Schlaganfall
Verschluss der Wirbelsäulenarterien: Stent oder Medikation?
Arteriosklerotische Engstellen in den beiden kleineren Hirnarterien rechts und links der Wirbelsäule sind bisweilen Auslöser von Schlaganfällen in hinteren Gehirnregionen. Solche Vertebralisstenosen können zwar von Neuroradiologen durch das Setzen von Stents behandelt und die Arterien damit für den Blutfluss ins Gehirn offengehalten werden. Allerdings musste jüngst eine niederländische Studie vorzeitig abgebrochen werden, weil sich bald zeigte, dass diese interventionelle Therapie keine Vorteile gegenüber einer optimalen konservativen Therapie mit Medikamenten besitzt.
Die Arbeit sorgt für Diskussionsstoff: Bei näherer Betrachtung zeigen sich deutliche Mängel im Studiendesign. So bleiben zahlreiche Fragen offen, die in weiteren Studien geklärt werden müssen, erklären die Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft (DSG), die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) und die Deutsche Gesellschaft für Neuroradiologie (DGNR). Trotz des negativen Ausgangs ist diese Form der endovaskulären Therapie nicht abgeschrieben. Experten diskutieren, warum sie eine Behandlungsoption bleibt.
Das Blut gelangt nicht allein über die beiden großkalibrigen Halsschlagadern ins Gehirn. Zwei kleinere Arterien (A. vertebralis), die beiderseits der Wirbelsäule verlaufen, versorgen wichtige hintere Abschnitte des Gehirns wie das Kleinhirn, den Hirnstamm, das Zwischenhirn und das zentrale Sehzentrum. Ist eine Arteria vertebralis verengt oder blockiert, kann dies einen Schlaganfall auslösen. Seit einigen Jahren ist es möglich, diese Engstellen durch einen Stent zu beseitigen, der entweder von der Leiste aus oder über eine Arterie des Arms bis in die Wirbelarterie vorgeschoben wird. Die verbesserte Durchblutung und die Abdeckung der Arteriosklerose durch den Stent sollen die Patienten vor einem erneuten Schlaganfall schützen.
Höheres Risiko durch Stents
Diese Behandlung ist für die Betroffenen nicht ohne Risiken, wie die jetzt in der Fachzeitschrift Lancet Neurology veröffentlichte Studie Vertebral Artery Stenting Trial (VAST) zeigt: Bei drei der insgesamt etwa 50 mit einem Stent versorgten Patienten kam es innerhalb von 30 Tagen zu einem Herzinfarkt, Schlaganfall oder einer tödlichen Gefäßerkrankung (Komplikationsrate: 5 Prozent). Bei zwei dieser drei Patienten handelte es sich allerdings um intrakranielle Stenosen, also Gefäßverengung in unmittelbarer Nähe des Gehirns, bei denen bereits aus anderen Studien ein erhöhtes Behandlungsrisiko bekannt ist. In der Vergleichsgruppe gab es lediglich ein einziges Ereignis (1 Prozent). Die Vergleichsgruppe erhielt keine Gefäßstütze, aber eine optimale medikamentöse Therapie. Das niederländische Forscherteam hatte Patienten mit einem leichten Schlaganfall oder der Vorstufe TIA (Transitorische ischämische Attacke) untersucht. Die Beschwerden gingen bei allen Patienten auf eine Verengung in einer Wirbelarterie zurück.
„Ein gewisses Risiko durch die Katheterbehandlung war bekannt“, sagt Professor Dr. med. Joachim Röther, Chefarzt der Neurologischen Abteilung der Asklepios Klinik Altona in Hamburg und Pressesprecher der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG): „Dieses Risiko sollte jedoch durch einen späteren Schutz vor weiteren Schlaganfällen wieder wettgemacht werden.“ Doch hierfür liefert die Studie keine Anzeichen. In den ersten drei Jahren nach der Stent-Behandlung erlitten sieben Patienten (12 Prozent) erneut einen Schlaganfall. In der Kontrollgruppe waren es nur vier Patienten (7 Prozent).
