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Es herrscht Frauenmangel in der Neurochirurgie
Zwei von 36 Chefposten an Universitätskliniken besetzen Chefinnen. Da geht noch was, finden junge Neurochirurginnen und Neurochirurgen. Das Thema Gleichstellung rückt bei der 72. DGNC-Jahrestagung in den Fokus. Das Ziel: Diskriminierung ächten, Netzwerke stärken, moderne Lebens- und Karriereplanung statt archaischer Strukturen.
Die Neurochirurgie ist jedenfalls nicht weiblich. Der Frauenanteil in dem Fachgebiet der Medizin, dass sich Erkrankungen des zentralen und peripheren Nervensystems widmet, schmilzt auf jeder Stufe auf der Karriereleiter: Während in Deutschland ein Drittel der AssistenzärztInnen weiblich sind, wird nur jede fünfte Facharztstelle noch von einer Frau besetzt. Chefinnen sind geradezu eine Rarität: Tatsächlich werden nur zwei von 36 universitären neurochirurgischen Fachabteilungen hierzulande von einer Frau geleitet. Weil am anderen Ende der Karriereleiter – im Medizinstudium - Studentinnen noch mehr als die Hälfte der angehenden Mediziner ausmachen, an manchen Universitäten sogar bis zu zwei Drittel, liegt der Verdacht nah: Die Neurochirurgie spricht Frauen und Männer nicht gleichermaßen an. Und mehr noch: „Die Neurochirurgie steht auch im Vergleich mit anderen chirurgischen Disziplinen beim Frauenanteil hintenan“, sagt Dr. Anna McLean, Ärztin in Weiterbildung am Helios Klinikum Erfurt.
Anna McLean hat sich für die Neurochirurgie entschieden, ebenso für Familie, Nachwuchs und nicht zuletzt für überfällige Gleichstellungsbestrebungen in ihrem Fachgebiet: Im Rahmen der 72. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neurochirurgie (der Frauenanteil in der Fachgesellschaft liegt übrigens bei 13 Prozent, jeden vierten Beitrag bei den jährlichen Fachtagungen präsentiert eine Referentin) führt die junge Medizinerin Regie in der Fokus-Sitzung „Starke Frauen, starke Männer – Schaffen wir die Gleichstellung?“
Was sind die Gründe für den Frauenmangel in der Neurochirurgie? Zum einen verharre die Disziplin in archaischen Strukturen, die nicht in eine moderne Lebens- und Karriereplanung passen, sagt Anna McLean: Zu wenige Teilzeit-Möglichkeiten einerseits, doch sei im verkürzten Arbeitszeitmodus die zeitaufwändige Erfüllung des OP-Katalogs für die Qualifikation zur Fachärztin wiederum kaum zu schaffen. Ein Dilemma! Hauptsächlich männliche Kollegen in Führungspositionen und in entsprechenden Netzwerken begünstigten und bevorzugten den beruflichen Aufstieg männlicher Kollegen und stabilisierten so das Ungleichgewicht.
Doch auch andersherum ließe sich ein Mehr an Geschlechtergleichstellung in der Neurochirurgie einfordern, unterstreicht Anna McLean: „Familie und Karriere müssen für alle gleichermaßen möglich sein, das schließt ein, dass auch männliche Kollegen ein Recht auf Familie, zum Beispiel auf Elternzeit haben sollten.“
Die Fokus-Sitzung „Starke Frauen, starke Männer – Schaffen wir die Gleichstellung?“ soll beim größten und wichtigsten Treffen der Neurochirurginnen und Neurochirurgen im Jahr die Aufmerksamkeit auf die Problematik lenken, spezielle Projekte vorstellen, MitstreiterInnen dafür gewinnen. In einer Plenardiskussion werden Spielregeln gegen Diskriminierung im Klinikalltag festgeschrieben. „Wenn es gelingt, Diskriminierung jeglicher Art zu ächten, Netzwerke für Kolleginnen zu stärken, geschlechtsunabhängige Förderprogramme durchzusetzen, sind wir ein gutes Stück vorangekommen“, sagt Anna McLean. Um die Lücke zwischen den Geschlechtern zu schließen, braucht es aber noch mehr: Arbeitsbedingungen beispielsweise, die Selbstverwirklichung erlauben und den Erhalt eines gesunden psychosozialen Umfelds. Und nicht zuletzt: Bei zwei Elternteilen in Vollzeitbeschäftigung oder mit Opt-out 60-Stunden-Woche ist bei gesellschaftlichen Strukturen – Stichwort Kita-Öffnungszeiten – auch Luft nach oben.
Alle Informationen sowie das Tagungsprogramm unter: www.dgnc-kongress.de.
Quelle: Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie
31.05.2021