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News • Neue S3-Leitlinie
pAVK: Mehr Differenzierung bei der Therapie
Lange Zeit galt, fortgeschrittene Durchblutungsstörungen in den Beinen nach Möglichkeit minimalinvasiv zu beseitigen. Doch die Regel „endovaskulär first“ ist überholt.
Diese Erkenntnis ist festgehalten in der aktualisierten S3-Leitlinie zur peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK), einer Erkrankung, an der in Deutschland mehr als 10% der über 60-Jährigen leiden. Ob undurchlässige Gefäße endovaskulär, offen chirurgisch mit einem Bypass oder gar nicht operiert werden, hängt in erster Linie von den Beschwerden, dem Zustand und dem Risiko der Erkrankten ab. Damit erfolgt eine weitgehende Neubewertung der pAVK-Therapie, wie die Deutsche Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin e.V. (DGG) mitteilt. Auch in Bezug auf das frühe Erkrankungsstadium habe ein Umdenken stattgefunden.
Klassischerweise macht sich die pAVK zu Beginn mit krampfartigen Schmerzen in den Waden bemerkbar, die Betroffene beim Gehen zum Anhalten zwingen („vor dem Schaufenster stehen bleiben“). Wer sich in diesem Stadium befindet, soll gemäß Leitlinie zunächst ein Gehtraining erhalten, flankiert von Lebensstilmaßnahmen und einer optimalen medikamentösen Therapie – für die Dauer von drei bis sechs Monaten.
Verglichen mit früher sind medikamentöse Behandlung, vorbeugende Maßnahmen [...] und vor allem Bewegungstraining in der aktualisierten Leitlinie gegenüber den invasiven Eingriffen deutlich aufgewertet
Ulrich Rother
„Ganz konkret empfehlen wir ein gefäßspezifisches Bewegungstraining mit mindestens drei Übungseinheiten wöchentlich, jeweils zwischen 30 und 60 Minuten“, sagt Privatdozent Dr. Ulrich Rother, Vorsitzender der Kommission pAVK und Diabetischer Fuß der DGG und Leitender Oberarzt Gefäßchirurgie am Universitätsklinikum Erlangen. Die medikamentöse Therapie umfasst in jedem Fall ein Statin und einen Thrombozytenfunktionshemmer, idealerweise Clopidogrel, bei Bedarf ergänzt durch weitere Medikamente. „Bessern sich die Symptome, ist die Fortführung dieser konservativen Therapie empfohlen“, so Rother.
Damit rücken operative Maßnahmen im Anfangsstadium der Erkrankung stärker in den Hintergrund. „Verglichen mit früher sind medikamentöse Behandlung, vorbeugende Maßnahmen wie Nikotinabstinenz und Gewichtsreduktion und vor allem Bewegungstraining in der aktualisierten Leitlinie gegenüber den invasiven Eingriffen deutlich aufgewertet“, resümiert Rother. Die Kombination aus Medikamenten und Gehtraining ist auch die richtige Behandlung für alle Patienten, die noch keine Beschwerden spüren, bei denen jedoch ein auffälliger Knöchel-Arm-Index gefunden wurde – das betrifft schätzungsweise ein Viertel aller 45- bis 74-Jährigen. Der Knöchel-Arm-Index ist eine Ultraschalluntersuchung an Arm und Bein, die anzeigt, ob die Gefäße verengt sind. Bei einem Wert unter 0,9 liegt eine pAVK vor.
Doch nicht immer gelingt es, die Schaufensterkrankheit mittels konservativer Therapie zu bessern. „Bei Stagnation oder Verschlechterung kann ein Eingriff erwogen werden“, sagt DGG-Experte Professor Dr. Markus Steinbauer, Chefarzt der Klinik für Gefäßchirurgie am Krankenhaus Barmherzige Brüder Regensburg. Was die Art des Gefäßeingriffs betrifft, kommen die Autoren der Leitlinie auf Basis wissenschaftlicher Daten zu dem Schluss, dass beide verfügbaren Methoden – endovaskulär und chirurgisch – gleichwertig sind, insbesondere im fortgeschrittenen Stadium der pAVK. „Früher nahm man an, dass minimalinvasive Eingriffe kaum Komplikationen auslösen“, erläutert Rother. „Doch die Sterblichkeit ist bei beiden Vorgehensweisen vergleichbar, weil sie mehr den schweren Grunderkrankungen der Patienten geschuldet ist als der Art des Verfahrens.“
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240 Millionen Menschen leiden weltweit unter der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK). Dabei handelt es sich um eine Volkskrankheit, die ein deutlich höheres Sterblichkeitsrisiko hat als manche Krebserkrankung, mahnt Professor Dr. Markus Steinbauer an. Neue Therapien sollen dieses Risiko nun senken und die Lebensqualität erhöhen.
Diese Erkenntnis ist besonders wichtig für betagte Erkrankte, die häufig unter mehreren Erkrankungen gleichzeitig leiden. „Dazu zählt ein größerer Teil unserer Patienten“, so Steinbauer. Gebrechlichen und älteren Personen mit geistigen Einschränkungen droht zudem durch jedwegen Eingriff eine Verschlechterung ihres körperlichen und mentalen Zustands. „Und das liegt nicht etwa an der Narkose“, betont der Regensburger Gefäßchirurg. „Wir wissen heute, dass es der Eingriff selbst ist, der eine Kaskade an ungünstigen Reaktionen triggert und Demenzen fördert.“ So sei es bei Bettlägerigen häufig die bessere Option, gar keinen Eingriff vorzunehmen und konservativ zu behandeln.
Zur Entscheidungsfindung, ob eine invasive Therapie erfolgen soll, empfiehlt die Leitlinie die Ermittlung des Gebrechlichkeitsgrades, das sogenannte „Frailty-Assessment“. Ergibt das Assessment eine alterstypische Muskelschwäche, kann eine gezielte Prähabilitation mit leichten körperlichen Übungen und hochkalorischer Ernährung die Patienten vor dem Eingriff in einen besseren Zustand bringen. „Ist der Betroffene zu gebrechlich und ein Eingriff zu riskant, rücken eine gute Schmerztherapie und eine professionelle Wundpflege in den Fokus, um bestmögliche Lebensqualität zu erhalten“, erläutert Steinbauer.
Quelle: Deutsche Gesellschaft für Gefäßchirurgie und Gefäßmedizin
04.07.2025