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Artikel • Blick in die Kristallkugel
Prädiktive KI – sagt der Algorithmus bald die Zukunft voraus?
„Herr Schmidt, Sie werden gleich einen Herzinfarkt erleiden, kommen Sie bitte sofort mit ins Krankenhaus!“ Werden wir in Zukunft vom Notarzt zuhause abgeholt, bevor wir überhaupt krank werden? Wenn es nach einigen KI-Experten auf der Medica 2018 geht, könnte es tatsächlich bald soweit sein.
Bericht: Wolfgang Behrends
Big Data, Deep Learning, Robotik – in all diesen Bereichen hat die Medizinbranche in den vergangenen Jahren derart große Fortschritte erlebt, dass Prognosen über zukünftige Technik enorm schwierig sind. Auf der Medica in Düsseldorf versuchten sich dennoch einige IT-Experten am Blick in die Glaskugel:
- Pradeep Walia, Mitgründer und Director, Artelus
- Matej Adam, Watson Health Executive EMEA, IBM
- Dr. Björn Schreiweis, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Medizinische Informatik und Statistik der Universität Kiel
- Jaakko Nurkka, Mitgründer und CEO Cliniserve
- Prof. Dr. Stefan Heinemann, Professor für Wirtschaftsethik an der FOM Hochschule für Ökologie und Management Essen und Sprecher der Ethik-Ellipse Smart Hospital der Universitätsmedizin Essen
Moderator Prof. Tobias Daniel Gantner, CEO Healthcare Futurists, stimmte sein Panel mit dem wissenschaftlichen Motor schlechthin auf die Diskussion ein – Neugier: „Forscher wollten schon immer wissen, warum Dinge so passieren, wie sie es tun. Auf Big Data basierende Modelle könnten das auf eine ganz neue Art möglich machen.“
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Maschine macht Menschen wieder zu Menschen
Wir werden noch 20 Jahre brauchen, bis wir tatsächlich genug relevante Daten haben, um Korrelation und Kausalität in Datenmustern zuverlässig voneinander zu trennen
Björn Schreiweis
Möglichst viele Daten zu sammeln und diese dann durch einen Algorithmus zu schicken ist allerdings noch nicht der goldene Weg, warf Dr. Schreiweis ein: Wir müssen zunächst herausfinden, welche Daten uns wirklich weiterbringen, wenn wir beispielsweise Herzversagen vorhersagen wollen.“ Schon jetzt ist es eine der wichtigsten Aufgaben, zuverlässig durch die schiere Masse an Daten navigieren zu können und Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden, pflichtete ihm Adam bei: „Wenn das gelingt, kann die KI viele Aufgaben übernehmen. Die Ärzte und Pfleger hätten dann endlich mehr Zeit, sich auf den menschlichen Aspekt ihrer Arbeit zu konzentrieren.“ Das betrifft vor allem den Wegfall von Verwaltungsaufgaben, die heute noch einen viel zu großen Teil der Arbeit ausmachen, ergänzte Nurkka.
Bis dahin ist es aber noch ein weiter Weg: „Wir werden noch 20 Jahre brauchen, bis wir tatsächlich genug relevante Daten haben, um Korrelation und Kausalität in Datenmustern zuverlässig voneinander zu trennen“, sagte Dr. Schreiweis. Die aktuell verbreitete Skepsis gegenüber KI sei verständlich, aber unbegründet, warf Walia ein: „Am Anfang der MR-Bildgebung waren die meisten Experten ebenfalls skeptisch – heute ist sie aus der Medizin nicht mehr wegzudenken. Mediziner, die sich dem Potenzial von KI verweigern, werden eines Tages obsolet sein.“
Sie haben kein Brot? Dann gebt ihnen KI!
Das Potenzial von KI ist gewaltig, nicht nur in der Medizin, sagte Walia. Doch bevor die Technik flächendeckend ankommen kann, müssen noch ganz andere Baustellen angegangen werden: „Es hat keinen Sinn, jemanden von den Vorteilen der KI überzeugen zu wollen, der Mühe hat, genug Essen zum Überleben zu haben.“ Entscheidend ist auch der Aspekt der Bildung, damit Menschen überhaupt in der Lage sind, die neue Technik zu bedienen. Ein wichtiger Teil des technischen Fortschritts ist es daher, Systeme so zu gestalten, dass sie möglichst einfach und intuitiv bedienbar sind, betonte Nurkka.
Wie ermöglichen wir einen sicheren Umgang mit persönlichen Gesundheitsdaten, ohne den Zugang zu Datenquellen einzuschränken?
Matej Adam
Auch der Wert persönlicher medizinischer Daten muss den Menschen begreiflich gemacht werden, sagte Prof. Heinemann: „Heute betrachten die Konzerne Gesundheitsdaten als Ressource – doch diese Sicht der Dinge behindert den technischen Fortschritt: Wir brauchen freien Zugang zu anonymisierten Gesundheitsdaten, um Algorithmen zu trainieren.“ Dort liegt jedoch bereits das Problem, warf Schreiweis ein, denn echte Daten-Anonymität ist eine Illusion: „Wenn ausreichend Datensätze vorhanden sind, können Algorithmen einzelne Daten zu Personen zuordnen.“
Firmen wie Google unterstützen Kliniken mit großzügigen Förderbeträgen, gab Walia zu bedeken. Dadurch werden wichtige Fortschritte möglich, von denen letztlich alle profitieren. Andererseits erhalten sie für ihr Geld Zugang zu Forschungs- und Gesundheitsdaten, die sie zu ihrem eigenen finanziellen Vorteil nutzen. Adam brachte das Dilemma auf den Punkt: „Wie ermöglichen wir einen sicheren Umgang mit persönlichen Gesundheitsdaten, ohne den Zugang zu Datenquellen einzuschränken?“
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Hoffen auf eine bessere Zukunft
Um das enorme Potenzial der KI in der Medizin wirklich nutzen zu können, brauchen wir ein System, das Daten nicht mehr als Ware ansieht, sagte Prof. Heinemann: „Dann hätte jeder Zugang zur Behandlung, die er benötigt, unabhängig von seiner finanziellen Situation.“ Nurkka und Adam sahen ähnlich zuversichtlich in die Zukunft – vorausgesetzt, Daten würden aus ihren proprietären Silos in Firmen oder Kliniken befreit und grenzüberschreitend verfügbar gemacht. „Wir müssen nur die Daten-Punkte miteinander verbinden, dann haben wir alle Informationen, die wir für eine bessere Gesundheitsversorgung brauchen“, schloss Adam.
21.02.2019