Bildquelle: Siemens Healthineers
Interview • Medizintechnik-Markt im Wandel
Nachhaltigkeit in der Radiologie: Mehr als nur CT im Energiespar-Modus
Nachhaltigkeit ist für viele zum Synonym für Umweltschutz geworden, doch im Gesundheitswesen umfasst der Begriff weitere wichtige Aspekte – die manchmal sogar im Widerspruch zueinander stehen. Wir sprachen mit André Hartung über die Gratwanderung zwischen Ökobilanz und Versorgungsqualität. Dabei erklärt der President Diagnostic Imaging bei Siemens Healthineers, welche Kompromisse die Radiologie nicht eingehen darf und wie das Unternehmen Nachhaltigkeit für sich definiert und danach handelt.
Interview: Wolfgang Behrends
HiE: Das Thema Nachhaltigkeit hat fast jeden Bereich unseres Lebens erreicht – natürlich auch das Gesundheitswesen. Was verstehen Sie als Hersteller von Medizintechnik als „nachhaltig“?
Hartung: „Wenn man wie wir im Gesundheitssektor arbeitet, wird das Thema Nachhaltigkeit auch ein bisschen breiter gefasst. Es ist zwar schon inhärent nachhaltig, sich dafür einzusetzen, dass Patienten möglichst gut geholfen wird und sie möglichst gesund bleiben. Ein wesentlicher Aspekt ist aber auch, diese Aufgabe so zu erfüllen, dass wir die Umwelt dabei nicht übermäßig belasten. Darüber hinaus sehen wir auch die Themen soziale Verantwortung, Vielfalt und Inklusion als Teil einer nachhaltigen Umgebung.
Im Grunde ist das Thema auch nicht wirklich neu für uns; schon seit etwa 20 Jahren betreiben wir Refurbishment, also das Wiederaufbereiten bildgebender Systeme, um sie dann wieder in den Kreislauf einzubringen. Schon 2003 haben wir eine Röntgenröhre gebaut, bei der 90% der Teile wiederverwendet werden können, um daraus eine neue Röhre zu bauen.
Wir legen großen Wert darauf, die Energieeffizienz unserer bereits installierten Systeme durch Upgrades kontinuierlich zu verbessern. Dadurch verlängert sich auch die Laufzeit der Geräte, bevor ein neuer Scanner angeschafft werden muss – das ist bis zu einem bestimmten Punkt ein sehr probates Mittel, um sich nachhaltig zu verhalten.“
Inwiefern spielt dabei die Nachfrage seitens der Institutionen, die Ihre bildgebenden Systeme nutzen, eine Rolle?
„Auch für unsere Kunden wird Nachhaltigkeit ein immer wichtigeres Thema. Fast alle haben sich mittlerweile selbst Ziele in diesem Bereich gesetzt. Hinzu kommt, dass die anhaltend hohen Energiepreise den Fokus auf Nachhaltigkeit fördern – wir merken mehr und mehr, dass die Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Produkt auch davon abhängig ist, ob es nachhaltig produziert wurde, ob es energieeffizient arbeitet und somit zum einen zu den Nachhaltigkeitszielen beiträgt und zum anderen hilft, Kosten durch geringeren Energieverbrauch einzusparen.
Früher musste man beim Einsatz wiederaufbereiteter Materialien eher erklären, dass es sich nicht um B-Ware handelt. Heute ist es ein Argument dafür, dass man sich nachhaltig entscheidet
André Hartung
In Bezug auf Produktentscheidungen war Nachhaltigkeit vor zehn Jahren eher ein Nebenthema. Aber natürlich wächst das Bewusstsein, in welcher Situation wir uns auf unserem Planeten befinden, und damit wird das Thema jetzt zu Recht höher priorisiert. Zum Beispiel musste man früher beim Einsatz wiederaufbereiteter Materialien eher erklären, dass es sich dabei nicht um B-Ware handelt. Heute ist es ein Argument dafür, dass man sich eben nachhaltig entscheidet.
