Zwei Ärztinnen besprechen im Eingangsbereich eines Krankenhauses einen...

Bildquelle: Dell Technologies / Getty Images 1440003815

Interview • Digitalisierung im Gesundheitswesen

„Wir befinden uns dank KI auf dem Weg zur Präzisionsmedizin“

Künstliche Intelligenz als Gamechanger im Gesundheitswesen: Sandra Colner, General Manager Global Healthcare & Life Sciences bei Dell Technologies EMEA, sieht in der Digitalisierung den Schlüssel zur Bewältigung der größten Herausforderungen der Branche. Im Interview erklärt sie, wie KI nicht nur die Diagnostik revolutionieren, sondern auch komplexe Organisationsprozesse vereinfachen kann. Dabei geht sie auf technische Hürden ein, beleuchtet die Rolle generativer KI und zeigt auf, wie Krankenhäuser sich vor Cyberangriffen schützen können.

Interview: Wolfgang Behrends

HiE: Wo sehen Sie die größten Herausforderungen im Gesundheitswesen, und wie kann die Digitalisierung dazu beitragen, sie zu bewältigen? Können Sie mit uns über einige konkrete Lösungen sprechen?

Portraitfoto von Sandra Colner
Sandra Colner

Bildquelle: Dell Technologies

Sandra Colner: „Das Gesundheitswesen hat mit steigenden Kosten und Personalmangel zu kämpfen – zwei Probleme, die sich in den kommenden Jahren noch verschärfen werden, denn bis 2030 wird voraussichtlich mehr als ein Viertel der deutschen Bevölkerung 65 Jahre oder älter sein. Das bedeutet, dass mehr chronische und Alterserkrankungen behandelt werden müssen, während gleichzeitig immer weniger Arbeitskräfte zur Verfügung stehen. Die Digitalisierung kann helfen, diese Probleme zu bewältigen, indem sie die Patientenversorgung verbessert und die Mitarbeiter entlastet. Das fängt schon damit an, dass sich digitale Testergebnisse sofort abrufen und digitale Patientendaten rasch durchsuchen lassen. Der lange Fußweg ins Labor oder das mühsame Durchforsten von Papierakten entfällt. 

Vor allem in Künstlicher Intelligenz steckt ein riesiges Potenzial. Sie ermöglicht eine schnellere und bessere Diagnostik durch die Auswertung von Bildern und Proben und vereinfacht die komplexen Organisationsprozesse im Klinikalltag, etwa das Erstellen von Einsatzplänen, die Bettenvergabe oder die Nachbestellung von Verbrauchsmaterial. Zudem kann sie als Dolmetscher agieren und damit den Austausch zwischen Ärzten und Patienten erleichtern – wie überhaupt digitale Lösungen die Gesundheitsversorgung zugänglicher machen. Mit Videosprechstunden und dem Remote-Monitoring von Gesundheitsdaten ist auch eine Beratung und Behandlung von Menschen mit eingeschränkter Mobilität und in ländlichen, vom Ärztemangel betroffenen Regionen einfacher möglich.“ 

Was sind die größten technischen und organisatorischen Hindernisse, denen Gesundheitsorganisationen bei der Integration von KI in ihre klinischen Arbeitsabläufe begegnen?

Mitarbeiter benötigen frühzeitig Informationen, wie sich ihre Arbeit durch KI verändert, und vor allen Dingen Trainings für den richtigen Einsatz der KI-Anwendungen

Sandra Colner

„Die IT-Systeme im Gesundheitswesen sind sehr heterogen, sodass die Daten oft in Silos feststecken und von höchst unterschiedlicher Qualität sind. Dadurch ist es herausfordernd, sie zusammenzuführen, aufzubereiten und zu nutzen – zumal Daten- und KI-Spezialisten ebenso rar sind wie IT-Experten, die sich um die komplexen Infrastrukturen kümmern, die für das Training von KI-Modellen und das Echtzeit-Inferencing benötigt werden. Zudem tun sich Gesundheitseinrichtungen teilweise schwer, die richtigen Anwendungsfälle für KI auszuwählen – nämlich solche, die langfristig den größten Nutzen bringen – und nach der Pilotphase effizient zu skalieren, sodass die neu entwickelten Lösungen tatsächlich im Klinikbetrieb zum Einsatz kommen können. Hier ist auch das Change-Management eine Herausforderung, denn die Mitarbeiter benötigen frühzeitig Informationen, wie sich ihre Arbeit durch KI verändert, und vor allen Dingen Trainings für den richtigen Einsatz der KI-Anwendungen. Zudem stellt der Umgang mit sensiblen Patientendaten natürlich extrem hohe Anforderungen an Datenschutz und Datensicherheit, die die Gesundheitseinrichtungen unbedingt erfüllen müssen, wollen sie das Vertrauen der Patienten nicht verspielen.“ 

