News • Laborwerte für individuelle Prognose

Risikorechner warnt früh vor Nierenversagen

Wenn eine eingeschränkte Nierenfunktion (Niereninsuffizienz) diagnostiziert wird, ist unklar, wie schnell die Krankheit fortschreitet und wann die Nieren vollständig ihren Dienst versagen, so dass eine Dialyse erforderlich wird. Das kann bei einem Patienten sehr schnell gehen, während sich bei einer anderen Patientin die Nierenfunktion jahrelang kaum verschlechtert.

portrait of helena zacharias
Erstautorin der Studie: Prof. Helena Zacharias, Institut für klinische Molekularbiologie, CAU und UKSH sowie Klinik für Innere Medizin I, UKSH

© Claudia Zacharias

Für die Therapieplanung wäre es jedoch wünschenswert, Betroffene mit einem hohen Risiko für ein komplettes Nierenversagen frühzeitig zu identifizieren. Für diesen Zweck hat Professorin Helena Zacharias von der Medizinischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) innerhalb eines internationalen Forschungsverbunds zusammen mit Forschenden der Universitäten Regensburg (Prof. Dr. Peter Oefner) und Freiburg einen Risikokalkulator entwickelt. „Wir können mit unserer Gleichung anhand von sechs routinemäßig verfügbaren Blut- und Urinwerten für einen neuen Patienten oder eine neue Patientin die Wahrscheinlichkeit eines dialysepflichtigen Nierenversagens ausrechnen“, erklärt die Wissenschaftlerin, die auch Mitglied im Exzellenzcluster „Precision Medicine in Chronic Inflammation“ (PMI) ist.

Die Arbeit wurde jetzt im American Journal of Kidney Diseases veröffentlicht.

Grundlage sind die Daten von fast 5.000 Teilnehmern der German Chronic Kidney Disease (GCKD)-Studie, der weltweit größten Kohortenstudie zur chronischen Nierenerkrankung (Studienkoordination: Medizinische Klinik 4 – Nephrologie und Hypertensiologie des Universitätsklinikums Erlangen; Prof. Dr. Kai-Uwe Eckardt; Direktor: Prof. Dr. Mario Schiffer). Mit Hilfe von maschinellem Lernen wurden aus 22 Laborparametern sowie demographischen Daten und Körpermaßen diejenigen herausgefiltert, die zur Vorhersage des Nierenversagens maßgeblich sind. Die neue Risikoformel umfasst die sechs Laborparameter: Serum-Kreatinin, -Albumin, -Cystatin C und -Harnstoff, zusätzlich zu Hämoglobin und dem Albumin-zu-Kreatinin-Verhältnis im Urin. „Unsere Risikogleichung erreichte eine hohe Vorhersageleistung sowohl innerhalb der GCKD-Studie als auch in drei unabhängigen, internationalen Validierungskohorten, die insgesamt über 3.000 Patientinnen und Patienten mit chronischer Nierenerkrankung umfassten“, betont Erstautorin Zacharias vom Institut für Klinische Molekularbiologie der CAU und des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH), Campus Kiel, sowie der Klinik für Innere Medizin I des UKSH, Campus Kiel. Diese Validierungskohorten umfassten Patienten der französischen CKD-REIN-Studie, der englischen SKS-Studie und der MMKD-Studie aus Österreich, Südtirol und Deutschland.

Das Korrosionspräparat der Nieren aus der anatomischen Sammlung der...
Das Korrosionspräparat der Nieren aus der anatomischen Sammlung der Universität Kiel zeigt eindrucksvoll die feinverästelten Blutgefäße der Nieren. Bei diesem Präparat wurden die Hohlräume der Blutgefäße mit Kunststoff gefüllt und das umliegende Nierengewebe entfernt.

© purpur

In der Studie wurde außerdem die Vorhersagekraft der neuen Risikogleichung mit der bisher verwendeten sogenannten Tangri-Formel verglichen. „Der 2012 publizierte Tangri-Score zur Prognose eines Nierenversagens beruht auf vier Variablen (Alter, Geschlecht, geschätzte glomuläre Filtrationsrate, Albumin-zu-Kreatinin-Verhältnis im Urin). Dieser gilt derzeit als Goldstandard, um Nierenversagen vorherzusagen. Wir konnten zeigen, dass unser Score eine signifikant bessere Vorhersagekraft hatte als der Tangri-Score“, so Zacharias. „Wir haben unseren Score auch als online-Service zu Forschungszwecken zur Verfügung gestellt. Benutzer und Benutzerinnen können hier die Werte für die sechs Parameter eingeben und erhalten dann das Risiko für ein Nierenversagen innerhalb der nächsten ein bis vier Jahre.“ 

„Die Anwendung dieser Risikogleichung in der klinischen Praxis verspricht eine verbesserte Versorgung von chronisch Nierenkranken. Sie erlaubt uns, Personen zu identifizieren, die von einer intensivierten fachärztlichen Betreuung profitieren würden“, erklärt GCKD-Studienleiter Professor Kai-Uwe Eckardt von der Charité – Universitätsmedizin Berlin.

Die Arbeiten von Helena Zacharias sind Teil des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten e:Med-Nachwuchskonsortiums „CKDNapp“. Zacharias ist wissenschaftliche Koordinatorin dieses Juniorverbunds, der aus vier unabhängigen Nachwuchsgruppen besteht. „Unser Ziel ist es, eine benutzungsfreundliche klinische Entscheidungsunterstützungs-Software in Form einer App zu entwickeln, die Ärztinnen und Ärzten bei der personalisierten Behandlung von Menschen mit chronischen Nierenerkrankungen unterstützt.“ Die App soll unerwünschte medizinische Ereignisse und Krankheitsverläufe vorhersagen, die Diagnose von chronischen Nierenerkrankungen verfeinern, eine transparente Begründung aller Vorhersagen und Empfehlungen liefern, eine Modifizierung von Patientenparametern ermöglichen und eine umfassende Unterstützung durch Literatur bieten.


Quelle: Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

11.10.2021

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