News • Krankheit und Armut
Medizinische Innovationen für Afrika
Ebola, Malaria, Tuberkulose: Das sind nur die drei bekanntesten armutsbedingten Krankheiten, unter denen Millionen von Menschen leiden. Dass sie gerade in armen Ländern auftreten, liegt zum einen an der unzureichenden medizinischen Versorgung vor Ort.
Aber auch daran, dass das Entwickeln entsprechender Medikamente in Industrieländern – wirtschaftlich gesehen – wenig attraktiv ist. Neue, nicht gewinnorientierte Kooperationen zur Arzneimittelentwicklung, offene Innovationsprozesse und der Ausbau klinischer Zentren und Zulassungseinrichtungen in den betroffenen Regionen können Forschung und Produktentwicklung stärken. Handlungsmöglichkeiten wie diese zeigt das vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) betriebene Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) in einer aktuellen Untersuchung auf.
Wir brauchen mehr Engagement an unterschiedlichen Stellen
Katrin Gerlinger
Die Ergebnisse der Studie im Auftrag des Parlaments sind die bisher umfangreichste Auseinandersetzung mit dem Thema medizinischer Innovationen für Entwicklungsländer und der diesbezüglichen Rolle Deutschlands. „Der medizinische Innovationsprozess ist in den Industrienationen weitgehend kommerzialisiert, das heißt die aufwendige Produktentwicklung muss über die Arzneimittelpreise refinanziert werden. Das führt dazu, dass neue Medikamente meist nur für weltweit auftretende Krankheiten entwickelt werden und über Jahre sehr teuer – für arme Länder unbezahlbar – sind“, sagt Katrin Gerlinger, die Leiterin der Studie am TAB. Zudem finde zu Krankheiten, die fast nur in Ländern auf der südlichen Halbkugel auftreten, keine ausreichende Produktentwicklung statt.
Inwiefern die kommerzialisierte Pharmaforschung Kern des Problems ist und ob Marktmechanismen lediglich ergänzt oder gar ersetzt werden sollen, diskutieren unterschiedliche Akteure, von Nichtregierungsorganisationen über Global-Health-Experten und privaten Stiftungen bis hin zu Pharmavereinigungen, teils sehr kontrovers. Als Beispiele nennt Katrin Gerlinger den Streit über Patente und Handelsverträge. „Für die einen sind sie Motoren der Produktentwicklung, für die anderen Ursache und Verschärfer des Problems“, so Gerlinger. Um nicht in diesem allgemeinen Schlagabtausch gegensätzlicher Positionen stecken zu bleiben, habe das TAB gemeinsam mit mehreren Gutachterteams den gesamten Innovationsprozess in den Blick genommen: von der öffentlich finanzierten Grundlagenforschung über die zumeist kommerzialisierte Produktentwicklung bis zur Zulassung und der Überwachung während der Anwendung. „Wir brauchen mehr Engagement an unterschiedlichen Stellen“, so Gerlinger.
Open Innovation gewinnt an Bedeutung
Positiv bewertet die Untersuchung vor allem Open-Innovation-Initiativen nach US-amerikanischem und britischem Vorbild: Öffentliche Einrichtungen und Pharmafirmen öffnen ihre Substanzbibliotheken und Labore gezielt für Forschungsaktivitäten zu ausgewählten vernachlässigten Krankheiten, verwalten und nutzen Patente gemeinsam und machen Daten und Unterlagen von klinischen Studien für die gemeinsame Weiterentwicklung von Wirkstoffen zugänglich. „Deutsche Einrichtungen sind hier noch sehr zurückhaltend", so Katrin Gerlinger. Um das große Potenzial eines gemeinsamen Kampfs gegen vernachlässigte Krankheiten auszuschöpfen, seien mehr Eigeninitiative seitens öffentlicher und privater Forschungseinrichtungen sowie ein noch deutlicheres forschungspolitisches Engagement wünschenswert.
Eine weitere wesentliche Handlungsoption für die deutsche Politik sieht die Expertin für Technikfolgenabschätzung im Ausbau klinischer Zentren und Zulassungsinstanzen vor Ort. Denn Studien, welche die Wirksamkeit der neuen Substanzen belegen, können nur dort durchgeführt werden, wo die Krankheiten grassieren. Um die dafür notwendigen hochqualifizierten Arbeitsplätze insbesondere in afrikanischen Ländern zu schaffen, sollten entwicklungs-, gesundheits- und forschungspolitische Ressorts eine gemeinsame Strategie verfolgen. Dies trage gleichzeitig dazu bei, den Braindrain – also das Auswandern von Fachkräften – zu unterbrechen.
Darüber hinaus sollten laut der Untersuchung im Parlament Anreize zur Förderung des privatwirtschaftlichen Engagements, wie Steuergutschriften oder Erfolgshonorierungen diskutiert werden. Auch sollten in diesem Bereich engagierte Forschungseinrichtungen in Deutschland sichtbarer werden.
Für Professor Armin Grunwald, Leiter des TAB und des Instituts für Technikfolgenabschätzung und Systemanalyse (ITAS) am KIT zeigt die Studie, wie das Beobachten der Praxis und theoretische Überlegungen in der Technikfolgenabschätzung gewinnbringend zusammenwirken. Im aktuellen Fall liefert die Technikfolgenabschätzung Entscheidungsträgern in Politik, Wissenschaft und Industrie so eine solide Informationsbasis zur besseren Ausrichtung des medizinisch-technischen Innovationssystems. Wenn dann die politische Befassung mit den erarbeiteten Handlungsoptionen im neuen Bundestag zu weiteren medizinischen Innovationen beiträgt, würde ich mich umso mehr freuen", sagt er.
Quelle: Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
02.11.2017