Infektionsdiagnostik

Kalkulierte Therapie ist das Ziel

Im Rahmen der Fokusveranstaltung des Vereins Akkreditierte Labore in der Medizin in Berlin beschreibt PD Dr. Andreas Weimann, Geschäftsführung Labor Berlin - Charité Vivantes Services, welche Herausforderungen im Bereich des Erregermanagements und der Infektionsdiagnostik aus Sicht der Krankenhaus-Laborversorger zu meistern sind. „Wir hängen an alten Zöpfen. Statt auf Prävention liegt unser Fokus auf dem Erkrankten“, fasst Andreas Weimann die vom World Economic Forum 2012 formulierten „5 Bad Habits of Healthcare“ prägnant zusammen.

Report: Nadine Wieners

PD Dr. Andreas Weimann, Geschäftsführung Labor Berlin - Charité Vivantes...
PD Dr. Andreas Weimann, Geschäftsführung Labor Berlin - Charité Vivantes Services.

Demografisch steht immer mehr der alternde, multimorbide Patient im Vordergrund, der aufgrund vielschichtiger Krankheitsbilder gegenüber infektiösen Erregern besonders exponiert ist. Weimann nennt hier exemplarisch die Gruppe der Organtransplantierten. Referenzwerte seien gerade für diese Patientengruppe nicht vorhanden. „Nennen Sie mir doch spontan den Referenzwert für Leberwerte eines 75jährigen, immunsupprimierten Lebertransplantierten? Wir wissen es nicht!“ Unter anderem solche Fragen sind es jedoch, die der Kliniker vom Labormediziner beantwortet wissen möchte.

Ist eine Infektion lokal oder eine Sepsis? Bakteriell oder viral? Gebe ich die effektive antiinfektive Chemotherapie oder nicht? Wie ist der Schweregrad? Kann ich eine prognostische Aussage treffen? Weimann betont, dass man sich gerade im Bereich der Intensivmedizin dessen bewusst sein muss, dass einige Patienten nicht überleben. Ein effektives Screening von Erregern und der Wirksamkeit der Medikation mit Blick auf ausgewählte Biomarker kann dem Arzt - auch im Hinblick auf Kosten - und Effizienz helfen, die Entscheidung zu treffen, einen Patienten weiter zu behandeln oder die lebenserhaltenden Maßnahmen einzustellen.

Ein derartiges Screening „soll dem Intensivmediziner Zeit verschaffen, aktiv zuzuwarten“ so Weimann. Eine umfassende, suffiziente Diagnostik eröffnet dem Mediziner die Möglichkeit auch einmal „einen Tag lang nichts zu tun“. Des Weiteren trägt sie zu deutlich mehr Kosteneffizienz bei und ermöglicht eine bessere Kontrolle bei der Entstehung multiresistener Erreger.

Den multiresistenten Erreger im Blick schildert Weimann die aktuelle Praxis der Antibiotikagabe in Deutschland: 85 Prozent der ABx werden in der Tiermedizin verabreicht. Von den 15 Prozent in der Humanmedizin finden lediglich 0,5 Prozent in der Intensivmedizin Verwendung. Weimann nennt das „eine verkehrte Welt“.

Ein großes Problem in der antiinfektiösen Therapie ist die hohe Rate an falsch gegebenen Antibiosen: nicht notwendige Gaben sowie Gaben wenig effektiver Wirkstoffe für den jeweiligen Erreger. „Die aktuelle best practice bedeutet mit Kanonen auf Spatzen zu schießen“, so Weimann. Gemeinsam mit der Firma Sysmex entwickelte das Labor Berlin der Charité in den letzten 10 Jahren den auf zellulären Werten basierenden Sepsis-Score „ICIS – Intensive Care Infektion Score“, um bessere prognostische Aussagen zu treffen. Eine Kombination von 10 Werten, ausgewertet und bepunktet, würde dann z.B. über dem Bett eines Intensivpatienten angezeigt. Dies bietet dem Arzt eine schnelle Möglichkeit, seine Vorgehensweise an der Prognose zu orientieren. Der ICIS ist 24/7 an 365 Tagen im Jahr an allen Standorten einer Klinik verfügbar, erfordert jedoch eine gezielte Schulung der Mitarbeiter im Hinblick auf die Verwendung der Score-Werte in der laufenden Therapie.

Weimann geht beispielhaft auf die Praxis in der Charité ein. Behandelt man dort einen septischen Patienten mit Antibiotika, benötigt man ein suffizientes Drugmonitoring. Gerade bei multimorbiden Intensivpatienten verabreicht der Arzt in der Regel nicht ein Antibiotikum, sondern eine Kombination. Ziel des therapeutischen Drugmonitoring (TDM) ist zum Ersten die suffiziente Erregerkontrolle sowie zweitens die Verhinderung toxischer Effekte. Weimann weist daraufhin, dass die Patientenklientel nicht „wie im Lehrbuch beschrieben männlich ist, 20 Jahre alt und 70kg wiegt“, sondern „alt und krank“ ist und mehrere potentielle Infektionsquellen durch diverse Zugänge in den Körper aufweist. Zudem muss die Interaktionen zwischen den diversen anderen Medikamenten, die die meisten Patienten auf Grund der Multimorbidität verabreicht bekommen, berücksichtigt werden.  „Das kann keiner. Was Sie jedoch können, ist, aus dem Serum die Konzentration zu bestimmen.“ Dies führt bei unterschiedlichen Patienten zu unterschiedlichen Konzentrationen und wirksamen Dosierungen. Durch suffizientes Drugmonitoring und enge Zusammenarbeit zwischen Kliniker und Laborarzt wird so ein für jeden Patienten personalisierter TDM-Befund erstellt.  

Kalkulierte Therapie ist das Ziel. Dafür ist die Erstellung eines „Hausstandards, angepasst an die vorliegende Patientenklientel“ das Mittel der Wahl. Die interdisziplinäre Arbeitsgruppe ABx hat ein webbasiertes Empfehlungsprogramm (www.dgai-abx.de) zur Behandlung von Infektionen in der Intensiv- und Notfallmedizin entwickelt. Das ABx-Programm stellt evidenzbasierte Empfehlungen unter Berücksichtigung von nationalen und internationalen Leitlinien für die kalkulierte antimikrobielle Therapie zur Verfügung.

„Warum betreiben wir diesen ganzen Aufwand?“ fragt der Experte am Ende seines Vortrags und kommt zu dem Fazit, dass Antimicrobial Stewardship-Konzepte (AST) unverzichtbarer Teil der Prozeduren bei der Therapie von Sepsis sind. Durch konsequentes AST scheint die Einsparung von Liegezeiten, reduzierte ABx-Gaben und in Summe die Kostenreduktion pro Intensivpatient möglich. „Die Beurteilung schwerer Infektionen erfordert die Zusammenarbeit vieler Labordisziplinen  - methodisch wie organisatorisch“, so Weimann abschließend.

04.01.2016

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