„Labormedizin verbindet“

Kontroverse Diskussionen auf dem 13. DGKL

Mit erwarteten 800 Fachteilnehmern und 400 Partnern aus der Industrie ist der Deutsche Kongress der Laboratoriumsmedizin (DKLM) die größte medizinische Fortbildung im Bereich der in-vitro-Diagnostik im deutschsprachigen Raum. Zum zweiten Mal wird der Kongress vom 28. bis 30. September in Mannheim in diesem Jahr gemeinsam mit dem Dachverband für Technologen/innen und Analytiker/innen in der Medizin Deutschlands (DVTA) veranstaltet. Er steht unter dem Motto „Labormedizin verbindet“, denn die Labordiagnostik ist ein Querschnittsfach wie kein anderes und verbindet interdisziplinär die Mediziner miteinander. Sie agiert fast geräuschlos im Hintergrund und ist für den Patienten kaum sichtbar. European Hospital sprach mit dem diesjährigen Kongresspräsidenten Prof. Berend Isermann über die Schwerpunkte des Kongresses und die Herausforderungen an das Fach.

Photo: Kontroverse Diskussionen auf dem 13. DGKL

Herr Prof. Isermann, was sind die Schwerpunkte des 13. DKLM in diesem Jahr?

Neben interdisziplinärem POCT-Management stehen neuen Mechanismen und Biomarker der Inflammation, die Verbesserung der Grundversorgung durch innovative diagnostische Technologien, die diagnostische Herausforderung metabolischer Pandemien, neue diagnostische Ansätze der zellulären Reprogrammierung und das Thema Liquid Profiling im Fokus der wissenschaftlichen Präsentationen. Zusätzlich zur Vorstellung neuster Forschungsergebnisse werden auch zahlreiche Weiterbildungs- und Schulungsveranstaltungen für die Teilnehmer angeboten.

Liquid biopsy bzw. liquid profiling sind gerade ein Hype, machen Ihnen die Pathologen die Arbeit streitig?

Liquid biopsy und liquid profiling bezeichnen in der Tat das gleiche Vorgehen, das seinen Ausgangspunkt in der Onkologie hat. Mit dem Nachweis zellfreier DNA oder RNA, also zellfreier Nukleinsäure im Blut, kann man den Verlauf eines Tumors beurteilen. Man kann die Zu- und Abnahme quantitativ nachweisen und das Auftreten neuer Mutationen erkennen. Die Labormedizin kann aber mit diesem Verfahren noch viele weitere Veränderungen, vor allem epigenetischer Natur, erkennen, wie z.B. eine Zellschädigung der Beta-Zellen beim Beginn eines Typ 1 Diabetes oder Beta- Zellversagen bei einem Typ 2 Diabetes. Das Potenzial ist also wesentlich größer und nicht nur auf den onkologischen Bereich beschränkt. Darum ziehen wir den Begriff des liquid profiling deutlich vor. Mit Liquid biopsy wurde ein Begriff geprägt, der fälschlicherweise suggeriert, diese Technik sei der Gewebebiospie gleichzusetzen und gehöre daher in das Gebiet der Pathologie. Im Grunde handelt es sich aber um liquid profiling und das macht die Labormedizinschon seit Jahrzehnten, nur hat man bisher Proteine genommen um das Profil einer Erkrankung, einschließlich der Tumore, im Blut zu erstellen. Die zellfreie Nukleinsäure kommt jetzt als weiterer Parameter hinzu. Wir sind der Meinung, dass die Verlaufsdiagnostik in unseren Bereich fällt. Es gibt eine traditionelle Arbeitsteilung, die auch sinnvoll ist. Die Arbeit der Pathologen wird dadurch nicht gemindert – ganz im Gegenteil; das wird sich sehr gut ergänzen. Es wird immer zunächst die Histologie geben, mit der Aufgabe der Beurteilung eines Karzinoms in situ und des Gradings. All das kann man nicht mit der zellfreien RNA/DNA lösen, sondern ist weiterhin die Arbeit des Pathologen. Und auch die Suche nach Mutationen im Gewebe ist weiterhin notwendig, denn sie dienen nachher als Tumormarker. Generell darf man eine Technologie, wie die molekulardiagnostische Untersuchung, aber nicht auf eine Gruppe beschränken, das tun wir nicht und das sollten die anderen auch nicht machen.

POCT ist ein weiterer großer Trend, wie verläuft die Entwicklung hier?

Das Point-of-Care-Testing wird immer kleiner und kompakter. Der aktuelle Trend ist Mikrofluidik, mit weniger Volumen und weniger Reagenzien leistungsstark vor Ort zu arbeiten. Aber man sollte sehr sorgfältig abwägen, wo es gebraucht wird, denn nach wie vor ist POCT teurer und weniger leistungsstark, wenn man die Spezifität und Sensitivität mit der von Laboruntersuchungen vergleicht. Es gibt sicherlich Indikationen und Orte, wo es sinnvoll ist, etwa in der Notfallmedizin oder in der Praxis auf dem Land. Für die Industrie ist POCT ein wichtiges Wachstumsfeld. Wir werden daher den Nutzen von POCT auf dem Kongress durchaus kritisch diskutieren.  

