Interview • Paragangliom

Glomustumor: Meist gutartig, aber nicht immer ungefährlich

Er ist kaum auszumachen, kann aber von Schluckbeschwerden über Ohrensausen bis hin zur Parese eine ganze Reihe unspezifischer Beschwerden auslösen – der Glomustumor. Bei der Behandlung dieser seltenen Tumorart ist einiges Vorwissen nötig, denn diese auch Paragangliome genannten Tumoren bringen außergewöhnliche Eigenschaften mit.

Interview: Daniela Zimmermann

Auch über ihre Entstehung oder Risikofaktoren ist wenig bekannt. Dr. Hannes Nordmeyer, Leitender Arzt für interventionelle Radiologie und Neuroradiologie bei radprax und Leiter der neurointerventionellen Abteilung der St. Lukas Klinik Solingen, beschreibt im Interview einige der Besonderheiten des Glomustumors – und wie man mit ihnen umgeht.

Ist die Detektion eines Glomustumors vom Zufall abhängig?

portrait of hannes nordmeyer
Dr. Hannes Nordmeyer ist Leitender Arzt für interventionelle Radiologie und Neuroradiologie bei radprax und Leiter der neurointerventionellen Abteilung der St. Lukas Klinik Solingen.

Nordmeyer: Oft ja, aber nicht immer. In einigen Fällen weisen Symptome – zum Beispiel ein Ohrgeräusch oder eine Hörminderung – auf den Glomustumor hin. Der Patient, der den Arzt zunächst unter dem Verdacht eines „einfachen Tinnitus“ aufsucht, erhält häufig nur zum Ausschluss einer seltenen Erkrankung eine MRT-Untersuchung. Hier zeigt sich dann in der Regel, ob sich hinter dem Ohrgeräusch eine durale arteriovenöse Fistel, die Stenose einer Hirnvene oder -arterie an der Schädelbasis – oder eben ein Glomustumor verbirgt. Es gibt allerdings auch Patienten, die sich wegen einer Schwellung am Hals vorstellen, die sich beim Öffnen des Mundes oder bei Kopfdrehungen unangenehm anfühlt. In den meisten Fällen ist der Glomustumor gutartig, wird aber zur Verhinderung des Wachstums und einer möglichen Entartung so gut wie immer chirurgisch entfernt.

Eine Besonderheit des Glomustumors ist seine starke Durchblutung. Ist das ein Vorteil bei der Diagnostik und Behandlung?

Ab einer bestimmten Größe ist der Glomustumor radiologisch leicht zu diagnostizieren, da er eine ungewöhnlich starke Kontrastmittelaufnahme zeigt. Bei der chirurgischen Behandlung ist die hohe Durchblutung des Tumors dagegen ein Nachteil: Wenn die Blutzufuhr zum Tumor nicht im Vorfeld durch eine Embolisation reduziert werden kann, steht dem Chirurgen oft ein blutiger Eingriff bevor, bei dem – neben dem hohen Blutverlust – auch die Gefahr besteht, Teile des Tumors zu übersehen und im Körper zurückzulassen oder benachbarte Nerven zu verletzen.

Die Art der Behandlung hängt auch mit der Lage des Tumors zusammen, oder?

Um einen Glomus-jugulare Tumor zu operieren, ist die Kooperation von HNO-Arzt und Neurochirurg nötig

Hannes Nordmeyer

Das ist richtig. Ein Glomus-caroticum-Tumor ist gut operabel, da er sich am Hals in der Carotisgabel an einer leicht zugänglichen Stelle befindet. Glomus-jugulare-Tumoren stellen dagegen eine größere Herausforderung dar. Sie liegen oft sanduhrförmig an der Schädelbasis und können einen extrakraniellen Anteil unterhalb der Schädelbasis haben, aber sich auch entlang des foramen jugulare bis in die hintere Schädelgrube fortsetzen. Um einen solchen Tumor zu operieren, ist die Kooperation von HNO-Arzt und Neurochirurg nötig, um dem Glomustumor von allen Seiten beizukommen. Auch eine Lokalisation im Mittelohr ist möglich; hier sind oft bereits sehr kleine Tumore symptomatisch.

Coronare (links) und axiale (rechts) MRT nach Kontrastmittelgabe. Das...
Coronare (links) und axiale (rechts) MRT nach Kontrastmittelgabe. Das Paragangliom in der linken Carotisgabel zeigt eine kräftige, homogene Anreicherung.

Vor einem solchen Eingriff müssen aber die zuführenden Gefäße verschlossen werden?

