsbiopsie noch gar nicht so alt ist und die Frage nach der Mortalität erst nach Jahrzehnten geklärt werden kann. Darüber hinaus gibt es keinen direkt nachweisbaren Zusammenhang zwischen einer Fusionsbiopsie und der Sterblichkeit von Prostatakrebspatienten. Fragestellung und Endpunkt sind hier also sehr ungünstig gewählt."
Quelle: Schimmöller
Worin besteht der Nutzen der Fusionsbiopsie?
Die potenziellen Fehlerquellen einer Fusionsbiopsie können mannigfaltig sein: MRT-Qualität, MRT-Befundung/-Erfahrung, Biopsie-Methode, Biopsie-Erfahrung, Pathologieerfahrung etc.
Lars Schimmöller
"Man sollte vor allem die unmittelbaren Vorteile für den Patienten sehen. Zunächst einmal lassen sich mit dem Verfahren mehr klinisch relevante Prostatakarzinome detektieren, sodass wir frühzeitiger effiziente und kurativ-intendierte Therapien anwenden können. Zudem erhalten wir eine genauere Histologie und durch die MRT ein genaueres Staging zur Therapieplanung. Häufig stimmt der Gleason-Score, der bei einer systematischen Biopsie bestimmt wurde, nicht mit dem überein, was bei einer anschließenden Operation herauskommt.
Ein weiterer sehr wichtiger Punkt ist, dass wir es deutlich weniger mit nicht-signifikanten Prostatakarzinomen zu tun haben. Das liegt zum größten Teil sicherlich an der mit der Fusionsbiopsie verbundenen Durchführung einer (multiparametrischen) MRT der Prostata und der Vermeidung einer Biopsie im Falle eines unauffälligen Befunds. Durch die alleinige Fusionsbiopsie ohne zusätzliche systematische Biopsie könnte dieser Effekt erhöht und zudem die Anzahl der Stanzzylinder für den Patienten verringert werden. Allerdings ist zu beachten, dass auch die Software-gestützte Fusionsbiopsie relevante Karzinome verpassen kann, die aber „zufällig“ durch eine zusätzliche systematische Biopsie erfasst werden würden. Die potenziellen Fehlerquellen einer Fusionsbiopsie können nämlich mannigfaltig sein: MRT-Qualität, MRT-Befundung/-Erfahrung, Biopsie-Methode, Biopsie-Erfahrung, Pathologieerfahrung etc. Durch die MRT-Voruntersuchung können jedoch knapp 50% aller primären Biopsien recht sicher vermieden werden. Die MRT und MRT-gestützte Biopsie hilft, um mehr Akzeptanz bei den Patienten zu erreichen und wird sich in Zukunft sicherlich auch auf die Mortalität auswirken."
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Artikel • Auf den Spuren des Prostatakarzinoms
PSMA PET/CT: in der Pole Position
Die Hybridbildgebung aus PET und CT kann bei der Diagnostik des Prostatakarzinoms ihre Stärken voll ausspielen und Therapien in effektivere Bahnen lenken. Die Untersuchung des spezifischen Antigens PSMA im PET/CT erlaubt eine deutlich genauere Therapiesteuerung als mit konventioneller Bildgebung und wird in naher Zukunft das diagnostische Verfahren der Wahl sein.
Die aktuelle S3-Leitlinie empfiehlt allerdings eine MRT-gestützte Biopsie in erster Linie nach negativer systematischer Biopsie und dann in Kombination mit einer zusätzlichen systematischen Biopsie.
"Ja, aber die S3-Leitlinie ist von April 2018 und wird aktuell neu evaluiert. Hier lohnt sich der Blick in internationale Leitlinien, die bereits einen Schritt weiter gehen. In der aktuellen europäischen EAU-Leitlinie steht, man solle keine Biopsie ohne vorherige MRT durchführen. Wenn die MRT in der Primärdiagnostik ein auffälliges Areal anzeigt, dann lautet aber auch hier die Empfehlung kombiniert, also gezielt und systematisch, zu biopsieren. Das heißt, wir haben die Nachteile der systematischen aktuell nicht gänzlich ausgeräumt, profitieren aber von den zusätzlichen Vorteilen der gezielten Biopsie."
Warum fallen die Leitlinienempfehlungen bisher so verhalten aus?
"Das liegt unter anderem daran, dass in den letzten zwei Jahren einige prospektive Studien publiziert wurden und die entsprechende Evidenz nun vorliegt bzw. deutlich höher ist. Zudem ist Fusionsbiopsie nicht gleich Fusionsbiopsie. Dies ist durchaus relevant für eine flächendeckende praktische Umsetzung. Es gibt unterschiedlichste Systeme bzw. verschiedene Verfahren, und auch der Informationstransfer und die Qualität der MRT sind entscheidend. Dadurch haben wir eine Varianz und natürlich eine Lernkurve. Wenn ich zum Beispiel ein MRT-Areal biopsiere, das zu groß eingezeichnet ist, und nur den Rand erwische, dann ist das nicht wirklich gezielt. Das beste Tool nützt nichts, wenn ich es nicht richtig anwende. Das ist ein Punkt, der auch bei der IQWiG-Diskussion eine Rolle spielt. Um die Qualität sicherzustellen, müssen Fusionssysteme in der Breite zur Verfügung stehen und der Behandler muss genug Erfahrung damit haben."
Vielen Dank für das Gespräch.
Profil:
Priv.-Doz. Dr. Lars Schimmöller ist Leitender Oberarzt am Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie, Universitätsklinikum Düsseldorf, und Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Uroradiologie und Urogenitaldiagnostik in der Deutschen Röntgengesellschaft. Sein Spezialgebiet ist die MRT- und bildgebungsbasierte Diagnostik des Prostatakarzinoms. Weitere medizinische Schwerpunkte sind die urogenitale und interventionelle Radiologie, die (PSMA)-PET-Diagnostik und onkologische Bildgebung. 2018 erhielt er den Wilhelm-Conrad-Röntgen-Preis der Deutschen Röntgengesellschaft.
05.11.2020