Studienlage zur Schlaganfalltherapie mit Stents
Zweifel an dem Nutzen der Stent-Behandlung kamen bereits vor vier Jahren auf, als es in einer US-Amerikanischen Studie (SAMMPRIS) nach dem Stenting von intrakraniellen Stenosen zu vermehrten Schlaganfällen kam und eine Vorbeugung künftiger Schlaganfälle nicht erkennbar war. „In SAMMPRIS war die Behandlung nicht auf die Beseitigung von Stenosen in der Arteria vertebralis beschränkt. Die meisten Stents wurden in intrakraniellen Ästen der Halsschlagader platziert“, erläutert Professor Hans-Christoph Diener, Direktor der Klinik für Neurologie am Uniklinikum Essen und Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN). Außerdem sei ein Stent verwendet worden, der aus heutiger Sicht veraltet ist.
Die aktuelle Studie VAST konnte wegen eines anderen Studiendesigns und der Anwendung moderner Stents durchgeführt werden. Als es dann aber zu einem Todesfall nach einer Stent-Behandlung kam, musste sie doch vorzeitig abgebrochen werden. Die Reaktion der niederländischen Kollegen sei verständlich, so Professor Diener. Das vorzeitige Ende der Studie habe jedoch dazu geführt, dass die Frage nach einem Nutzen der Therapie nicht abschließend geklärt werden konnte. Die Indikation für einen Stent liegt danach nur noch bei Patienten mit distalen hochgradigen Stenosen der Arteria vertebralis vor, bei denen trotz optimaler medikamentöser Therapie TIAs auftreten, weil der Blutfluss zum Gehirn eingeschränkt ist, so Professor Diener. Dies ist der Fall, wenn von Geburt an die zweite Arteria vertebralis nicht richtig angelegt oder bereits verschlossen ist. TIAs treten bei einer hochgradigen Einengung der verbliebenen Arterie und Blutdruckabfall auf.
Zahlreiche mögliche Gründe für das schlechte Ergebnis
Die Gründe für diese ungünstigen Ergebnisse vermutet Professor Dr. med. Christoph Groden, Leiter der Abteilung für Neuroradiologie des Universitätsklinikums Mannheim, in der Auswahl der Patienten: „Eine Katheterbehandlung ist nur bei Patienten mit einem hohen Schlaganfallrisiko sinnvoll, bei hochgradigen Stenosen und insbesondere wenn die andere Arteria vertebralis auch betroffen ist“, erläutert der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Neuroradiologie (DGNR). „Eine Behandlung sollte dann erwogen werde, wenn der Stenosegrad über 70 Prozent liegt, ähnlich wie bei Stenosen der vorderen Halsschlagader. In der Studie war aber nur eine 50-prozentige Stenose gefordert. Außerdem sollte man zwischen einer Stenose im Anfangsabschnitt der Wirbelarterie außerhalb des Gehirns und einer intrakraniellen Stenose – die direkt am Gehirn liegt – unterscheiden. Diese intrakraniellen Stenosen haben beim Stenting ein erhöhtes Komplikationsrisiko. Solche Stenosen wurden aber in die Studie auch mit eingeschlossen und waren für zwei der drei Komplikationen verantwortlich. Die Hälfte der Patienten hatte nur eine TIA, aber keinen Schlaganfall erlitten. Ein Nachteil war aus Sicht von Professor Groden auch die lange Wartezeit. Nur 28 Prozent der Patienten wurden innerhalb von 14 Tagen nach einem zerebrovaskulären Ereignis mit Stents behandelt.
Alle drei Experten hoffen auf weitere Studien, in denen moderne Stents eingesetzt werden. Im Bereich dieser endovaskulären Therapien habe es in den letzten Jahren deutliche Fortschritte gegeben, wie in jüngerer Zeit das Beispiel der Thrombektomie verdeutlicht hat. Daher müssen einige neuere Methoden einer gründlichen Neubewertung unterzogen werden.
Literatur:
A. Compter, H. B. van der Worp, W. J. Schonewille, J. A. Vos, J. Boiten, P. J. Nederkoorn, M. Uyttenboogaart, R. T. Lo, A. Algra, L. J. Kappelle; VAST investigators. Lancet Neurology 2015; 14(6): 606-14. doi 10.1016/S1474-4422(15)00017-4
Quelle: Gemeinsame Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft (DSG) und der Deutschen Gesellschaft für Neuroradiologie (DGNR)
03.07.2015