Artikel • Gefäßintervention
Unterschenkel heute viel besser therapierbar
Interventionell-radiologische Verfahren im Bereich der Unterschenkelarterien nehmen in den letzten Jahren deutlich zu. Dafür gibt es Gründe: zum einen werden die Menschen immer älter, zum anderen lassen wesentlich verbesserte Techniken und Materialien inzwischen auch die Behandlung sehr dünner Gefäße zu. Professor Dr. Dierk Vorwerk, Direktor des Instituts für Radiologie am Klinikum Ingolstadt, erläutert die wichtigsten Innovationen. In seiner Abteilung findet inzwischen fast ein Drittel aller Eingriffe am Unterschenkel statt
Die Gefäße des Unterschenkels sind feine Gebilde, sie messen im oberen Bereich 3 mm und unten bestenfalls 1,5 mm. Mit den früher verfügbaren Drähten und Ballonkathetern waren Interventionen daher nur begrenzt möglich. Selbst bei sehr harten Gefäßen, die ein Manöver mit einem 14er- oder 18er-Draht zuliessen, machte das Voranschieben des Ballonkatheters aufgrund der hohen Friktion immer wieder Schwierigkeiten. Inzwischen sind Drähte und Instrumente filigraner und vor allem vielseitiger. So gibt es in Ergänzung zu Ballonkathetern, die heutzutage bis zu 20 cm lang sind, sogenannte Supportkatheter. Sie verjüngen sich zur Spitze hin, haben eine hohe Stabilität und unterstützen den Prozess des Vorschiebens, indem das Gefäß vordehnen. Auch kann die Stabilität durch die zusätzliche Verwendung langer Führkatheter oder Schleusen verbessert werden.
Neu auf dem Markt sind auch Atherektomie-Systeme, die wie eine Fräse die Verkalkungen von der Gefäßwand lösen und sie pulverisieren. Zu den neuen Materialien kommen neue Methoden. Gelingt der Zugang von der Leiste kommend nicht, wird das Gefäß hinter der Stenose im Unterschenkel gezielt punktiert und von da aus im Rückwärtsgang eröffnet. Das funktioniert auch über den Fußbogen. „Von Rendezvous-Technik sprechen wir, wenn der Zugang von oben und unten gleichermaßen gesucht wird“, so Vorwerk. In seiner Abteilung sind diese besonderen Techniken allerdings eher die Ausnahme. „Das Arbeiten von der ipsilateralen Leiste aus funktioniert meistens so gut, dass ich auf Spezialtechniken verzichten kann.“ Anders ist es bei der Katheterisierung im cross-over-Verfahren. Dabei wird von der Gegenseite aus gearbeitet, was nachteilig ist, da wegen der längeren Strecke und dem Kraftverlust in der aortalen Bifurkation nicht die volle Kraft aufgewendet werden kann. Alternativ kann dann der Zugang von unten gewählt werden.
Wo wird interveniert?
Neben den vorderen und hinteren Tibia-Arterien liegt tief in der Mitte die Arteria fibularis. Sie ist bei den meisten Patienten das wichtigste Gefäß, weil ihre kräftige Kollaterale den Fuß mit Blut versorgt – auch dann, wenn alles andere nicht mehr hilft. Zusätzlich werden die Gefäße unterhalb des Sprunggelenks dilatiert und das mit gar nicht mal so schlechtem Ergebnis, auch wenn die Datenlage noch recht dünn ist. Die Kniegelenksarterie ist die Hauptleitung für die Blutversorgung des Unterschenkels. Sie weist häufig starke Verkalkungen auf, die zu Beeinträchtigungen am Fuß führen. Eine Stent-Implantation in Höhe des Gelenkspalts ist allerdings nachteilig. Wichtig für die Beinversorgung sind Kollateralen aus der tiefen Oberschenkelarterie, die ober- und unterhalb des Kniegelenks enden und Engstellen der Kniegelenksarterie teilweise kompensieren können.
Wann wird behandelt?
Die periphere Gefäßkrankheit wird nach der Fontaine- oder der Rutherford Klassifikation beschrieben. Die schweren Stadien führen zu Ruheschmerzen (Fontaine III, Rutherford 4) oder trophischen Störungen, die oft mit offenen Wunden, schwarzen Zehen und dergleichen einhergehen (Fontaine IV, Rutherford 5-6). „Wir behandeln die Unterschenkelarterien ab dem Stadium III, also dann, wenn Ruheschmerz oder trophische Störungen auftreten.“ Einzige Ausnahme: Haben Patienten eine isolierte enge Stenose des Truncus tibiofibularis, die Wadenschmerzen beim Laufen verursacht, interveniert Vorwerk früher.