Wir können Gefäße so embolisieren, dass – je nach Lokalisation – auch die Gefäße im Inneren des Tumors verschlossen werden. Im Falle des Glomus-caroticum-Tumors gehen wir so vor, dass der Tumor von innen nach außen embolisiert und richtiggehend trockengelegt wird. Das erreichen wir, indem wir von außen durch den Hals direkt den Tumor punktieren und visköses, flüssiges Embolisat injizieren. Beim Glomus-jugulare-Tumor ist diese Art der Therapie jedoch nicht möglich, dazu ist seine Lage zu ungünstig. Hier injizieren wir von innen über die Gefäße kleine Partikel, die im Tumor die Blutzirkulation deutlich reduzieren.“

Ist die Austrocknung des Glomustumors therapeutisch nicht schon ausreichend? Warum ist noch die OP nötig?

Zum einen ist es häufig nicht möglich, den Tumor über die Embolisation vollständig auszutrocknen. Hier besteht das Risiko eines weiteren Wachstums oder eines Rezidivs. Zum anderen bleibt in diesem Fall immer noch die Raumforderung, und die ist bei einigen Patienten der Auslöser für die Beschwerden. Um eine sichtbare und störende Schwellung am Hals zu entfernen, ist die chirurgische Resektion des Tumors das einzige Mittel. Nicht zuletzt ist es so, dass eine Partikelembolisation lediglich der OP-Vorbereitung dient, da sie keinen dauerhaften Effekt auf die Durchblutung erzielt.

Angiografische Darstellung des Tumors vor und nach Embolisation per Direktpunktion unter Ballonprotektion:

Injektion eines viskösen Flüssigembolisates per Direktpunktion des Tumors. Die intratumorale Injektion ermöglicht einen vollständigen Verschluss durch sukzessive Eröffnung aller Anastomosen (untereinander verbundene Gefäße).

Eine der ungewöhnlichen Eigenschaften des Glomustumors ist es, beispielsweise Adrenalin freizusetzen. Wie kommt es dazu?

Das liegt an der Herkunft des Gewebes, denn dieser Tumor besteht aus neuroendokrinen Zellen eines autonomen Ganglions, die solche Stoffe ausschütten können. Allerdings kommt es nur selten vor, dass ein Patient dadurch symptomatisch wird. Ich selbst habe es noch nie erlebt, aber in der Fachliteratur ist es mehrfach so beschrieben.

In vielen Fällen bleibt ein Glomustumor klein und verursacht keinerlei Beschwerden. Ist er deshalb ungefährlich?

Wir empfehlen je nach Lokalisation etwa ein Jahr nach dem Eingriff eine MRT-Nachuntersuchung durchführen zu lassen

Hannes Nordmeyer

Die meisten dieser Tumoren sind zwar gutartig, aber es besteht grundsätzlich eine, wenn auch geringe, Entartungstendenz. Ein Glomustumor kann sekundär malignisieren, das heißt, er wird bösartig. Bei einer vollständigen Resektion ist die Gefahr grundsätzlich gebannt. Daher empfehlen wir, je nach Lokalisation etwa ein Jahr nach dem Eingriff eine MRT-Nachuntersuchung durchführen zu lassen. Glomus caroticum-Tumore können jedoch auch sonographisch gut kontrolliert werden. Nicht zuletzt würde in den Kontrollen auch ein wachsender, ursprünglich möglicherweise noch unentdeckter sehr kleiner Zweittumor diagnostiziert. Immerhin haben etwa 10% der Patienten ein weiteres Paragangliom.


Profil:

Dr. Hannes Nordmeyer ist Leitender Arzt für interventionelle Radiologie und Neuroradiologie bei radprax und Leiter der neurointerventionellen Abteilung der St. Lukas Klinik Solingen. Zuvor war er als Oberarzt am Alfried Krupp Krankenhaus Essen tätig. An der Universität Witten/Herdecke folgt Dr. Nordmeyer darüber hinaus einem Lehrauftrag mit Schwerpunkt Neuroradiologie über den Lehrstuhl Prof. P. Haage am Helios Universitätsklinikum Wuppertal. Forschungsschwerpunkte liegen in der Embolisation von Gefäßveränderungen und in der mechanischen Rekanalisation beim akuten Schlaganfall sowie bei Stenosen der Hirnarterien. Dr. Nordmeyer ist DeGIR-zertifiziert (Stufe 2 der Module E & F) und verfügt über umfangreiche klinische Erfahrungen in der Neurologie und Neurochirurgie.

10.11.2018

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