Variantenreich: das akute Abdomen im Kindesalter

Vom harmlosen Zustand bis zur lebensbedrohlichen Erkrankung – das akute Abdomen umfasst bei Kindern wie Erwachsenen eine ganze Palette von Symptomen und Krankheitsbildern. In der Notfallsituation gilt es, die initialen Leitsymptome der Kinder, wie Schmerz und Erbrechen, schnell und sicher einzuschätzen.

Prof. Dr. Rainer Wunsch
Prof. Dr. Rainer Wunsch

Die Erstuntersuchung wird in der Regel mit dem Ultraschall durchgeführt, teilweise ergänzt durch konventionelle Röntgenaufnahmen. Prof. Dr. Rainer Wunsch, Chefarzt der radiologischen Abteilung der Vestischen Kinder- und Jugendklinik in Datteln der Universität Witten/Herdecke, gibt einen Überblick über das leitliniengerechte Vorgehen.

Die Erkrankung, die dem akuten Abdomen ursächlich zugrunde liegt, weist im Kindes- und Jugendalter eine starke Altersabhängigkeit auf. Eine Tatsache, die den Radiologen die präzise Diagnosestellung insofern erleichtert, als es für jede Altersgruppe typische Krankheitsbilder gibt. Diese gilt es in Form eines Ausschlussverfahrens systematisch abzuarbeiten, um zügig und sicher die korrekte Diagnose zu stellen und die Therapie einzuleiten. Unterschieden werden die Neugeborenenphase, die die ersten vier Lebenswochen umfasst, die Altersgruppe der Säuglinge und Kleinkinder bis zum sechsten Lebensjahr und die Gruppe der Schulkinder – eine Einteilung, die sich in der Praxis gut bewährt hat. Oftmals ist die Leitsymptomatik bei Säuglingen und Kleinkindern oft schwächer ausgeprägt – die korrekte Einschätzung der klinischen Verhältnisse durch den Pädiater also erheblich erschwert.

Ultraschall im Fokus

Das gängige diagnostische Verfahren ist die Sonographie, manchmal ergänzt um die konventionelle Röntgenaufnahme – vor allem im Kontext mit Darmstillstand und der Darstellung der Darmgasverteilung. „Der Ultraschall hat bei Kindern eine höhere Wertigkeit, da wir mit kürzeren Wellen arbeiten können und so aufgrund der besseren Ortsauflösung auch eine bessere Bildqualität erhalten“, erläutert Wunsch. Der Grund hierfür ist das bei Kindern wesentlich geringere Körpervolumen im Vergleich zu Erwachsenen, die möglicherweise auch noch übergewichtig sind. Die CT kommt bei Kindern vor allem beim Polytrauma, etwa nach Unfällen, zum Einsatz, denn die Detektion und Lokalisation von Rissen im Parenchym der Organe ist mittels Ultraschall oft nur eingeschränkt möglich.

Probleme im Darm

Beispiele für typische akute Erkrankungen der Neugeborenen sind die nekrotisierende Enterokolitis und der Mekoniumileus (Darmverschluss). Bei der Malrotation handelt es sich um eine angeborene Störung, die zum akuten Problem werden kann, wenn sich der Darm um seine mesenteriale Achse dreht und damit die Gefäßversorgung wie auch die Darmpassage unterbindet (Volvulus). Atresien und Stenosen, also das Fehlen von Darmabschnitten und massive Einengungen, gehören ebenso in dieses Cluster wie der Morbus Hirschsprung, eine angeborene Veränderung des Nervensystems im Darm, die lebensbedrohliche Darmstörungen verursachen kann. „In der Altersgruppe der Säuglinge und hier vor allem bei Kindern von der zweiten bis 15. Lebenswoche steht ein anderes Krankheitsbild im Vordergrund. Die hypertrophe Pylorusstenose ist eine Verdickung des Magenausgangs, die dazu führt, dass zwischen Magen und Dünndarm keine Passage mehr stattfindet. Die Symptome der betroffenen Kinder äußern sich durch zunehmendes Erbrechen und einen schlechten Allgemeinzustand. Auch hier erfolgt der diagnostische Nachweis sonographisch – eine sehr schnelle, einfache und sichere Methode, die eindeutige morphometrische und dynamische Daten liefert und ein rasches Eingreifen ermöglicht.