Wir nehmen Nachhaltigkeit daher auch stärker in den Fokus der Kommunikation, denn wir glauben, dass wir uns hier wirklich differenzieren können. Ich bin überzeugt, dass ein Hersteller, der sich engagiert und nicht nur die gesetzlichen Mindestanforderungen erfüllt, damit auch einen Wettbewerbsvorteil hat.“
Wo sehen Sie das größte Potenzial, den CO2-Abdruck in der Radiologie zu verringern?
„Da gibt es eine ganze Reihe an Stellhebeln, an denen wir ansetzen können. Zum einen geht es um Emissionen, die bei der Produktion unserer Geräte entstehen; von der Herstellung der Teile über Logistik – etwa der Energiebedarf der Gebäude, in denen wir produzieren – bis hin zum Transport und Fleet Management, also die Dienstwagen unserer Mitarbeiter. Das sind alles Themen, bei denen wir das Ziel haben, bis 2030 klimaneutral zu sein. Um unsere Emissionen in der Lieferkette weiter zu senken, haben wir beispielsweise vom Transport unserer Systeme zum größten Teil von Flug- auf Seefracht umstellt. Natürlich haben auch Schiffe einen großen CO2-Abdruck, dafür können wir auf diesem Weg aber eine weitaus größere Zahl an Geräten transportieren, so dass es in Summe noch definitiv effizienter ist, als sie zu fliegen.
Bei MR-Geräten lässt sich durch einen effizienten Ruhemodus rund 30% des Energieverbrauchs einsparen
André Hartung
Der weitaus größere Teil der Emissionen liegt allerdings im Energieverbrauch bei der Nutzung der Systeme. Bei vielen diagnostischen Untersuchungen lässt sich durch effiziente Einstellungen viel Energie sparen. Hier gilt für uns, analog zur genutzten Strahlendosis, das ALARA-Prinzip: as low as reasonably possible. Man kann zwar bis zu einem bestimmten Punkt optimieren und diese Grenze wird mit neuen Methoden immer weiter verschoben – zum Beispiel mit iterativer oder KI-gestützter Rekonstruktion oder der Photon-Counting-CT. Irgendwann lässt sich aber mithilfe existierender Technologien der Energieverbrauch nicht weiter verringern, ohne die Qualität der Diagnostik zu beeinträchtigen. Das ist natürlich der Punkt, an dem wir keinesfalls Kompromisse eingehen wollen, denn damit würden wir unseren Kernauftrag infrage stellen.
Ganz wesentlich ist aber auch der Stand-By-Betrieb: Beispielsweise lässt sich bei MR-Geräten durch einen effizienten Ruhemodus rund 30% des Energieverbrauchs einsparen. Daher statten wir unsere Systeme mit umfangreichen Energiespar-Funktionen aus. Fast noch wichtiger sind aber Information, Ausbildung und Training der Nutzer – denn natürlich ist es viel einfacher, ein Gerät einfach anzulassen, als diese Stand-By-Modi aktiv zu nutzen. In der Vergangenheit war das Bewusstsein dafür, wie groß der Impact auf die Umwelt ist und wie viel Kosten das zusätzlich verursacht, nicht sehr ausgeprägt. Aber hier findet in den vergangenen Jahren definitiv ein Wandel statt, den wir natürlich unterstützen wollen.“
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Sie sprachen gerade das Thema künstliche Intelligenz an: Wie können solche neuen Technologien dazu beitragen, nachhaltiger zu werden?
„Wir sehen KI als einen Motor, der helfen kann, Prozesse zu automatisieren und zu beschleunigen. Damit ermöglichen wir unseren Kunden zum einen, ressourcenschonender und energieeffizienter zu arbeiten. Zum anderen hat KI das Potential, administrative Tätigkeiten im Krankenhaus zu reduzieren, damit das Personal mehr Zeit für das hat, wofür sie eigentlich angestellt werden – nicht zum Akten ausfüllen, sondern für die Diagnostik und Pflege ihrer Patienten. Auch das ist für uns Nachhaltigkeit.“
08.06.2023