Das Flying Intervention Team auf dem Weg zu einem Patienten.
Das Flying Intervention Team auf dem Weg zu einem Patienten.

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Schlaganfall: In Bayern kommt die Hilfe aus der Luft

Bei einem Schlaganfall sind die Wege von der Erstdiagnose bis zur erfolgreich durchgeführten Thrombektomie oder Lysetherapie manchmal lang, insbesondere wenn der Patient im ländlichen Raum mit dem Krankenwagen in zum Teil viele Kilometer weit entfernte Interventionszentren gefahren werden muss. Um da Abhilfe zu schaffen, haben die Experten vom Telemedizinischen Schlaganfall-Netzwerk (TEMPiS) in Südostbayern im Februar 2018 das „Flying Intervention Team“ (FIT) ins Leben gerufen.

Dabei handelt es sich um ein Team an interventionellen Neuroradiologen aus dem Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München und dem Städtischen Klinikum München Harlaching, die derzeit 13 Kliniken in Oberbayern, Niederbayern und der Oberpfalz per Hubschrauber anfliegen und die Schlaganfallversorgung vor Ort vornehmen. Auf diese Weise kann die Zeitspanne bis zur Behandlung um gut 80 Minuten verkürzt werden. Ein weltweit einzigartiges Pilotprojekt.

Zeit wird um ein Vielfaches reduziert

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Margit Winkel ist stellvertretende MTRA-Leitung und Lehr-MTRA im RoMed Klinikum Rosenheim.

Margit Winkel, stellvertretende MTRA-Leitung und Lehr-MTRA im RoMed Klinikum Rosenheim, war bei dem ersten Thrombektomie-Eingriff der ‚Flying Docs‘ in ihrer Klinik dabei: „Bisher mussten wir unsere Patienten immer zur Schlaganfallbehandlung nach München schicken. Dadurch ging wertvolle Zeit verloren. Jetzt kommen die erfahrenen Interventionalisten per Hubschrauber zu uns, wodurch viel Zeit gespart wird.“ Sobald die Diagnose „ischämischer Schlaganfall mit Gefäßverschluss“ gesichert ist, rufen Winkel und ihre Kollegen das TEMPiS-Team an und schicken die CT-Aufnahmen nach München. Die Experten vor Ort entscheiden dann, ob eine mechanische Thrombektomie für den Patienten angezeigt ist. Entscheiden sie sich für den Eingriff, steigen die Ärzte innerhalb weniger Minuten in den Hubschrauber. „Dann geht alles sehr schnell und wir dürfen keine Zeit verlieren“, berichtet Winkel. „Wir bekommen eine Ankunftszeit genannt und bereiten parallel den Patienten in unserem Angiographie-Raum für die Narkose und Behandlung vor. Die Neuroradiologen bringen ihre eigene MTRA bzw. OP-Schwester sowie das wichtigste Equipment mit, beispielsweise Spezialkatheter für die Thrombektomie. Wenn der Hubschrauber landet, sind wir ‚stichbereit‘. Anfangs waren wir eher skeptisch, ob angesichts des hohen Organisationsaufwands alles reibungslos funktionieren würde, doch die Zusammenarbeit mit den ‚Flying Docs‘ verlief von Beginn an vorbildlich. Inzwischen sind wir ein gut eingespieltes Team und haben allein hier in Rosenheim im ersten Jahr 16 Patienten auf diesem Weg helfen können.“

Durch die exklusive Bereitstellung des Hubschraubers für das Projekt kann bei entsprechender Witterung sofort gestartet werden; es fehlen zudem keine Transportmittel für anderweitige Notfälle (z. B. Unfälle).

Angio-Dienst in Rosenheim eingeführt

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Ein entfernter Thrombus.

Die steigende Nachfrage nach Notfall-Angio-Interventionen und die Einbindung in das FIT-Projekt hat in Rosenheim zur Einführung eines eigenen Angio-Dienstes geführt. Vier Mitarbeiter aus dem radiologischen Team sind nun rund um die Uhr tätig. Somit steht den „Flying Docs“ auch am Wochenende qualifiziertes Personal zur Verfügung. Und die guten Erfahrungen sprechen für sich. „Es hat von Anfang an alles sehr gut funktioniert“, sagt Winkel. „Für uns ist es äußerst bereichernd und befriedigend zu erleben, wie schnell einem Schlaganfallpatienten geholfen werden kann. Bisher haben wir nur diagnostiziert, nun bekommen wir auch die Intervention live mit und sehen direkt das Ergebnis, nämlich den entfernten Thrombus.

Das von TEMPiS-Koordinator Dr. Gordian Hubert initiierte Pilotprojekt ist zunächst auf drei Jahre terminiert. Es wurde vom Bayerischen Krankenhausplanungsausschuss genehmigt und wird von den Bayerischen Krankenkassen finanziert. Ziel der Projektphase ist es, die unterschiedlichen Behandlungswege miteinander zu vergleichen und die Ergebnisse auszuwerten: Deshalb fliegen die Neuroradiologen zwei Wochen im Monat zu den Patienten, und zwei Wochen werden die Patienten nach dem bisherigen Versorgungsmodell behandelt und in das nächstgelegene Interventionszentrum verlegt. Zahlreiche Prozess- und Qualitätsparameter werden während des Projekts erfasst und analysiert. Zusätzlich werden die Patienten drei Monate nach der Behandlung telefonisch zu ihren Erfahrungen und ihrem aktuellen Gesundheitszustand befragt. So soll überprüft werden, ob die Patienten langfristig von der neuen Versorgungstruktur profitieren. Die wissenschaftliche Auswertung wird durch das Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege gefördert. Sind die Ergebnisse überzeugend, könnte das ein großer Schritt in Richtung einer flächendeckenden und schnelleren Behandlung von Schlaganfallpatienten in dieser Region sein.


Profil:
Margit Winkel ist stellvertretende MTRA-Leitung und Lehr-MTRA im RoMed Klinikum Rosenheim. Ihre Ausbildung zur MTRA absolvierte sie in Dresden, bevor es sie nach Rosenheim zog, wo sie zehn Jahre lang als Funktionsstellenleitung der Unfallröntgenabteilung tätig war. Während dieser Zeit ließ sie sich zur Leitenden MTRA und zur Lehr-MTRA ausbilden, und absolvierte eine Weiterbildung zur zertifizierten Fachkraft für Mammadiagnostik. Winkel ist zudem als Dozentin in Strahlenschutzkursen aktiv.

Veranstaltungshinweis:
Freitag, 27. September 2019, 10:00-11:00 Uhr
Raum: Bayern
Session: MTRA 1 – Stroke – akut

27.09.2019

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