Von der Diagnose zur Therapie

Typisch für das Alter zwischen sechs Monaten und dem zweiten Lebensjahr ist die ileokolische Invagination. Hierbei kommt es zu einer Einstülpung des Darms in das Darmlumen des Dickdarms. Die Symptome sind kolikartige Schmerzen in kurzen Intervallen und galliges Erbrechen. „Als Besonderheit sind wir Kinderradiologen bei dieser Erkrankung nicht nur hinsichtlich der Diagnose, sondern auch als Therapeuten gefragt“, erläutert Professor Wunsch. Denn eine elegante Alternative zum operativen Eingriff stellt die sonographisch gesteuerte Reposition dar: Die Kinder erhalten eine Magensonde und werden sediert. Eine auf Körpertemperatur erwärmte NaCl-Lösung wird über ein Darmrohr mit definiertem Druck in den Dickdarm eingeführt. Durch den Flüssigkeitsdruck wird das Invaginat rückwärts aus dem Darm geschoben. Die NaCl-Lösung fungiert gleichzeitig als Kontrastmittel, sodass sich der Vorgang optisch gut kontrollieren lässt.

Der Appendizitis auf der Spur

Bei der Altersgruppe der Schulkinder liegt die Appendizitis als häufigste Erkrankung, die zum akuten Abdomen im Kindes- und Jugendalter führt, ganz vorn. „Zur differenzialdiagnostischen Abklärung wie auch zum sicheren Nachweis der Appendizitis selbst arbeiten wir mit dem Ultraschall“, so Wunsch. Unter Verwendung eines Linearschallkopfes mit einer Frequenz von 10 bis 15 MHz, der eine entsprechende Ortsauflösung liefert, wird eine anatomische Besonderheit des Appendix für die sichere Lokalisation der Entzündung genutzt. „Die submuköse Schicht des Appendix enthält zahlreiche Lymphfollikeln, sodass die dunkel imponierte Schicht viel dicker ist als in den angrenzenden Darmbereichen“, erklärt der Kinderradiologe. Eine Dicke von über 6 Millimetern und ein auslösbarer Druckschmerz sind praxistaugliche Anzeichen für eine Appendizitis. Das omentale Fett besitzt eine Art Wächterfunktion, indem es entzündliche Areale abgrenzt. Dadurch ist der entzündliche Darm im Ultraschall gut innerhalb des hellen Fetts zu erkennen. Neben der Schmerzempfindlichkeit bei Druck ist ein sogenannter Appendikolith ein weiteres Kriterium, das die Sicherheit der Diagnose erhöht: eine kleine verkalkte Struktur, die typischerweise nur im entzündeten Appendix zu sehen ist.

Time is testis

Auch bei der Torquierung des Hodens ist schnelles Handeln gefragt. Um das Organ zu erhalten, muss die Detorquierung innerhalb von sechs Stunden vollzogen sein, danach steigt das Risiko des Verlusts rasant. Drei Marker geben Aufschluss über diese sehr schmerzhafte Diagnose, die bei männlichen Jugendlichen mit einer Inzidenz von 1:4.000 bis 1:5.000 relativ häufig ist: eine fehlende zentrale Durchblutung des Hodens – und zwar hinsichtlich der venösen und der arteriellen Gefäße –, Echogenität und die Skrotalwandverdickung. „Die Diagnose ist damit sehr einfach und ermöglicht ein schnelles chirurgisches Eingreifen, sodass die Hodenvitalität erhalten werden kann, andererseits kann bei Diagnoseausschluss häufig eine nicht notwendige Operation vermieden werden“, schließt Professor Wunsch. 

IM PROFIL

Prof. Dr. Rainer Wunsch studierte in Mainz, wo er auch promovierte. Seine radiologische Laufbahn führte ihn an die University of California in San Francisco, das Bundeswehrkrankenhaus Ulm und die Universitätsklinik Heidelberg. Dort erwarb er die Zusatzbezeichnung Kinderradiologie. Berufspolitisch engagierte sich Wunsch im Vorstand der GPR und in der AG Kinderradiologie der Deutschen Röntgengesellschaft. Zurzeit ist er im Vorstand der DEGUM, Sektion Pädiatrie, aktiv. Seit 2002 ist Rainer Wunsch als Chefarzt der radiologischen Abteilung der Vestischen Kinder- und Jugendklinik in Datteln, Universität Witten/Herdecke, tätig. Datteln gehört zu den größten Kinderkliniken in Deutschland.

08.11.2013

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