Von links: Dr. Alena van Bömmel, zuletzt Postdoc am MPIMG, Prof. Dr. Helene...
Von links: Dr. Alena van Bömmel, zuletzt Postdoc am MPIMG, Prof. Dr. Helene Kretzmer, zuletzt Gruppenleiterin „Computational Genomics“ am MPIMG, und Doktorandin Mara Steiger.

Bildquelle: MPIMG

News • Neurochirurgie

Neue Methode ermöglicht personalisierte Präzisionschirurgie bei Hirntumoren

Forschende des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Kiel, der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und des Max-Planck-Instituts für Molekulare Genetik (MPIMG), Berlin, haben eine innovative Methode entwickelt, die es ermöglicht, Hirntumore während einer Operation in Echtzeit molekulargenetisch zu klassifizieren.

Der bahnbrechende Ansatz kombiniert die DNA-Methylierungsanalyse mit neuen maschinellen Lerntechnologien, um bereits während des Eingriffs detaillierte Informationen über die Tumorart zu liefern. Damit ist es erstmals möglich, die neurochirurgische Operation an den individuellen Merkmalen des Hirntumors auszurichten und nicht mehr nur an der Lage und der Nähe des Tumors zu Funktionszentren im Gehirn. So wird ein gezieltes Vorgehen bei der Tumorentfernung ermöglicht, was gerade bei komplexen Fällen einen entscheidenden Vorteil für die Patienten darstellt. Die Erkenntnisse wurden im Journal Nature Medicine publiziert.

Von links: Dr. Carolin Kubelt-Kwamin, Oberärztin der Klinik für...
Von links: Dr. Carolin Kubelt-Kwamin, Oberärztin der Klinik für Neurochirurgie des UKSH, Campus Kiel, Doktorand Björn Brändl, Prof. Dr. Franz-Josef Müller, kommissarischer Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des UKSH, Campus Kiel, und Professor an der Medizinischen Fakultät der CAU, und Christian Rohrandt, Zentrum für Integrative Psychiatrie, Campus Kiel mit Nanopore Sequenzierern.

Bildquelle: UKSH

„Nur durch die enge Zusammenarbeit von Grundlagenwissenschaftlern mit translational arbeitenden Ärzten konnte eine Methode entwickelt werden, die alle bisherigen ähnlichen Ansätze in Bezug auf Präzision und Geschwindigkeit in den Schatten stellt“, sagt Prof. Dr. Franz-Josef Müller, stellvertretender Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des UKSH, Campus Kiel, und Professor an der Medizinischen Fakultät der CAU. Er führte das interdisziplinäre Team gemeinsam an mit Prof. Dr. Helene Kretzmer, zuletzt Gruppenleiterin „Computational Genomics“ am MPIMG, Dr. Alena van Bömmel, zuletzt Postdoc am MPIMG, der Doktorandin Mara Steiger, MPIMG, sowie dem Doktoranden Björn Brändl, Zentrum für Integrative Psychiatrie, Campus Kiel. 

Da diese Sequenzierung jedoch im engen Zeitrahmen während einer Operation stattfinden soll, kann sie realistischerweise nur einen Bruchteil der Methylierungsmuster eines Tumors erfassen

Helene Kretzmer

Realisiert werden konnte die Studie mit der Klinik für Neurochirurgie des UKSH, Campus Kiel. „Während bisherige Fortschritte in der Neurochirurgie die Technik der Tumorentfernung verfeinert haben, revolutioniert der krankheitsbasierte Ansatz die gesamte Vorgehensweise. Statt sich lediglich an der Tumorlokalisation zu orientieren, eröffnet die intraoperative Identifikation des Tumortyps neue Möglichkeiten für eine Echtzeit-Anpassung der operativen Strategie an die spezifische Biologie des Tumors. Dieser Ansatz verknüpft die Präzisionsmedizin direkt mit der Neurochirurgie und hebt die Behandlung von einem technikzentrierten Vorgehen auf ein individuell abgestimmtes, krankheitszentriertes Niveau. So wird die Operation zu einer maßgeschneiderten Therapie“, sagt Dr. Carolin Kubelt-Kwamin, Oberärztin der Klinik für Neurochirurgie. 

