Artikel • Smarte Helfer
KI in der Urologie – heute und in Zukunft
Intelligente Bilderkennung, Progressions-Vorhersage, Clinical Decision Support und mehr: KI und Maschinelles Lernen verändern bereits heute die Medizin – wie werden die Technologien die Operative Medizin in dieser Dekade beeinflussen? Diese Frage stellt Priv.-Doz. Dr. Sami-Ramzi Leyh-Bannurah auf dem diesjährigen Kongress der Deutschen Gesellschaft für Urologie (DGU). Der Leiter zur Forschung zu Gesundheitsergebnissen nennt erste praktische Anwendungen in der Urologie und blickt auf das Potential – und die Herausforderungen – künftiger KI-Lösungen.
Bericht: Wolfgang Behrends
Es ist nicht die unmittelbare KI-Revolution, die auf die Urologie zukommt, ist Dr. Leyh-Bannurah überzeugt. Eher werden es subtile, schrittweise Veränderungen sein, die den Urologen aus Fleisch und Blut in der Diagnostik und Therapieplanung unter die Arme greifen.
Schon jetzt werden Bildinformationen mit Semantik verknüpft, damit sie von Algorithmen besser ausgewertet werden können. Allgemein bekannt ist die Mechanik zum Beispiel schon lange bei der Bildersuche von Google. Ähnliche Prinzipien finden gerade auch in der Medizin statt. Größter Engpass ist die Verfügbarkeit hochwertiger medizinischer Daten – damit ist nicht nur z.B. die Bildqualität von der Magnetresonanztomographie (MRT) der Prostata oder von digitalen Scans von histopathologischen Proben gemeint, sondern auch die zugehörige Annotation, erklärt der Experte: „Es ist ein Unterschied, ob in einem Bericht nur steht, die MRT der Prostata sei suspekt für Krebs oder aber genau zu sagen, an welcher Stelle der Krebs sitzt und wie aggressiv er ist. Das ist nicht banal und erfordert personelle und zeitliche Ressourcen. Zukünftig erfolgt dies idealerweise direkt digital, im Rahmen der Befundung, während des klinischen Alltags.“
Man muss die Fragestellung genau definieren: Von einer reinen Ja/Nein-Diagnostik über die Lokalisation bis hin zur Quantifizierung der Tumorlast müssen immer ausgefeiltere Algorithmen trainiert werden – teilweise mit mehr und vor allem detaillierteren Daten. Ein Anwendungsbeispiel ist dabei, auf Grundlage vorliegender Daten eine individuelle Prognose zu Krankheitsverläufen zu erstellen. Dafür sind komplexe, nicht-lineare Funktionen notwendig – eine Aufgabe, an der aktuell intensiv geforscht wird.
Auch bei extremer Nahaufnahme das Gesamtbild im Blick behalten
Für Leyh-Bannurah ist die Urologie prädestiniert für den Einsatz von KI: „Das Fach ist seit jeher auf die interdisziplinäre Zusammenarbeit angewiesen. Ein Paradebeispiel ist die MRT-Ultraschall-Fusionsbiopsie der Prostata: Hier müssen diagnostische Daten aus unterschiedlichen Quellen – der MRT- und der Ultraschall-Bildgebung – fusioniert werden.“ Aktuell erfolgt die Fusion der Bilder semi-automatisch, durch manuelle Konturierung der Prostata und der Läsionen durch den Urologen und ist relativ zeitintensiv und potentiell fehlerbehaftet. Hier bietet sich der Einsatz von KI an, denn im Bereich der Bilderkennung sind enorme Fortschritte erzielt worden.
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Artikel • Prostatakrebs-Detektion
Mit dem Kernspin sieht man besser
Die MRT spielt bei der Detektion von Prostatakarzinomen zur Zeit noch eine Nebenrolle – zu Unrecht, findet PD Dr. Friedrich Aigner, Leiter des Bereiches Uroradiologie am Department Radiologie der Medizinischen Universität Innsbruck, denn das Verfahren gewährt Einblicke, die der konventionellen Sonografie verwehrt bleiben.