Wie kann die Qualität bei POCT gesichert werden?

POCT ist ohne Frage eine Entwicklung, bei der ein richtiger technologischer Fortschritt stattfindet und die immer leistungsstärker wird. Es muss aber auch die richtige Präanalytik gewährleistet sein, was schwieriger wird, weil im Prinzip jeder mit den Geräten arbeitet. Auch die Qualität der Untersuchungen kann zunehmend ein Problem darstellen, weil die Menschen, die das in der Peripherie bedienen, sich nicht unbedingt um die Pflege der Geräte und die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben kümmern. Ebenso wichtig ist es, dass die Daten nicht verloren gehen. Es reicht nicht, die Befunde nur auszudrucken und in die Krankenakte zu legen. Damit sind sie noch lange nicht in der EDV und der Befund fehlt hinterher im System. Hier im Universitätsklinikum Magdeburg gibt es ein POCT-System und eine Kommission, die sich um all diese Aspekte kümmert. Aber auch an allen anderen Standorten müssen die Daten ins System generiert werden, denn nur so kann gewährleistet werden, dass sie im Rahmen von E-Health allen zugänglich sind.
Ich sehe die Labore hier ganz klar in der Pflicht, die Qualität von der Präanalytik über die Analytik bis zur Postanalytik sicher zu stellen. In der Medizin sind wir seit jeher Vorreiter in Sachen Qualitätssicherung und -management und das möchten wir auch so beibehalten.

Welche Herausforderungen gibt es und welche Umwälzungen sind in den nächsten Jahren in der Labormedizin zu erwarten?

Das ist eine vielschichtige Frage. Ganz sicher treibt uns die Nachwuchsfrage um, wie alle anderen Disziplinen auch. Wir haben eine ganze Reihe an Initiativen für die Nachwuchsförderung gestartet, die vom Doktorantenstipendium bis zur Stiftungsprofessur reichen. Wir bieten Didaktikkurse an und starten mit der Deutschen Forschungsgesellschaft eine Nachwuchsakademie. Wir geben uns größte Mühe und das zeigt jetzt auch Früchte, wir konnten Interesse wecken und die Programme werden angenommen.

Es geht in Zukunft sicher auch verstärkt darum, nicht mehr nur Daten zu generieren, sondern Datensätze komplexerer Art zu analysieren und zu verwalten und daraus einen höheren Informationswert zu erhalten. Die Systemdiagnostik ist eine Umwälzung, die kommen wird, sie ist auch ein Thema der Nachwuchsakademie. Es wird vermutlich mehr Bioinformatiker in den Laboren geben, worüber wir sehr dankbar sind, denn die Naturwissenschaftler in unserem Fach waren immer sehr Innovationsstark. 

Dann wird es natürlich neue Analyseverfahren geben, wie die Proteomik. Die hochauflösende Proteinanalyse ist noch nicht in der Routine angekommen, wird sie aber, denn man bekommt mit ihr viel mehr Informationen. Man sieht dabei nicht nur, dass sich etwas an den Antikörper bindet, sondern auch, wie das Proteinfragment aussieht, welche Modifikationen es hat und vieles mehr. Das ist eine neue Ebene von Informationen, die wir in Zukunft zur Verfügung  haben.

Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit den Kollegen und Patienten?

Uns ist es ganz wichtig, mit den ärztlichen Kollegen im Dialog zu bleiben. Nur so kann der Informationsfluss gewährleistet werden. In Zukunft wird unsere beratende Funktion sicherlich noch an Bedeutung gewinnen. Es wird oft unterschätzt, welchen Mehrwert wir in der Medizin schaffen. Wir arbeiten in der zweiten Reihe ohne direkten Patientenkontakt. Trotzdem können über 70 Prozent aller Diagnosen richtig alleine aus den Ergebnissen der Labormedizin erstellt werden. Das ist extrem leistungsstark und dafür entfallen nur drei Prozent der Gesundheitsausgaben. Der Aufwand einer Diagnosestellung mit der Bildgebung ist sehr viel aufwendiger und teurer als bei uns. Die Labormedizin ist so effizient und lautlos geworden, dass man sie gar nicht mehr wahrnimmt und für selbstverständlich hält. Man sollte unseren Beitrag an der Diagnose aber nicht unterschätzen und vielleicht mehr wertschätzen, denn Labormedizin verbindet. In der Zukunft sind wir sicherlich auch offen dafür, den Kongress mit anderen Fachgesellschaften zu veranstalten.

16.09.2016

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