Die Schilddrüse beeinflusst mit ihren Botenstoffen nahezu jede Zelle des Körpers. Eine Fehlfunktion wirkt sich daher auch auf Herz und Kreislauf aus.

Bildquelle: Adobe Stock/Axel Kock

News • Endokrinologie und Kardiologie

Kranke Schilddrüse kann auch das Herz schädigen

Die Schilddrüse ist ein kleines, aber äußerst wirkmächtiges Organ: Sie produziert Substanzen, die den kompletten Organismus beeinflussen – die Schilddrüsenhormone.

Praktisch alle Zellen des Körpers stehen unter der Regie dieser chemischen Botenstoffe. Besonders ausgeprägt sind die Effekte der Schilddrüsenhormone T3 (Trijodthyronin) und T4 (Thyroxin) auf Herz und Kreislauf, deren zentrale Steuerung durch das Gehirn erfolgt. Beide Hormone sind unerlässlich für den Stoffwechsel des Körpers und wahre Multiplayer. Schilddrüsenhormone 

  • regulieren den Energieverbrauch, 
  • sind wichtig für das Aufrechterhalten der Körpertemperatur, 
  • regulieren Blutdruck und Cholesterinspiegel,
  • bestimmen die Funktionen des Gehirns und der Muskeln,
  • spielen entscheidend mit bei Wachstum und Entwicklung und noch vieles mehr.
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Prof. Dr. Thomas Meinertz

© Herzstiftung

„Das Herz ist ein wesentliches Zielorgan der Schilddrüsenhormone“, betont der Hamburger Kardiologe Prof. Dr. Thomas Meinertz, Chefredakteur der Deutschen Herzstiftung. „Die Botenstoffe der Schilddrüse regulieren die Kraft des Herzens, die Herzschlagfolge, also die Herzfrequenz, und das zirkulierende Blutvolumen. Eine Funktionsstörung der Schilddrüse wirkt sich deshalb immer auch auf Herz und Kreislauf aus.“ Bei einer Erkrankung des Herz-Kreislauf-Systems müsse daher stets an die Schilddrüse gedacht werden, betont Meinertz, Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der Herzstiftung. „Trotzdem wird die Diagnose oft erst mit Verspätung und als Zufallsbefund gestellt.“ 

Die aktuelle Ausgabe der Zeitschrift "Herz heute" der Deutschen Herzstiftung legt den Fokus auf Krankheiten wie beispieslweise Schilddrüsenerkrankungen oder die kardiale Amyloidose, die Herz und Kreislauf in Mitleidenschaft ziehen können. Weitere Informationen sind auf der Webseite der Stiftung verfügbar

Kaum daumengroß und nur 20 bis 30 Gramm schwer liegt die Schilddrüse wie ein Schild unterhalb des Kehlkopfs. Ihre beiden mit einer Gewebebrücke verbundenen Seitenlappen umspannen die Luftröhre in der Form eines Schmetterlings. Daher spricht man häufig auch von der „Schmetterlingsdrüse“. In unserem Gehirn sitzt die kirschkerngroße Hirnanhangdrüse (Hypophyse), die wiederum eng mit dem Hypothalamus verbunden ist, einem Areal im Zwischenhirn. Beide zusammen regeln über Steuerhormone die Funktion aller Hormondrüsen. Für die Schilddrüse zuständig ist das vom Hypothalamus gebildete Steuerhormon TRH (Thyreotropin Releasing Hormone). Es gelangt in die Hypophyse und veranlasst sie dazu, ein weiteres Hormon zu produzieren: das schilddrüsenstimulierende Hormon TSH. Mit dem Blut gelangt TSH in die Schilddrüse und beauftragt deren Zellen, die Schilddrüsenhormone T3 (Trijodthyronin) und T4 (Thyroxin) zu bilden. Herzmuskelzellen sind hauptsächlich auf T3 angewiesen. 

portrait of franz rinninger
Prof. Dr. Franz Rinninger

© UKE

„Dass eine überaktive Schilddrüse mit Herz-Kreislauf-Beschwerden einhergehen kann, sollten sowohl Patienten als auch ihr behandelnder Arzt mitbedenken, wenn entsprechende Symptome auftreten“, betont der Internist Prof. Dr. Franz Rinninger, Facharzt für Endokrinologie und Diabetologie am Universitätsklinikum Hamburg- Eppendorf (UKE). Eine solche Überfunktion der Schilddrüse, in der Medizin Hyperthyreose genannt, kommt bei einer unter 100 Personen vor. Die Schilddrüse schüttet dabei zu viele Hormone aus und kurbelt Herz und Kreislauf an, beide arbeiten unnötigerweise auf Hochtouren. „Die Folge sind dann Herzrasen oder Herzstolpern, Zittern, Nervosität und Unruhe sowie ein erhöhter Blutdruck“, berichtet Rinninger. 

