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News • Automatisierte Insulin-Dosierung (AID)
Neue Diabetes-Technik auf dem Vormarsch – aber nicht für alle
Die neuen Diabetestechnologien haben in den letzten 25 Jahren die Behandlung von Typ-1-Diabetes revolutioniert. Die automatisierten Insulin-Dosierungssysteme (AID) – auch hybrides Closed-Loop-System oder „künstliche Bauchspeicheldrüse“ genannt – sind ein Game-Changer in der Diabetestherapie.
Doch für Kleinkinder stehen diese Systeme nur eingeschränkt zur Verfügung, da für diese Altersgruppe nur wenige Systeme zugelassen oder praktikabel sind. Doch weil gerade für die jüngsten Diabetespatienten ein gutes technisch unterstütztes Therapieangebot enorm wichtig ist, fordert die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) einen leichteren und schnelleren Zugang zu modernen Systemen.
Mehr als 60% der Kinder und Jugendlichen und etwa 40% der Erwachsenen mit Typ-1-Diabetes nutzen Insulinpumpen. „Ein entscheidender Wendepunkt war 2016 die Verordnungsfähigkeit von kontinuierlichen Glukosemesssystemen (CGM-Systeme)“, erklärt Professor Dr. Andreas Neu, Past-Präsident der DDG und Arzt für Kinder- und Jugendmedizin. „Diese Technologie hat zusammen mit den automatisierten Insulinabgabe-Systemen die Diabetestherapie grundlegend verändert.“
Aktuell sind nicht alle Systeme für die Jüngsten zugelassen, obwohl sie am meisten von dieser Technologie profitieren könnten
Andreas Neu
Automatisierte Insulin-Dosierungssysteme, auch bekannt als Hybrid-Closed-Loop (HCL) Systeme, kombinieren Insulinpumpen und CGM zur automatischen Insulinabgabe basierend auf Echtzeit-Glukosewerten. Ein Algorithmus passt regelmäßig die Insulindosis an und kann Korrekturboli automatisiert abgeben. Das wiederum verbessert die Stoffwechseleinstellung, stabilisiert nächtliche Blutzuckerverläufe und reduziert Blutzuckerentgleisungen sowie Hypoglykämien. Sie ahmen die Funktion der Bauchspeicheldrüse sehr zuverlässig nach und erleichtern damit den Alltag der Betroffenen. Indem sie die Insulindosierung automatisch an den Kohlenhydratverbrauch und die körperlichen Aktivitäten anpassen, entlasten sie nicht zuletzt auch die Angehörigen bei der Therapieüberwachung. Durch die verbesserte Stoffwechseleinstellungen wird zudem das Risiko für sowie die Angst vor Folgeerkrankungen reduziert.
Besonders bei Kleinkindern mit Typ-1-Diabetes ist die Glukoseeinstellung häufig schwierig. Sie benötigen meist nur eine geringe Insulinmenge und ihr Ess- und Aktivitätsverhalten ist schwer vorhersehbar. Ihre Eltern sind durch die erschwerten Verhältnisse besonders belastet. Deshalb könnten AID-Systeme speziell für diese Zielgruppe sowie ihre Angehörigen von großem Nutzen sein. „Der Zugang für diese Patientengruppe zu den modernen Systemen ist uns daher ein besonderes Anliegen“, so Neu. „Aber aktuell sind nicht alle Systeme für die Jüngsten zugelassen, obwohl sie am meisten von dieser Technologie profitieren könnten.“ Eine internationale Studie bestätigt eine hohe Effektivität der Nutzung von AID-Systemen bei Vorschulkindern.1
Wie in allen Bereichen der Medizinprodukte und Arzneimittelentwicklung werden die Systeme oft zunächst für Erwachsene oder ältere Kinder und Jugendliche überprüft. Daher gibt es derzeit nur begrenzte Optionen für Kinder unter 7 Jahren. „Es ist daher notwendig, die Zulassungsverfahren zu vereinfachen und zu beschleunigen, damit die jüngsten Patienten schnellstmöglich am Fortschritt teilhaben können“, fordert Neu.
Um die neuen Technologien für Menschen mit Diabetes besonders effektiv nutzbar zu machen, müssen die Rahmenbedingungen stimmen: Diabetes-Teams müssen kontinuierlich geschult werden, um mit den sich ständig weiterentwickelnden Systemen Schritt zu halten. Zudem benötigen Betroffene umfassende Schulungen und Sprachkenntnisse, um die komplexen Technologien zu verstehen und richtig anzuwenden. „Eine gründliche Schulung und regelmäßige Auffrischungen sind entscheidend für den Therapieerfolg“, betont Neu. „Schließlich sind auch Selektivverträge und unterschiedliche Softwarelösungen der AID-Systeme problematisch. Eine Vereinfachung der bürokratischen Hürden und eine höhere Interoperabilität der Systeme wären wünschenswert, um die Versorgungssituation weiter zu verbessern.“
Quelle: Deutsche Diabetes Gesellschaft
12.07.2024