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Harnwegsinfekte: Schnellere Diagnose per KI
Der Nachweis einer Harnwegsinfektion erfolgt üblicherweise in der sogenannten Urinkultur: ein Extrakt der Urinprobe wird auf eine Platte aufgebracht und am Folgetag unter dem Mikroskop auf Bakterienwachstum untersucht.
Im Zuge dieses zeitintensiven Verfahrens erweisen sich allerdings mehr als zwei Drittel der Proben als negativ. Diese bereits im Vorhinein als solche identifizieren zu können, würde die Arbeitslast in Labors deutlich verringern. Negative Testergebnisse würden in diesem Fall zudem deutlich schneller vorliegen. Die nun von dem österreichischen und italienischen Forschungsteam entwickelte Künstliche Intelligenz (KI) kann negative Proben genauer als bisherige Methoden erkennen und den Aufwand im Labor um 16% verringern. Es handelt sich bei der eingesetzten Technologie um eine interpretierbare KI: Die behandelnden Ärzte erfahren, aufgrund welcher Merkmale eine Probe als negativ eingestuft wurde. Die Ergebnisse wurden im Fachjournal „American Journal of Clinical Pathology“ veröffentlicht und stehen zur sofortigen Anwendung an geeigneten Maschinen zur Verfügung.
Für uns war es eine zwingende Bedingung, dass unser Algorithmus transparent und nachvollziehbar ist und dass die Ärzte erfahren, warum eine Probe als negativ kategorisiert wurde
Giacomo Da Col
Da es sehr zeitaufwändig ist, jede Urinprobe im Detail zu untersuchen, wenden viele Spitäler bereits Durchflusszytometrie an. Mit deren Hilfe sind Ärzte in der Lage, eine Vorauswahl zu treffen, sodass offensichtlich negative oder kontaminierte Proben erst gar nicht zur Urinkultur kommen. Ein dafür weit verbreitetes Gerät ist das „Sysmex Uf-1000i“, dessen Daten die Forscher im Rahmen ihrer Studie analysierten. Dieses Gerät zählt und klassifiziert Partikel in der Probe vollautomatisch und gibt mehr als 40 Parameter aus, die dann zur Diagnose herangezogen werden können. In bisherigen Methoden zur Identifikation von negativen Proben wurden aber immer nur wenige dieser Parameter verwendet – eine Tatsache, die den Anstoß für das Forschungsprojekt gab. „Wir wollten sehen, ob sich die Ergebnisse noch verbessern lassen, wenn man statt zwei oder drei auch noch die anderen Parameter in die Beurteilung mit einbezieht“, erklärt Giacomo Da Col, Leiter des Projekts bei Fraunhofer Austria. Gemeinsam mit dem Arzt Fabio Del Ben vom National Cancer Institute in Aviano, Italien, und einem Forschungsteam wurden daraufhin 15.312 Proben von 10.534 Patienten ausgewertet.
An die KI, die in dem Projekt zum Einsatz kommen sollte, hatten die Forscher aber besondere Ansprüche: „Gerade in der Medizin ist es wichtig, dass eine KI keine Black Box ist. Es hat aber keinen Sinn, wenn eine KI nur eine Bewertung ausgibt ohne eine Erklärung zu liefern. Für uns war es daher eine zwingende Bedingung, dass unser Algorithmus transparent und nachvollziehbar ist und dass die Ärzte erfahren, warum eine Probe als negativ kategorisiert wurde“, erklärt Giacomo Da Col. Eine Form der KI, auf die das zutrifft, sind sogenannte Entscheidungsbäume. Diese Methodik ist sehr intuitiv und erlaubt es, die von ihnen getroffenen Einschätzungen nachzuvollziehen.
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Blickpunkt: KI in der Medizin
Künstliche Intelligenz soll menschliche Denkprozesse nachbilden und die Arbeit fast aller medizinischer Teilgebiete erleichtern. Doch was geht im Inneren eines KI-Algorithmus vor, worauf basieren seine Entscheidungen? Kann man einer Maschine gar eine medizinische Diagnose anvertrauen?
Die Art, wie Entscheidungsbäume funktionieren ähnelt der Denkweise eines Menschen: es werden nacheinander bestimmte Fragen gestellt, die beantwortet werden, um schlussendlich zu einem Urteil zu gelangen. Dabei stellte das Team fest, dass die Entscheidungskriterien der KI stark mit denen der Ärzte übereinstimmten. So gelangte auch die KI zu dem Schluss, dass eines der wichtigsten Kriterien die Bakterienanzahl sein musste, dicht gefolgt vom Alter des Patienten. Anders als bei bisherigen Verfahren bezogen die Forscher aber auch noch weitere Parameter mit ein. Wichtig dabei war allerdings, die Anzahl der fälschlicherweise als negativ identifizierten Proben gering zu halten. Der aus diesen Bedingungen resultierende Algorithmus verwendet sieben der zur Verfügung stehenden Parameter, hat die geforderte Sensitivität von 95% und kann die Arbeitslast von Labors um 16% im Vergleich zu früheren Methoden verringern.
Um zu diesem Ergebnis zu gelangen, waren mehrere Runden an Verfeinerungsarbeit nötig. „Wir haben mehrere Verbesserungen am Entscheidungsbaum-Algorithmus vorgenommen, um die Leistung zu steigern und gleichzeitig die Interpretierbarkeit zu erhalten“, erklärt Doriana Cobârzan, die bei Fraunhofer Austria an der Entwicklung der KI maßgeblich beteiligt war.
Da der gesamte Entscheidungsbaum im Artikel im American Journal of Clinical Pathology veröffentlicht wurde, können Anwender, die das gleiche Gerät wie das Forschungsteam verwenden, die Methodik sofort dort einprogrammieren und im medizinischen Alltag anwenden.
Ein Wermutstropfen ist für Projektleiter Giacomo Da Col aber die Tatsache, dass die Untersuchung bisher nur an einem einzigen Krankenhaus durchgeführt wurde. Die Forscher suchen daher nach Kooperationspartnern, die eine vergleichbare Studie auch an ihrer Klinik durchführen wollen. „Wenn in einem anderen Krankenhaus beispielsweise bei der Probennahme anders vorgegangen wird, können die Ergebnisse sich auch unterscheiden. Auch die Ernährung der Menschen hat einen Einfluss auf die Auswertung von Urinproben, daher kann es sein, dass in einer Region, in der sich die Menschen anders ernähren, die Ergebnisse etwas abweichen. Es wäre daher wünschenswert, den Algorithmus in anderen Krankenhäusern zu evaluieren“, erklärt Giacomo Da Col.
Quelle: Fraunhofer Austria
10.01.2024