Interview • Harte Tatsachen II

Eisenmangel - was kann die Labordiagnostik tun?

Prof. Dr. Lothar Thomas fordert mehr Information über die neuen Laborparameter bei der Diagnostik und dem Monitoring des Eisenmangels und der Eisensubstitutionstherapie.

Diagnostische Strategie bei Verdacht auf Eisenmangel (Ausnahme: Thalassämie)
Diagnostische Strategie bei Verdacht auf Eisenmangel (Ausnahme: Thalassämie)
© Siemens Healthcare Diagnostics 2013

Welche labordiagnostische Strategie empfehlen Sie bei Eisenmangel?

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Bei Patienten mit unkompliziertem Eisenmangel, also ohne chronisch entzündliche Krankheiten, sind das Blutbild mit MCV, MCH, Hb und die Bestimmung von Serum-Ferritin als Marker der Eisenversorgung bzw. der Eisenspeicherreserve völlig ausreichend.

Sobald Entzündungen, Infektionen, Autoimmunerkrankungen, hepatozelluläre Erkrankungen, Niereninsuffizienz, Tumorerkrankungen, Alkoholismus oder Hypothyreose vorliegen oder die Frauen Kontrazeptiva einnehmen, ist das Akut-Phase-Protein Ferritin unspezifisch erhöht und taugt nicht als Indikator für Eisenmangel. Da 20% der Patienten mit chronisch-entzündlichen Erkrankungen eine Anämie aufgrund der chronischen Erkrankungen (ACD – Anemia of chronic diseases) entwickeln, ist hier die Abklärung des Eisenmangels sehr wichtig. Der behandelnde Arzt muss also feststellen, ob der Patient frei von chronisch-entzündlichen Erkrankungen ist. Immerhin leiden etwa 50% der Patienten mit Eisenmangel an einer Entzündung.

Nach drei Monaten mit chronischer Entzündung muss immer von einer Anämie ausgegangen werden. Wird eine Entzündung vermutet oder ist eine chronisch-entzündliche Erkrankung bekannt, macht das Akut-Phase-Protein Ferritin keinen Sinn. Zur Feststellung der Entzündung muss nun neben dem Blutbild unbedingt die Bestimmung von CRP dabei sein. Werte über 5 mg/l sprechen für eine Entzündung. 

Welche Parameter zur Diagnostik von frühen Einschränkungen in der Eisenversorgung bzw. als Frühmarker für einen Eisenbedarf sind auch für den niedergelassenen Arzt sinnvoll?

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Morphologische Erscheinungsbilder bei ACD (Klicken zum Vergrößern)
Quelle: Modifiziert nach: Thomas, L 2013. © Siemens Healthcare Diagnostics 2013

Entscheidend ist, dass man den Eisenmangel bei den Patienten sehr früh vor dem Auftreten der Anämie diagnostiziert. Das lässt sich nur erreichen, wenn man die aktuelle Situation nicht nur auf zellulärer Gesamtebene, sondern auch in der einzelnen Zelle verfolgt. Die herkömmlichen Parameter des kleinen Blutbildes, wie MCH, MCV oder Hb sind summarische Größen, die nicht für die Zustandsanalyse an der Einzelzelle geeignet sind. Besser geeignet sind die Retikulozyten, weil sie nur wenige Tage nach ihrer Bildung im Blut nachweisbar sind. Mit den zellulären Parametern CHr (retikulozytäres Hämoglobin) und % HYPO (Prozent hypochrome Erythrozyten) kommen wir deutlich weiter. Entsprechend der Leitlinien der Fachgesellschaft zur Diagnostik und Therapie hämatologischer und onkologischer Erkrankungen (DGHO) zu Eisenmangel und Eisenmangelanämie gelten ADVIA-Werte von < 28 pg CHr sowie auch > 10% HYPO als beweisend für eine eisendefizitäre Erythropoese.

Warum genau sind die ADVIA-Werte von CHr und % HYPO so bedeutend für die Eisenbedarfsdiagnostik?

Der große Vorteil dieser Parameter besteht darin, dass sie nicht nur unabhängig von chronisch-entzündlichen Erkrankungen sind, sondern einen Eisenbedarf weit vor MCV, MCH bzw. Hb bereits im frühesten Zeitfenster zwischen 3-5 Tagen (CHr) bzw. im mittleren Zeitbereich von 25 Tagen (%HYPO) anzeigen. Dies ist für das Monitoring von Eisensubstitutionstherapien, wie etwa die intravenöse Infusion von Eisen-Carboxymaltose, von unschätzbarer Bedeutung.

Thomas-Plot – Klassifizierung des Eisenmangels mittels CHr und Ferritin-Index
Thomas-Plot – Klassifizierung des Eisenmangels mittels CHr und Ferritin-Index
Modifiziert nach: Thomas, L 2005, Dt. Ärzteblatt Jg. 102 Heft 9, 580–587. © Siemens Healthcare Diagnostics 2013

Sie haben zur Eisenmangeltherapie den sogenannten Thomas-Plot entwickelt. Wie funktioniert er und wann empfehlen Sie ihn?

