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Artikel • VR, Augmented Reality und mehr
Vielversprechende Zukunft: Mixed Realities in der Medizin
Anwendungen wie Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR) kennt man meist aus der Film- und Spielebranche. In jüngster Zeit interessieren sich aber auch immer mehr Kliniker für das medizinische Potenzial solcher immersiven Technologien. In einem Coffee and Talk-Treffen beim ECR 2019 diskutierten Forscher aus den Niederlanden, Schweden und Großbritannien praktische Anwendungen von VR und AR in der medizinischen Aus- und Weiterbildung, aber auch in der Planung von chirurgischen Eingriffen und deren Visualisierung im OP.
Bericht: Sascha Keutel
Dr. Peter van Ooijen, Informatiker am Universitätsklinikum Groningen in den Niederlanden und Moderator der Diskussion, erläuterte zunächst die grundlegenden Unterschiede der verschiedenen Technologien: Virtual Reality schafft eine vollständig digitale Umwelt, die völlig von der realen Welt abgekoppelt ist. Sie steuert sozusagen das visuelle und auditive Erlebnis der Nutzer in deren Interaktion mit einer komplett künstlichen Umgebung. Augmented Reality dagegen zeigt den Nutzern ihre reale Umgebung, allerdings mit digitalen Zusätzen. Hier ist die reale Welt das Zentrum des Erlebnisses, wird aber durch Daten gesteigert – augmented. In der Merged Reality oder Mixed Reality (MR) vermischen sich die echte und die künstliche Welt, so dass eine Interaktion mit digitalen Objekten möglich wird, während das Gefühl, sich in der physischen, echten Umgebung zu befinden, gewahrt bleibt.
Warum, so Ooijens Ausgangsfrage, sollten Radiologen überhaupt Zeit auf diese neumodischen Applikationen verwenden, wo sie doch ohnehin mit hoch modernen Bildgebungstechnologien und Computern arbeiten? Größtmöglichen Nutzen können Radiologen aus diesen Technologien nur ziehen, wenn korrekte Bilddaten vorliegen – das heißt im Klartext: die Ausgangsaufnahmen müssen einwandfrei sein. Ooijen unterstrich, wie wichtig die korrekte Segmentierung ist, damit die Daten überhaupt in einer digitalen Umgebung verwendet werden können. Mehr noch, so Ooijen: „Die Lehrfälle müssen von Grund auf aufgebaut werden, daher spielt die Radiologie eine zentrale Rolle.“
Mixed Reality in der medizinischen Ausbildung
Professor Dr. Anders Persson von der Abteilung Radiologische Wissenschaften an der Linköping Universität, Schweden, beschäftigt sich in erster Linie mit Mixed Realities in der medizinischen Aus- und Weiterbildung. So liefern Radiologen und 3D-Bildgebungsspezialisten des Universitätszentrums für Medizinische Bildgebungswissenschaften und Visualisierung die Bildgebungsdaten, die dann für die Ausbildung der Studenten und Assistenzärzte herangezogen werden.
Persson, mit Blick auf Ooijens Bemerkung, die VR sei eine geschlossene Umwelt, betonte, dass die Nutzung der VR für klinische Echtzeit-Untersuchungen von CT- oder MRT-Bildern doch recht schwierig sei: „Man muss die Daten aus dem Scanner holen, sie segmentieren, mit ihnen arbeiten, sie dem Kontext zuordnen. Das heißt, es sind nur Daten, keine Menschen. Anhand dieser Daten kann keine Diagnose gestellt werden – noch nicht.“
„Zu Ausbildungszwecken ist die Mixed Reality wirklich gut, den man kann mit den Lehrenden kommunizieren“, so Persson. Und außerdem, fügte er hinzu, können sich mehrere Studenten frei bewegen und gleichzeitig an anatomischen 3D-Modellen arbeiten. Sie können sie Schicht für Schicht auseinandernehmen und verstehen so die Anatomie besser.
Persson wies auch darauf hin, dass man für die Extended Realities keine Brillen braucht: „Wir verwenden einen Visualisierungstisch. Das heißt, wir nehmen die Daten direkt aus dem Scanner und sehen sie uns in 3D an.“
Zum Abschluss erläuterte Persson das Potenzial dieser Technologien für die Patientenaufklärung: Sie helfen Patienten und deren Angehörigen, die Krankheit besser zu verstehen. Dadurch können sie auch fundiertere Entscheidungen über ihre medizinische Versorgung treffen.
Mixed Reality im OP
Dr. Dimitri Amiras vom Imperial College Healthcare National Health Service (NHS) Trust in Großbritannien berichtete von seinen Erfahrungen mit Mixed Reality bei chirurgischen Anwendungen. Er wies darauf hin, dass die MR es Ärzten ermöglicht, kritische Bildgebungsinformationen zu sammeln und komplexe medizinische Daten zu visualisieren, sowohl vor als auch während des Eingriffs.
Mit Hilfe der Mixed Reality-Technologie, so Amiras, kann der Arzt die interne Anatomie des Patienten direkt auf dessen Körper projizieren. Am St Mary’s Hospital in London nutzen Amiras und sein Team Augmented Reality zur Unterstützung der rekonstruktiven plastischen Chirurgie. Das Team segmentierte die Bildgebungsdaten eines Patienten, der sich einer Beinoperation unterziehen musste. Die Daten wurden in 3D-Modelle konvertiert, die wiederum mit der AR-Software kompatibel waren. Dann wurden die Gefäße des Patienten sichtbar gemacht, d. h. das chirurgische Team sah, wo der Eingriff sicher verlaufen konnte und keine Venen oder Arterien verletzt wurden. Das A und O bei der Erstellung solcher Modelle, so Amira, sei „die Segmentierung der Daten. Bei falscher Segmentierung kann es passieren, dass der Arzt das falsche Gefäß operiert oder dass er die Daten fehlinterpretiert.”
Amiras wagte auch einen Blick in die Zukunft: „Mixed Reality wird die Chirurgie revolutionieren. Die Technologie macht Eingriffe nicht nur schneller, sie kann uns vielleicht auch helfen, das Inoperable operabel zu machen.”
01.06.2019