Die DNA-Methylierung, ein epigenetischer Marker, kann als „Fingerabdruck" des Tumors verstanden werden, der seine Herkunft widerspiegelt. Verschiedene Tumorarten haben spezifische Methylierungsmuster, die durch Sequenzierung analysiert werden können. Die neue Methode verwendet die sogenannte Nanopore-Sequenzierung, um diese Muster mit hoher Geschwindigkeit und Genauigkeit zu identifizieren. „Da diese Sequenzierung jedoch im engen Zeitrahmen während einer Operation stattfinden soll, kann sie realistischerweise nur einen Bruchteil der Methylierungsmuster eines Tumors erfassen“, erklärt Prof. Helene Kretzmer. Die Forschenden haben daher auf einen mathematischen Ansatz aus der Wahrscheinlichkeitstheorie, das sogenannte Bayes-Theorem zurückgegriffen. „Mit dieser Methode konnten wir ein Machine-Learning-Modell trainieren, das in Kombination mit einer speziellen Software die Sequenzierdaten live verarbeitet und mit bereits weniger als 0,1% der genetischen Daten eine Tumorklassifizierung in weniger als einer Stunde ermöglicht“, sagt Mara Steiger. Dies stellt einen gewaltigen Fortschritt gegenüber den bisherigen Methoden dar, die mehrere Stunden bis Wochen in Anspruch nehmen. 

Die Studie zeigt, dass die Ergebnisse dieser neuen Methode mit den Ergebnissen einer vollständigen neuropathologischen Untersuchung übereinstimmen. Die Forschenden heben hervor, dass durch diese Innovation auch diagnostisch schwierige Tumoren korrekt zu klassifizieren sind, bei denen herkömmliche histopathologische Methoden häufig versagen. 

Moderne molekulare und insbesondere epigenetische Analysemethoden haben die große Bandbreite von Tumoren aufgedeckt, die lange als eine Krebsart galten. Allein die Tumoren des zentralen Nervensystems wurden vor wenigen Jahren in etwa 90 Kategorien eingeordnet. Diese Unterschiede erfordern auch unterschiedliche Therapien. Einige Tumoren können allein mit Strahlentherapie oder Medikamenten behandelt werden, während andere eine weitreichende Operation erfordern. Da das Tumorgewebe bislang jedoch erst nach der OP analysiert wird, wissen Chirurgen in der Regel während des Eingriffs nicht, welche Kategorie vorliegt – und müssen dennoch über die Behandlung entscheiden, bei der das Risiko besteht, dass auch gesunde Teile des Gehirns verletzt werden. Die intraoperative DNA-Methylierungsanalyse kombiniert mit Nanopore-Sequenzierung liefert nun entscheidende Informationen, die direkt in Entscheidungen über das Vorgehen der Operierenden einfließen und so eine personalisierte Präzisionschirurgie unterstützen können. 

Beteiligt an der Forschungsarbeit waren auch Experten der Fachhochschule Kiel, der Altona Diagnostics GmbH in Hamburg und viele weitere nationale und internationale Partner. Unterstützt wurde die Arbeit vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Das Universitäre Cancer Center Schleswig-Holstein (UCCSH), ein Zusammenschluss aller onkologisch tätigen Einrichtungen des UKSH und der Universitäten in Kiel und Lübeck, hat ebenfalls das Projekt gefördert. 


Quelle: Universitätsklinikum Schleswig-Holstein

04.03.2025

Verwandte Artikel

Photo

News • Personalisierte Medizin

Glioblastom: KI prognostiziert Hirntumor-Wachstum

Forscher der University of Waterloo haben ein neues Berechnungsmodell zur besseren Vorhersagbarkeit des Wachstum von Glioblastoma multiforme, einer tödlichen Art von Gehirntumoren, entwickelt.

Photo

News • Vorhersage von Therapieansprechen

Personalisierte Hirntumor-Organoide für individuelle Therapien

Mit Tumor-Organoiden aus pluripotenten Stammzellen ist es Wissenschaftlern gelungen, personalisierte Hirntumoren nachzubilden. Diese „Mini-Gehirne“ ermöglichen zuverlässigere Medikamententests.

Photo

News • Ausgezeichnete Forschungsarbeit

KI hilft bei der Bewertung von Hirntumoren

Auf der ICIS-Konferenz ging der "Best Paper Award" an eine Forschungsarbeit, die sich mit der Beurteilung von Hirntumor-Aufnahmen durch künstliche Intelligenz (KI) befasst.

Verwandte Produkte

Newsletter abonnieren