Nicht oder nur unzureichend behandelt, könne eine Schilddrüsenüberfunktion zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen, beispielsweise zu Vorhofflimmern, führen oder gar lebensbedrohlich verlaufen, erklärt der Internist. Bei der Hyperthyreose unterscheidet man zwei Verlaufsformen: die latente Form, die keine Beschwerden verursacht, und die manifeste mit deutlichen Beschwerden. Die latente Form wird häufig übersehen, nicht selten ist Vorhofflimmern das einzige darauf hindeutende Zeichen. Eine manifeste Überfunktion zeigt in der Blutanalyse erhöhte T3- und T4-Werte. „Die manifeste Überfunktion ist behandlungsbedürftig und es werden Thyreostatika gegeben, die die Bildung der Schilddrüsenhormone hemmen“, erklärt Rinninger.

Schilddrüsennebenwirkungen sind unter einer Therapie mit dem Herzrhythmusmedikament Amiodaron so häufig, dass eine regelmäßige Kontrolle der Schilddrüsenfunktion vor und während der Amiodaron-Therapie zwingend erforderlich ist

Franz Rinninger

Bei Patienten mit Herzerkrankungen ist wiederum das Medikament Amiodaron nicht selten der Grund für eine Funktionsstörung der Schilddrüse. Amiodaron ist der am häufigsten eingesetzte und effektivste Arzneistoff, um Herzrhythmusstörungen zu behandeln, die mit einer schnellen Herzschlagfolge einhergehen (tachykarde Herzrhythmusstörung). Bei 20-25% der länger mit Amiodaron behandelten Patienten kann das Medikament jedoch aufgrund seines hohen Jodgehalts funktionelle Störungen der Schilddrüse auslösen. Es kann, abhängig von der geografischen Lage (Jodversorgung), zu einer Unterfunktion (Hypothyreose) oder einer Überfunktion (Hyperthyreose) kommen. Allerdings sind bei einer von Amiodaron ausgelösten Hyperthyreose die typischen Zeichen einer Überfunktion oft abgeschwächt oder gar nicht vorhanden. Blutuntersuchungen zeigen dann allerdings einen erniedrigten Wert des Steuerhormons TSH und deutlich erhöhte Werte des Schilddrüsenhormons T3, oft fünffach über den oberen Grenzwert hinaus. „Schilddrüsennebenwirkungen sind unter einer Therapie mit dem Herzrhythmusmedikament Amiodaron so häufig, dass eine regelmäßige Kontrolle der Schilddrüsenfunktion vor und während der Amiodaron-Therapie zwingend erforderlich ist“, mahnt Prof. Rinninger. 

Die gefürchtetste Nebenwirkung ist, wenn sie unentdeckt und unbehandelt bleibt, die „Amiodaron-induzierte Thyreotoxikose“ (AIT), ein durch die Funktionsstörung der Schilddrüse verursachtes Entgleisen des Stoffwechsels. Sie beruht auf zwei unterschiedlichen Mechanismen; hinsichtlich der Behandlung muss deshalb zwischen einer AIT vom Typ 1 und einer AIT vom Typ 2 unterschieden werden. 

  • Die AIT Typ 1 geht einher mit einer vermehrten Bildung von Schilddrüsenhormonen, die Beschwerden treten meist früh auf. Die Betroffenen leiden zudem meist bereits vor Beginn der Amiodaron-Einnahme an einer Schilddrüsenerkrankung, etwa an einem Morbus Basedow oder an einer Schilddrüsenautonomie. „Bei derart vorbelasteten Patienten kann der hohe Jodgehalt des Medikaments die Überfunktion der Schilddrüse provozieren. Bei Personen hingegen, bei denen keine Vorerkrankung der Schilddrüse besteht, verändern sich die Schilddrüsenwerte unter einer Behandlung mit Amiodaron in der Regel nur geringgradig; die Funktion der Schilddrüse bleibt letztlich normal“, erklärt Herzspezialist Prof. Meinertz. Bei einer AIT Typ 1 sei es erforderlich, Amiodaron abzusetzen. Zusätzlich erfolge eine medikamentöse Therapie mit Thyreostatika. 
  • Die AIT vom Typ 2 tritt spät, meist Monate nach Beginn der Amiodaron-Therapie auf. Das Medikament schädigt die Zellen der Schilddrüse unmittelbar, es kommt zu einer zerstörerischen Entzündungsreaktion (destruktive Thyreoiditis). Infolgedessen werden Schilddrüsenhormone unkontrolliert freigesetzt. Eine AIT vom Typ 2 wird mit Glukokortikoiden, entzündungshemmenden Medikamenten, behandelt. Nicht selten muss bei unzureichendem Therapierfolg dann die Schilddrüse operativ entfernt werden (Thyreoidektomie). Danach kann jedoch die Behandlung mit dem Rhythmusmedikament Amiodaron fortgeführt werden.


Quelle: Deutsche Herzstiftung

07.12.2023

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