Bildquelle: Siemens Healthineers
Artikel • Bildgestützte Diagnose und robotergestützte Therapie
Unterstützung für Augen und Hände des Interventionalisten
Ende Oktober 2019 ist der Siemens Healthineers AG ein erster großer Schritt hin zur Behandlung von Patienten entlang des gesamten klinischen Pfades gelungen: Die Übernahme von Corindus Vascular Robotics, Inc. sollte bildgestützte Diagnose und robotergestützte Therapie zusammenbringen.
Bericht: Daniela Zimmermann und Sonja Buske
Dank des von Corindus entwickelten, produzierten und vertriebenen endovaskulären Robotersystems CorPath GRX konnte keine zwei Monate später zum ersten Mal in einem deutschen Krankenhaus eine Gefäßstütze assistiert von einem Robotersystem minimal-invasiv in ein verengtes Herzkranzgefäß eingesetzt werden.
Bei der Präzisionsroboter-Plattform handelt es sich um das derzeit einzige robotergestützte System für kardiovaskuläre und periphere vaskuläre Eingriffe, dass die FDA-Zulassung und CE-Zertifizierung hat. „Wir wollen unser Portfolio für die Therapie ausbauen“, sagt David Winneberger, Head of Global Marketing Cardiology bei Siemens Healthineers. „Teil unserer Strategie 2025 ist die Förderung bildgestützter Therapien, um dadurch die Behandlungskosten sowohl für unsere Kunden also auch insgesamt im Gesundheitssektor zu senken.“
Primär wird der Roboter in der Kardiologie und in der interventionellen Radiologie eingesetzt. Durchgeführt werden die Interventionen sowohl von interventionellen Radiologen als auch von minimal-invasiv tätigen Gefäßchirurgen. Winneberger: „Bisher waren wir nur die Augen des Interventionalisten. Dank der neuen Technologie verbinden wir jetzt die bild- und roboterassistierten Aspekte und unterstützen somit nun auch seine Hände.“
Intuitiv und schnell
Die ersten, die in Deutschland in den Genuss von CorPath GRX kamen, waren das Team um Prof. Dr. Holger Nef, stellvertretender Direktor der Medizinischen Klinik I, Kardiologie und Angiologie, des Universitätsklinikums Gießen. Die Ärzte nutzten den endovaskulären Roboter von Corindus in Kombination mit einem Artis Angiographie-System von Siemens Healthineers, um bei der perkutanen Koronarintervention mittels Katheter einen Stent zu setzen. „Ich war überrascht, wie intuitiv und einfach die Bedienung des Roboters ist, und wie schnell die Prozedur durchzuführen ist“, berichtet Nef.
Drei Patienten haben er und sein Team in einer Testinstallation mit Hilfe des CorPaths behandelt, 250 sollen es künftig pro Jahr werden. Nefs Bestreben ist es, Qualitätsstandards für die interventionelle Kardiologie zu etablieren, denn obwohl die Interventionalisten in den vergangenen 40 Jahren viel dazu gelernt haben und die Materialien enorm verbessert wurden, ist die Beseitigung von koronaren Stenosen aufgrund der unterschiedlichen Expertise der behandelnden Ärzte immer noch fehleranfällig. Nef: „Das exakte Absetzen des Stents oder das Einschätzen der Stenosen-Länge hängt stark von der Erfahrung des jeweiligen Interventionalisten ab. Der Roboter kann diese Fehlerquelle komplett ausschalten.“ Um das zu belegen, plant Nef eine Studie: Erfahrene und weniger erfahrene Interventionalisten sollen sowohl manuell als auch mit dem Roboter arbeiten. Nef erwartet hier große Unterschiede bei der manuellen PCI, jedoch keine bei der robotergeführten Variante.
Doch nicht nur die Patienten profitieren vom CorPath, sondern auch die Ärzte. Denn durch die Steuerung des Roboters von einem Nebenraum aus, sind sie deutlich weniger Strahlenbelastung ausgesetzt. „Bisher mussten wir die ganze Zeit über schwere Röntgenschürzen tragen“, erklärt Nef. „Deshalb haben eigentlich alle Interventionalisten Rückenprobleme. Linksseitige Gehirntumore sowie der Graue Star sind weiterer Erkrankungen die unter Behandlern vermehrt beobachtet wurden, obwohl die Strahlenbelastung dank moderner Geräte mittlerweile sehr gering ist. All dies gehört nun der Vergangenheit an.“
Potenzial vorhanden
Bei der Nutzung des Robotersystems sieht Nef noch Potenzial. Einige Arbeitsschritte, wie zum Beispiel das Einlegen der Drähte und Katheter, müssen immer noch von Assistenzpersonal durchgeführt werden. Eine Aufgabe, die der Roboter genauso gut übernehmen könnte. Dem pflichtet auch David Winneberger bei. Für ihn sind die Planung von Eingriffen und der Einsatz künstlicher Intelligenz zwei wichtige Aspekte, an denen es weiter zu forschen gilt.
Bleibt die Frage, wie eigentlich das Angiographiesystem mit einem Roboter „spricht“? Wie kann man zwei so unterschiedliche Systeme zusammenbringen? „Das ist tatsächlich nicht ganz so einfach“, weiß Winneberger. „Wir haben deshalb eine neue Angiographieanlage mit einer universellen Schnittstelle, dem so genannten Third Party Broker, entwickelt. Denn in den Angioräumen der Zukunft gibt es viele verschiedene Geräte und Anwendungen unterschiedlichster Hersteller. Über den Third Party Broker könnten sich dann viele Systeme, auch der Roboter, miteinander verbinden.“
Bedeutet die Übernahme von Corindus nun, dass Siemens bald auch Roboter baut? Die Antwort darauf fällt eindeutig aus: „In erster Linie bleibt die Herstellung von Robotern Aufgabe von Corindus. Jeder hat seine Stärken: Corindus in der robotergestützten Gefäßintervention, und Siemens in der bildgeführten Intervention, so dass niemand das Rad neu erfinden muss. Wir haben enge Schnittstellen zwischen den Ingenieuren beider Firmen geschaffen, um die Weichen für die Zukunft zu stellen,“ so der Head des Global Marketing Cardiology.
In dieser Zukunft soll der bestehende Roboter zunächst weiterentwickelt werden. So könnte er künftig von einem anderen Krankenhaus aus zu steuern sein. Winneberger: „Die Operation könnte dann zum Beispiel in einer Klinik stattfinden, von der der durchführende Arzt aber viele Kilometer entfernt sitzt.“
Profile:
David Winneberger ist Head of Global Marketing Cardiology bei Siemens Healthineers. Er hat Industrie- und Krankenhauserfahrung und zudem in einer Privatpraxis gearbeitet. Durch seine umfassende Erfahrung im Bereich Medizinprodukte, Therapie, Kommunikation, Management, Produktmanagement und Marketing gelingt es ihm, Teams zu motivieren und zu führen sowie ehrgeizige Ziele anzustreben und auch zu erreichen.
Prof. Dr. Holger Nef ist stellvertretender Direktor der Medizinischen Klinik I, Kardiologie und Angiologie, des Universitätsklinikums Gießen. Nach seinem Medizinstudium in Freiburg arbeitete er in unterschiedlichen Positionen in der Kerckhoff-Klinik Bad Nauheim, einer Schwerpunktklinik für Herz-, Lungen-, Gefäß- und Rheumaerkrankungen sowie Transplantations- und Rehabilitationsmedizin. Prof. Nef ist Träger des Andreas-Grüntzig Preises, der jährlich von der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie für hervorragende Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der interventionellen Kardiologie verliehen wird.
16.06.2020