Infektionsgefahren bei Frühgeborenen auf Intensivstationen

In den letzten Tagen wurde in der Öffentlichkeit und in den Medien intensiv und zum Teil unsachlich über die Serratia-Infektionen bei Frühgeborenen in der Charité berichtet. Wir möchten mit dieser Pressemitteilung zur Versachlichung der öffentlichen Diskussion beitragen.

Photo: Infektionsgefahren bei Frühgeborenen auf Intensivstationen

Frühgeborene Kinder auf Intensivstationen haben, u.a. aufgrund ihres unreifen Immunsystems, des häufig sehr langen Krankenhausaufenthalts und der Vielzahl notwendiger intensivmedizinischer Maßnahmen (z.B. Beatmung, Infusionen), ein besonders hohes Infektionsrisiko. Schwere Infektionen bei Frühgeborenen können auch durch Bakterien („Keime“) ausgelöst werden, die nicht über besondere krankmachende Eigenschaften oder Antibiotikaresistenzen verfügen und die für die Normalbevölkerung harmlos sind. Der Kontakt mit Bakterien und besonders die Besiedlung des Darms mit einer stabilen Bakterienflora sind für den Menschen lebenswichtig und schützen ihn vor Infektionen. Frühgeborene verfügen nicht über eine funktionierende Darmflora, so dass die Übertragung von Bakterien besonders schwer zu verhindern ist. In der wissenschaftlichen Literatur sind Ausbreitungen von Bakterien auf Intensivstationen für Frühgeborene vielfach beschrieben.

Seit 1996 ist in Deutschland durch das Nationale Referenzzentrum für die Surveillance von Nosokomialen Infektionen am Robert-Koch-Institut ein bundesweites Überwachungssystem für Krankenhausinfektionen aufgebaut worden (Krankenhausinfektions-Surveillancesystem, KISS). Der besonderen Anfälligkeit der Frühgeborenen wurde bereits seit 2000 dadurch Rechnung getragen, dass die Krankenhausinfektionen bei Frühgeborenen in einem speziellen Modul des KISS-Systems (NEO-KISS) erfasst werden. Durch NEO-KISS gibt es in Deutschland erstmals robuste Zahlen zur Häufigkeit von Krankenhausinfektionen bei Frühgeborenen auf Intensivstationen. Im Zeitraum 2007-2011 lag die Infektionshäufigkeit bei Frühgeborenen mit weniger als 1500 g Geburtsgewicht bei 3 pro 1000 Behandlungstage. Bei sehr kleinen Frühgeborenen mit weniger als 500 g Geburtsgewicht ist die Infektionshäufigkeit noch wesentlich höher (10 pro 1000). Die Häufigkeit von Infektionen bei Frühgeborenen konnte in den letzten Jahren kontinuierlich gesenkt werden (gegenüber dem Vergleichszeitraum 2001-2006 um 10-25%). Die Daten zeigen aber auch, dass eine vollständige Vermeidung von Übertragungen nicht möglich ist.

Einen wesentlichen Beitrag zur Reduzierung der Krankenhausinfektionen in Deutschland leistet auch die bundesweit aktive Kampagne „Aktion Saubere Hände“, deren Zentrale im Institut für Hygiene und Umweltmedizin der Charité angesiedelt ist. Die wiederholte Skandalisierung von Infektionen bei Frühgeborenen in der Öffentlichkeit schadet allen Betroffenen und bedroht die Weiterentwicklung dieses Bereiches der modernen Medizin.

Die Deutsche Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie (DGHM; www.dghm.org) ist mit fast 2000 Mitgliedern die älteste und mitgliederstärkste Fachgesellschaft auf dem Gebiet der Medizinischen Mikrobiologie und Hygiene. Sie fördert die Forschung auf dem Gebiet der Ausbreitung von Krankenhausinfektionen und beteiligt sich an der Beratung von Gesellschaft und Politik in Bezug auf diese Bereiche.

29.10.2012

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