Vorrangiges Ziel ist die Wundheilung
Ein entscheidendes Kriterium für den klinischen Erfolg eines Eingriffs ist die Funktionstüchtigkeit der kleinen Arteriolen. Es gibt Patienten, bei denen das Gefäß zwar sehr gut eröffnet werden kann, die Versorgung des Gewebes dadurch aber nicht verbessert wird. Grund hierfür: Die kleinen Gefäße sind nicht mehr in der Lage das Mehr an Blut, das in den Fuß geschickt wird, ins Gewebe zu transportieren. Das ist im Vorfeld oft nicht gut zu beurteilen, an Tests zur Prognosesicherung wird momentan gearbeitet. Bei Interventionen der Unterschenkelarterien geht es nicht primär darum, das Gefäß langfristig offen zu halten; vorrangig soll die Wunde am Fuß abheilen und den Patienten in ein stabiles Stadium 2b zurückführen. „Wundheilung und damit der Erhalt des Gewebes von Fuß- und Unterschenkel, also die Vermeidung der Amputation, ist das große Thema. Natürlich beim diabetischen Fuß, aber nicht nur da. Verglichen damit ist die Schmerzfreiheit des Patienten beim Gehen eher zweitrangig.“ Zumal die meisten dieser Patienten nicht mehr viel laufen und als Diabetiker oft auch über kein ausgeprägtes Schmerzempfinden mehr verfügen.
Perkutane Ballon-Katheterisierung vor Bypass und Stents
Im Rahmen der Gefäßkonferenz klären Angiologen, Kardiologen, Nephrologen und Radiologen die Zuständigkeiten und besprechen die geplanten Eingriffe. „Meistens geben wir einem perkutanen Versuch mit Ballons den Vorrang. Gelingt dieser nicht, wird ein Bypass gelegt. Hier sind wir allerdings zurückhaltender geworden, denn einmal gesetzt, ist eine erneute Öffnung schwierig. Auch sind die Durchgängigkeitsergebnisse nicht optimal. Als ultima ratio beim Gefäßverschluss gilt die sehr umstrittene Sympathikolyse. Dabei wird das sympathische Nervengeflecht am Rücken zerstört, um so die Gefäße zwangsweise zu weiten.
Stents spielen beim Unterschenkel keine große Rolle: die Läsionen sind teilweise über 20 cm lang und Stents in dieser Größe rar.
Der Einsatz medikamentenbeschichteter Ballons ist derzeit umstritten. Erste Ergebnisse einer groß angelegten Studie konnten nicht wirklich überzeugen. Auch leidet das Verfahren darunter, dass die Kassen die Kosten dafür nicht übernehmen. Zudem hat eine Metaanalyse ergeben, dass die Mortalitätsrate bei Patienten, die mit beschichteten Ballons behandelt wurden, signifikant höher war als bei solchen ohne Medikament: „Der Unterschied ist zwar sehr gering, aber eben doch signifikant – für uns ein Grund, mit Drug-Eluting-Stents zurückhaltend zu verfahren.“
Diese Unsicherheiten haben dazu geführt, dass medikamentenbeschichtete Ballons nur verwendet werden, wenn die Patienten dem Verfahren nach ausgiebiger Aufklärung explizit zustimmen.
Mögliche Kandidaten für einen erneuten Eingriff mit einem medikamentenbeschichteten Ballon trotz Risiko: Patienten, die innerhalb von nur drei Monaten eine erneute Einengung aufweisen oder die innerhalb eines Stents eine ausgeprägte neointimale Hyperplasie entwickelt haben.
Profil:
Prof. Dr. Dierk Vorwerk ist Mitbegründer der 2008 ins Leben gerufenen Deutschen Gesellschaft für Interventionelle Radiologie und minimalinvasive Therapie (DeGIR). Er leitet seit 21 Jahren das Institut für Diagnostische und Interventionelle Radiologie am Klinikum Ingolstadt. Vorwerk ist renommierter Autor zahlreicher wissenschaftlicher Arbeiten und Buchbeiträge und Mitglied sowie Ehrenmitglied in vielen nationalen und internationalen Fachgesellschaften. Von 2012 – 2014 war Vorwerk Vorsitzender der DeGIR und von 2015 – 2017 Präsident der Deutschen Röntgengesellschaft (DRG).
Veranstaltungshinweis:
Samstag, 28. September 2019, 09:40-10:00 Uhr
Raum: Chiemgau
Session: Symposium 12 – Radiologie trifft Gefäßchirurgie
Unterschenkelinterventionen
Prof. Dr. Dierk Vorwerk (Ingolstadt)
28.09.2019