Gleiches gilt neben der Radiologie für die Pathologie: „Wir können inzwischen nicht nur Zellstruktur und -architektur erkennen und klassifizieren, sondern diese Informationen mit immunhistochemischen und molekularen Profilen verknüpfen. Dadurch lassen sich auch schwierige Prostatakarzinomtypen identifizieren und die Tumorlast im Gesamtgewebe quantifizieren.“
Selbst erfahrene Diagnostiker laufen Gefahr, bei der schieren Informationsmenge den Überblick zu verlieren und wichtige Bereiche zu übersehen. Dem können KI-Tools mit Hilfestellung bei der Wahl des Bildausschnitts und gezielten Hinweisen entgegenwirken. Der Pathologe hilft dem Algorithmus seinerseits, indem er die Ergebnisse seiner Befundung so in das System einpflegt, dass der Algorithmus damit gleichzeitig trainiert und validiert wird. Dadurch greift die KI auf den gesammelten Erfahrungsschatz vieler Experten zurück und erkennt auch seltene Krankheitsbilder, die abseits der großen Kliniken nur selten auftauchen.
Eine zukünftige Stärke von KI sieht der Experte in der Erstellung individueller Risikoprofile und sich daraus ergebender Handlungsempfehlungen. Grundlage hierfür sind die gesammelten diagnostischen Daten aus verschiedenen Quellen und zu verschiedenen Zeitpunkten. Zu einem Patienten gehören u.a. Bilddaten, Labordaten, ein Genprofil, ein Medikamentenprofil und vieles mehr: „Damit bewegen wir uns weiter in Richtung der personalisierten Medizin, in der Therapiepläne oder Monitoring-Intervalle passgenau auf den jeweiligen Patienten zugeschnitten werden. Je zahlreicher, hochwertiger und strukturierter die zugrundeliegenden Daten sind, desto besser wird auch die daraus abgeleitete Empfehlung sein.“
Die Rechtslage muss geklärt werden
Die Gesetzgebung ist derzeit noch dabei, einen Rahmen zu schaffen: „Durch den Einsatz von KI wird es große Veränderungen im medico-legalen Bereich geben“, prognostiziert Leyh-Bannurah. Zentrales Element ist die Transparenz für den Patienten, damit er weiß, was mit seinen Daten zu welchem wissenschaftlichen Zweck geschieht.
In der Medizin werden wir eine Prüfinstanz brauchen, um die Zuverlässigkeit und Aktualität von Algorithmen zu gewährleisten – eine Art TÜV für KIs
Sami-Ramzi Leyh-Bannurah
Die zunehmende Verarbeitungsgeschwindigkeit wird in den kommenden Jahren zu Echtzeit-Konzepten führen: „Während einer Operation werden Daten generiert, die direkt zur Anpassung des weiteren Eingriffs genutzt werden. Beispielsweise kann während einer Prostatektomie ein Schnellschnitt digital analysiert werden, um gesundes Gewebe trennscharf von Tumorgewebe zu unterscheiden und dadurch angrenzende Bereiche zu schonen. Ähnliches gilt für den molekularen Fingerabdruck aus der Spektroskopie. Direkt verfügbare Informationen können die Therapie zugunsten des Patenten beeinflussen.“ Aktuell befasst sich die Forschung damit, die komplexen Datensätze mithilfe von Machine Learning möglichst verzögerungsfrei mitsamt einer Interpretation bereitzustellen.
Mit dem „KI-TÜV“ Licht in die Black Box bringen
Eine wesentliche Voraussetzung für KI-gestützte Handlungsempfehlungen ist laut Leyh-Bannurah die Transparenz der Entscheidungsfindung: „Es liegt an uns, dass wir als Mediziner jederzeit nachvollziehen können, in welcher Weise und aus welchen Quellen die KI auf Daten zugreift. Nur so können wir die Qualität von Analysen und Learnings garantieren und Fehler vermeiden.“ Mehrere Forschungsgruppen arbeiten daher an der Entwicklung von ‚fail-proof‘-Konzepten. „In der Medizin werden wir eine Prüfinstanz brauchen, um die Zuverlässigkeit und Aktualität von Algorithmen zu gewährleisten – eine Art TÜV für KIs.“
Profil:
Priv.-Doz. Dr. med. Sami-Ramzi Leyh-Bannurah ist Oberarzt und Leiter zur Forschung zu Gesundheitsergebnissen an der Klinik für Urologie, Kinderurologie und Urologische Onkologie des Prostatazentrums Nordwest im St. Antonius Hospital in Gronau. Zuvor war der Deutsche und Europäische Facharzt für Urologie (FEBU) als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) tätig. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf der Implementierung innovativer Ansätze wie KI und Robotik in der Urologie. Dr. Leyh-Bannurah hat hierzu an mehr als 50 wissenschaftlichen Publikationen mitgewirkt, bei vielen davon als Erstautor. Darüber hinaus ist er als Gutachter zahlreicher medizinischer Fachzeitschriften aktiv.
10.11.2020