Mit jeder neuen Generation von KI-Algorithmen scheinen die Anforderungen an die Dateninfrastruktur exponentiell zu wachsen. Glauben Sie, dass dieser Ansatz „größer ist besser“ für KI-Modelle weiterhin Bestand haben wird, oder werden zukünftige Iterationen einen nachhaltigeren Weg einschlagen?

„Große KI-Modelle liefern beeindruckende Ergebnisse, doch inzwischen werden in immer mehr Bereichen kleinere, spezialisiertere Modelle eingesetzt, die nach deutlich weniger Rechenleistung verlangen. Durch das Training mit eigenen Daten oder die Anbindung interner Datenquellen via Retrieval Augmented Generation (RAG) liefern sie bessere Ergebnisse und haben zudem den Vorteil, dass sich ihre Resultate nachvollziehen und verifizieren lassen. Eine geschickte Auswahl der Datensätze und Dokumente kann die Hardware-Anforderungen beim Training zudem weiter reduzieren und verhindert, dass nutzlose Informationen im Modell landen. Auf diese Weise kann KI vergleichsweise nachhaltig gestaltet werden – die Zeiten des „größer ist besser“ sind definitiv vorbei und einem differenzierten Ansatz gewichen, bei dem große Modelle nur noch dort genutzt werden, wo ihr breites Wissen tatsächlich notwendig ist.“ 

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Medizinische KI: Auftritt der ‚Dea ex machina‘

In der Welt des Theaters ist der ‚Deus ex machina‘, der Gott aus der Maschine, ein dramaturgischer Kniff, um scheinbar unlösbare Konflikte zu klären. Kann Künstliche Intelligenz (KI) für die Innere Medizin ebenfalls ein solcher universeller Problemlöser sein? Auf dem DGIM-Jahreskongress in Wiesbaden ging Dr. Isabella Wiest dem Potenzial – und den Limitationen – der KI-Helfer nach.

Nach dem Einzug der KI in klinische Arbeitsabläufe sehen viele in generativer KI die nächste transformative Welle. Wo sehen Sie die überzeugendsten Anwendungsfälle für diese Technologie? Wie kann das Problem der Ungenauigkeiten bei den Ergebnissen (sogenannte Halluzinationen) angegangen werden?

„Generative KI kann Informationen aus aufgezeichneten Arzt-Patienten-Gesprächen extrahieren und Patientenakten weitgehend automatisch befüllen oder beim Erstellen von Laborberichten und Arztbriefen unterstützen. Sie kann bei der Recherche in umfangreichen Forschungsdaten helfen, klinische Studien zusammenfassen oder ganz einfach Dokumente übersetzen – und in Form von Chatbots auch effizient Termine vereinbaren, Diagnosen erklären oder Fragen beantworten. Der Fantasie sind hier kaum Grenzen gesetzt, solange die KI verantwortungsbewusst gestaltet wird, was das Verhindern von Halluzinationen einschließt. 

Letztlich geht es nicht ohne menschliche Kontrolle, denn KI ist nur ein Werkzeug – am Ende trägt immer ein Mensch die Verantwortung und muss die KI-Ergebnisse prüfen und gegebenenfalls anpassen

Sandra Colner

Das Finetuning der KI mit eigenen Daten beziehungsweise das Anbinden eigener Daten via RAG sind wichtige Werkzeuge, um Modelle mit korrekten Informationen zu versorgen, damit sie sich keine plausibel klingenden Antworten ausdenken müssen. Darüber hinaus sind sogenannte Guardrails notwendig – das sind Mechanismen, die die Ausgaben auf Plausibilität prüfen und sicherstellen, dass die KI keine Fragen beantwortet, für die sie nicht trainiert wurde. Letztlich geht es aber nicht ohne menschliche Kontrolle, denn KI ist nur ein Werkzeug – am Ende trägt immer ein Mensch die Verantwortung und muss die KI-Ergebnisse prüfen und gegebenenfalls anpassen.“ 

