Artikel • Volumen – ja oder nein?
Eine schnelle Entscheidungshilfe mit einfachen Parametern
In der Notfallmedizin besteht eine der schwierigsten und dringendsten Entscheidungen darin, am Patientenbett entscheiden zu müssen, ob der Patient Volumen braucht oder nicht.
Update: Die in diesem Beitrag enthaltenen Informationen sind möglicherweise veraltet. Einen aktuellen Überblick bietet die von der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin federführend herausgegebene S3-Leitlinie Intravasale Volumentherapie bei Erwachsenen.
Der ursprüngliche Artikel ist zu Archivierungszwecken weiterhin verfügbar:
Die frühere Gangart, dem Patienten bei niedrigem Blutdruck Flüssigkeit in Form von Infusionen zu geben, hat sich als zu einfach erwiesen. „Denn selbst unter Hinzuziehung von Kathetermessungen, klinischen Angaben und diagnostischen Bildern, lässt sich nur bei 40-70 Prozent aller Patienten richtig vorhersagen, ob der Patient von der Flüssigkeitsgabe profitieren wird oder nicht, bei 30-60 Prozent der Patienten liegt man also falsch“, erklärt Prof. Dr. Joseph Osterwalder, Chefarzt der Zentralen Notfallaufnahme des Kantonsspitals St. Gallen.
Das Ziel der Volumengabe ist es, das Herzschlagvolumen zu erhöhen und die Herzauswurfleistung zu verbessern. Wenn der Patienten zu wenig oder zu viel Volumen hat, kann dies lebensbedrohliche Folgen haben. Und darum ist die Klärung des Volumens eine sehr wichtige Frage, wobei es für die Notfallmedizin dazu bislang nur sehr wenige verlässliche Daten gibt.
„Der Ultraschall kann dieses diagnostische Dilemma beheben, denn es gibt einfache sonographische Größen, die man bestimmen kann und die uns bei der Entscheidung helfen, ob der Patient von der Volumengabe profitiert oder nicht."
Ultraschall schließt diagnostische Lücke
Die erste Möglichkeit besteht darin den Durchmesser der Vena cava inferior, also der unteren Hohlvene, die in den rechten Vorhof mündet, zu bestimmen und zu beobachten, was passiert, wenn der Patient atmet“, erklärt Prof. Osterwalder. Idealerweises misst man den Längsdurchmesser zwei Zentimeter unterhalb der Einmündung der Lebervenen in die Hohlvene. Sofern dieser Durchmesser unter einem Zentimeter liegt, hat der Patient zu wenig Volumen. „In diesem Fall kann man problemlos Volumen geben.“ Ein zweiter Parameter ist die Messung des Durchmessers der Hohlvene, wenn der Patient atmet. Denn wenn ein Patient zu wenig Volumen hat, dann wird bei der Einatmung die Vene kollabieren, d.h. sie wird kleiner. Osterwalder: „Liegt diese Verkleinerung bei über 40 Prozent ist, was man eigentlich auch mit dem Auge sehen kann, dann darf man wieder Volumen geben, unabhängig ob der Durchmesser jetzt 3 oder 4 Zentimeter beträgt.“
Eine weitere Möglichkeit die Volumenreagibilität zu bestimmen, besteht darin, zunächst einen Volumenbolus zu geben und anschließend zu schauen, ob der Patient davon profitiert. Ein relativ einfaches Verfahren dafür ist die Messung des Velocity Time Integral (VTI), also die Länge der Blutsäule, welche pro Schlag ausgeworfen wird. Nach einer Volumengabe muss sich die Höhe des Blutzylinders erhöhen. „Eine dritte Möglichkeit bietet die Lungensonographie. Wenn an verschiedenen Orten viele sogenannte B-Linien vorliegen – das sind Artefakte, die von der Pleuralinie ausgehen und wie kleine Laserstrahlen durch das ganze Bild gehen dann wissen wir, dass die Lunge überwässert ist. Wenn der Patient zu Beginn keine B-Linien hat, aber nach der Volumengabe diese sichtbar werden, dann muss man aufhören“, schildert der Professor.
Umgekehrte Verhältnisse bei intubierten Patienten
Die benannten Verfahren für das messen der VCI gelten nur, wenn der Patient spontan atmet, sobald der Patient intubiert ist, herrschen andere Verhältnisse. Das Einatmen erzeugt beim Gesunden einen Unterdruck in Lunge und Thorax und deshalb kollabiert die untere Hohlvene auch. Beim beatmeten Patienten wird durch die Inspiration ein Überdruck geschaffen, der Druck von außen ist also größer als der von innen, und dann passiert genau das Gegenteil. Bei der Inspiration wird die Vene größer und beim Ausatmen wird sie kleiner. Dabei gilt: Wenn die Vena cava inferior sich um 12 Prozent nach Einatmung vergrößert, kann man Volumen geben. „Wenn wir überwachen wollen, ob der Patient auf das Volumen angesprochen hat, dann wird wieder überprüft, ob die B-Linien zunehmen und die Blutsäulenlänge vor und nach Volumengabe miteinander verglichen. Wenn die Differenz bei über zehn Prozent liegt, dann war die Therapie erfolgreich, bei einer geringeren Differenz ist der Effekt fraglich“, erklärt Prof. Osterwalder einen Grundsatz.
Neue Studienergebnisse
Bereits die Gabe von einem halben Liter Volumen kann für den Patienten sehr gefährlich sein. Eine neue Studie zeigt, wie man das Risiko der Volumengabe besser abschätzen kann: „Wenn man 50 ml einer Kochsalzlösung gibt und sich bei der Messung der Blutsäule zehn Sekunden später der Auswurf um über neun Prozent erhöht, dann darf man später auch einen halben oder einen ganzen Liter Flüssigkeit geben. Das ist eine relativ einfache Sache, aber sehr nützlich, weil es für uns die Volumengabe eine sehr schwierige Entscheidung ist. Denn wenn man das nicht richtig macht, dann schadet man dem Patienten, sie haben eine erhöhte Sterblichkeit und mehr Komplikationen.“
Profil:
Prof. Dr. Joseph Johann Osterwalder leitet seit 1988 die Zentrale Notaufnahme des Kantonspitals St. Gallen, CH. Der Allgemeinmediziner ist Fellow of the European Society for Emergency Medicine, hat zahlreiche Zertifikate, unter anderem in Notfallsonographie und einen Master in Public Health der Harvard School of Public Health. Für das Internationale Komitee des Roten Kreuzes war er in acht Missionen in Krisengebieten auf der ganzen Welt tätig. In der DEGUM leitet er die Arbeitsgruppe Notfallsonographie, ebenso in der SGUM.
Saal Freiburg Süd
Mi., 29.10., 09:30–10:00 Uhr
Sonographischer Update
zur Volumenreagibilität
J. Osterwalder, St. Gallen (CH)
Session: Notfallsonographie,
Teil 1: Update (AWS8)
23.10.2014