Ein ganz besonderer Saft
Patient Blood Management: „Wir müssen blutsparend arbeiten“
„Blut ist ein ganz besonderer Saft“ wusste bereits Goethes Mephistopheles. Und auch die Mediziner wissen es seit Jahrhunderten. Deshalb ist es nichts Neues, dass dem „Saft“ und seiner Beschaffenheit in der Medizin große Aufmerksamkeit zukommt. Neu ist jedoch, dass der Umgang mit dem Blutverbrauch durch das Patient-Blood-Management (PBM) verstärkt in den Fokus rückt.
Bericht: Anja Behringer
PBM wurde mithilfe von Daten aus der ersten österreichischen Benchmark-Studie zusammen mit internationalen Experten entwickelt und wird mittlerweile in Westaustralien und in einer ganzen Reihe amerikanischer und europäischer Zentren umgesetzt. Es wurde bereits 2010 als wichtiges Prinzip zur Verbesserung der Transfusionssicherheit in die Agenda der WHO und auf der Homepage der American Association of Blood Banks (AABB) aufgenommen. Anders als das von der EU initiierte Optimal Blood Use Project (EUOBUP), welches darauf abzielt, das richtige Blutprodukt dem richtigen Patienten zur richtigen Zeit zu verabreichen, geht das PBM einen Schritt weiter und versucht einen präventiven und korrektiven Einfluss auf jene Risikofaktoren zu nehmen, die üblicherweise zu Transfusionen führen.
Wie Dr. med. Gudrun Hintereder, seit 2002 Leiterin des Zentrallabors der Johann Wolfgang Goethe Universitätskliniken in Frankfurt am Main, sagt, gibt es PBM in den USA seit 20 Jahren, in Deutschland wird es allerdings erst seit 2013 umgesetzt. Das Zentrallabor unterstützt dies Projekt zur Steigerung der Patientensicherheit entscheidend. Während eines Krankenhausaufenthaltes werden viele Point of Care-Tests (POCT), Routine- und Notfall-Laboruntersuchungen durchgeführt, für die kumuliert viel Blut benötigt wird. Die Blutentnahmefrequenz und -menge trägt entscheidend zur Verstärkung oder Entstehung einer Anämie bei, ein unabhängiger Risikofaktor für erhöhte Komplikationsraten. Die Behandlung einer Anämie erfolgt häufig mit einer Fremdbluttransfusion; eine teure medizinische Maßnahme, die zahlreiche Nebenwirkungen verursachen kann. Das PBM-Programm im Universitätsklinikum Frankfurt ist ein klinisch interdisziplinäres Projekt zur Verbesserung der Patientenversorgung und Steigerung der Patientensicherheit. Das Ziel liegt in der Schonung und Stärkung patienteneigener Ressourcen durch Verminderung bzw. Verhinderung erworbener oder diagnostisch induzierter Anämien sowie der adäquate Einsatz von Fremdblutprodukten.
Maßnahmen zum Blutsparen
Zur konsequenten Prozessoptimierung im Labor werden notwendige Mindestmengen bei gleichbleibender diagnostischer Qualität analysiert. Als zweiter Schritt wurden die Volumina der bestehenden Blutentnahmeröhrchen schrittweise reduziert. „Außerdem reduzieren wir die Abnahmehäufigkeit von Blut, was aber heißt, dass der Patient gut auf seine OP vorbereitet sein muss und wir ihn engmaschig auf eine mögliche Anämie kontrollieren. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass weniger auch geht und konnten so schon viele Liter Patientenblut sparen“, erkärt Gudrun Hintereder. Zum Konzept gehört auch, blutsparend zu operieren. Einerseits indem perioperativ möglichst viel Blut aufgefangen und dem Patienten durch Cell-Saver-Geräte wieder rückgeführt wird. Andererseits – und damit natürlich zusammenhängend – Blutkonserven zu sparen. Denn eine Bluttransfusion kommt für manche Patienten einer Organtransplantation gleich, mit allen damit verbundenen Risiken wie Infektionen oder Verträglichkeit des Fremdblutes. Anämie-Diagnostik, kleine Blutröhrchen, Eigenblut-Transfusion im OP – das sind nur drei von mehr als 100 Einzelmaßnahmen des "patient blood management", mit dem die Uniklinik Frankfurt heute international eine Vorreiterrolle einnimmt.
Blutkonserven haben aber auch einen finanziellen Aspekt. Seit die Blutspendebereitschaft der Bevölkerung nachgelassen hat, sind sie knapp und teuer. In Frankfurt konnte man durch PBM ein Zehntel der bisherigen Kosten in Millionenhöhe für den Blutbedarf einsparen. Gewichtiger sind die Vorteile für die Patienten. Nach einer deutschen Studie sank die Zahl der Patienten mit akutem Nierenversagen signifikant. Und in Westaustralien beobachteten die Ärzte von vier großen Kliniken seit Einführung von PBM eine niedrigere Sterblichkeitsrate sowie weniger Schlaganfälle und Herzinfarkte. All diese Vorteile ergeben sich durch die konsequente Zusammenarbeit der Kliniker mit ihrem Zentrallabor. Gudrun Hintereder hat aber beobachtet, dass die Hersteller nicht auf Blutmanagement eingestellt sind. „Das Sparen wird in den POCT-Geräten nicht abgebildet.“ Deshalb appelliert sie an die Industrie: „Seht zu, dass ihr für die Analyse weniger Blut verbraucht.“
PROFIL:
Dr. med. Gudrun Hintereder MBA leitet seit 2002 das Zentrallabor der Johann Wolfgang Goethe Universitätskliniken in Frankfurt am Main und ist klinikweit für die POCT Analytik verantwortlich. Seit 2010 besitzt sie die Anerkennung zum internationalen Fachbegutachter der OLAS/ILNAS (Luxemburg) und ILNAB (Irland) für die Akkreditierung medizinischer Laboratorien. Im Bereich POCT engagiert sich die Labormedizinerin seit 2013 besonders für Patient Blood Management.
22.06.2017