Berichte über Ransomware-Angriffe auf Krankenhäuser nehmen zu. Können Sie die wichtigsten Schwachstellen in der IT-Infrastruktur erläutern und darlegen, wie die Lösungen von Dell Technologies diese Schwachstellen beheben, um Einrichtungen vor diesen Bedrohungen zu schützen?

„Ein großes Problem für Krankenhäuser sind die vielen nur lose verknüpften Geräte und Systeme, die einen regelrechten Flickenteppich bilden, der sich nur schwer überblicken lässt und viele Schwachstellen hat. Auf der einen Seite gibt es zahlreiche Altsysteme, die sich nicht mehr aktualisieren lassen oder denen es an zeitgemäßen Sicherheitsfunktionen etwa für die Zugangskontrolle fehlt. Auf der anderen Seite existieren unzählige moderne Endpoints wie Wearables, Tablets, vernetzte Medikamentenwagen und medizinische Geräte, aber kein zentrales Endpoint-Management. Ein solches ist jedoch entscheidend, wenn es darum geht, Endpoints zu überwachen, zu patchen und bei Angriffen schnell zu isolieren. Dell Technologies bietet ein solches Endpoint Management und darüber hinaus Systeme mit tief integrierten Sicherheitsfunktionen wie Secure Boot und Trusted Platform Modules (TPM), die Manipulationen verhindern und die Integrität von Systemen und Daten schützen. 

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Dass man so häufig von Ransomware-Attacken auf Krankenhäuser liest, liegt freilich auch dran, dass es ihnen an Tools fehlt, die Angriffe frühzeitig zu erkennen. Dadurch sind die Schäden dann häufig größer als nötig, und die Wiederherstellung von Daten und Systemen dauert unverhältnismäßig lange, weil die Backup-Strategien nicht ausreichend sind – so sich überhaupt alles wiederherstellen lässt. Mit Endpoint Detection and Response (EDR) und Managed Detection and Response (MDR) bietet Dell Technologies daher eine gezielte Bedrohungserkennung, die eine schnelle Reaktion auf Angriffe erlaubt – und das auch als Service, sodass Krankenhäuser sich rund um die Uhr auf ein hohes Sicherheitsniveau verlassen können. Daten und Systeme, die bereits verschlüsselt wurden, lassen sich dank moderner Data-Protection-Lösungen mit unveränderlichen Speichern und Datentresoren, die durch ein Air-Gap vom Rest der Infrastruktur getrennt sind, in kürzester Zeit zuverlässig wiederherstellen.“

Wenn Sie die aktuellen Trends betrachten, welche neuen Technologien halten Sie für die vielversprechendsten im Gesundheitswesen? Gibt es bestimmte Bereiche, in denen Sie in den nächsten zwei bis drei Jahren Durchbrüche erwarten?

„Die Cloud ist zwar keine neue Technologie, aber ich denke, dass in Multi-Cloud-Plattformen im Gesundheitswesen noch viel ungenutztes Potenzial steckt, das wir in den kommenden Jahren erschließen werden. Das betrifft zum einen die Resilienz von Infrastrukturen gegenüber Cyberangriffen oder IT-Ausfällen – die Cloud ermöglicht es den Krankenhäusern, auch in Krisensituationen weiterzuarbeiten. Auf der anderen Seite ermöglicht sie es, Daten verschiedener Einrichtungen – natürlich unter Einhaltung aller Datenschutzvorgaben – zusammenzuführen und auszuwerten, um KI noch besser zu trainieren oder noch tiefere Einblicke zu erhalten. Überhaupt befinden wir uns dank KI und der Analyse von Genom und Proteom sowie der großflächigen Auswertung von Gesundheitsdaten auf dem Weg zu einer Präzisionsmedizin, mit der sich individuelle Gesundheitsrisiken gut voraussagen und Vorsorge sowie Behandlungen exakt auf den Einzelnen zuschneiden lassen.“  

01.09.2025

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