Der Thomas-Plot ist eine praktische Hilfe, wenn es um die Interpretation komplexer Eisenstoffwechselstörungen geht, die bei chronisch-entzündlichen Erkrankungen schwierig sind. Wir müssen davon ausgehen, dass bei 50% der betroffenen Patienten der Eisenbedarf durch die chronische Entzündung infolge des erhöhten Hepcidins nicht ausreichend versorgt wird und bei vielen Patienten zusätzlicher Eisenverlust durch krankheitsbedingte Blutungen erfolgt. Die Kombination aus CHr als früher Indikator des Eisenbedarfs und dem Ferrritin-Index als Marker der Eisenversorgung ermöglicht hierbei eine Klassifizierung des Eisenmangels in vier Stadien. Die Patientenwerte werden zu Beginn und im Verlaufe des Therapiemonitorings in die vier Quadranten eingeordnet, die sehr unterschiedliche Zustände der Eisenversorgung bzw. des Eisenbedarfs der Erythropoese charakterisieren.

Der Wert liegt darin, dass sich daraus therapeutische Entscheidungen bezüglich oraler/intravenöser Eisensubstitutionstherapie und/oder Stimulation mit r-HuEPO ableiten lassen und zusätzlich der therapeutische Erfolg kontrolliert werden kann. Der Plot hat keine Aussagekraft bei Patienten mit Thalassämie.

Diagnostisches Diagramm zur Klassifizierung des Eisenmangels mit CHr und...
Diagnostisches Diagramm zur Klassifizierung des Eisenmangels mit CHr und Ferritin-Index
Modifiziert nach: Thomas, L 2005, Dt. Ärzteblatt Jg. 102 Heft 9, 580–587. © Siemens Healthcare Diagnostics 2013

Was bedeutet das für die Praxis? Ab wann ist Eisenmangel therapiewürdig?

Ein CHr-Wert unter 28 pg oder ein CHr niedriger als der MCV rechtfertigen immer eine Eisentherapie, auch bei Patienten mit Entzündung oder bei normalem Ferritin. Ambulante Patienten beginnen in aller Regel mit einer oralen Eisensubstitutionstherapie, die sich aufgrund der natürlicherweise limitierten enteralen Resorptionsquote über Wochen hinzieht. Hinzu kommt, dass die orale Eisensubstitution aufgrund der entzündungsbedingt limitierten duodenalen Eisenresorption ineffektiv ist und Nebenwirkungen aufweist. Viele Patienten klagen über Magenunverträglichkeiten und Obstipation. In solchen Fällen ist die intravenöse Infusion von hochdosierter Eisen-Carboxymaltose (1000 mg des Antianämikum Ferinject von Vifor Pharma) das Mittel der Wahl. Diese parenterale Methode hat kaum Nebenwirkungen und bietet den großen Vorteil gegenüber der oralen Therapie, dass das Eisendefizit in wenigen Tagen ausgeglichen werden kann.

Was kann die Labordiagnostik in Bezug auf die Eisenmangeltherapie tatsächlich leisten?

Es ist unbedingt erforderlich, den Verlauf, also Erfolg oder Misserfolg solcher Substitutionstherapien so früh wie möglich durch ein geeignetes diagnostisches Monitoring einzuschätzen. Allein mit Ferritin und der Transferrinsättigung gelingt das nicht, weil viele Patienten Entzündungen haben, die diese beiden Parameter verfälschen. Es beginnt bereits mit der Abklärung der Entzündung, deren Ursache ebenfalls therapeutisch behandelt werden muss, weil sie den Eisenstoffwechsel beeinflusst. Spätestens am Ende der ersten Woche nach Beginn der Eiseninfusion sollte mit CHr kontrolliert werden. Allerspätestens nach zwei Wochen muss das CHr gegenüber seinem Ausgangswert angestiegen sein (relativer Anstieg entscheidend). Ist CHr nicht angestiegen, hatte die Eisensubstitution keine Wirkung und es muss nach der Ursache gesucht werden. So ist z.B. der Erfolg der Eisen-Therapie bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, die nur bei etwa 10 % der Patienten mit einem erhöhten CRP einhergehen, eingeschränkt.

Spätestens ab der vierten Woche muss %HYPO abfallen, da unter Normalbedingungen davon auszugehen ist, dass die Retikulozyten jetzt hinreichend mit Hämoglobin ausgestattet sind. Finden wir nach einiger Zeit wieder niedriges CHr gegenüber (noch) normalem MCH, haben wir erneut einen frühen Eisenmangel. Sind beide Parameter erniedrigt, reden wir von altem Eisenmangel, der also älter als drei Monate ist. Ist CHr bereits normal und stattdessen MCH (noch) niedrig, haben wir einen klaren Hinweis für das Ansprechen der Therapie. Eine solche rationelle Diagnostik ist unkompliziert und benötigt nur das kleine Blutbild und die Retikulozyten (CHr). Diese Diagnostik hilft also auch dem Transfusionsmediziner bei der Entscheidung, ob die präoperative Eiseninfusion effektiv genug ist, die autologe Regenerationsfähigkeit der Patienten bei perioperativem Blutverlust im Therapiezeitraum so zu verbessern, dass Blutkonserven gespart werden können.

Es wäre zu wünschen, dass dieser Beitrag mit detaillierten innovativen Kenntnissen zur Labordiagnostik von Eisenmangel und Eisenmangelanämie dazu beiträgt, überzeugende Aufklärungsarbeit zu leisten.

10.02.2018

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