News • Metabolom-Forschung
Multimorbidität: Forscher sind gemeinsamen Ursachen auf der Spur
Viele ältere Menschen leiden an mehreren Krankheiten gleichzeitig, die häufig eine gemeinsame Ursache haben. Dies weisen Wissenschaftler des Berlin Institute of Health (BIH) in der Charité – Universitätsmedizin Berlin gemeinsam mit Kollegen aus München und Großbritannien nach.
Hierzu werteten sie Daten von mehr als 11.000 Studienteilnehmern aus, von denen sowohl Krankheitsverläufe als auch Blutwerte vorlagen. Die Ergebnisse erlauben einen umfassenden Ansatz der Prävention von Krankheiten. Ihre Ergebnisse haben die Wissenschaftler nun in der Zeitschrift Nature Medicine veröffentlicht.
Multimorbidität schränkt die Lebensqualität von Betroffenen oft stark ein, sie erhalten Medikamente von verschiedenen Ärzten, die oft nicht ausreichend aufeinander abgestimmt sind. Beobachtungen weisen darauf hin, dass bestimmte Erkrankungen häufiger gemeinsam auftreten, die Ursachen hierfür liegen jedoch weitgehend im Dunkeln.
In der aktuellen Studie fanden die Forscher eine Reihe von Stoffwechselvorgängen, die nicht nur mit einer, sondern gleichzeitig mit bis zu 14 Erkrankungen verbunden sind. Die Wissenschaftler werteten hierzu Daten von mehr als 11.000 Teilnehmern der prospektiven EPIC-Norfolk Gesundheitsstudie aus. Diese erfasst sowohl Messwerte aus dem Blut als auch klinische Daten zu Krankheiten. „Wir wollten wissen, ob es bestimmte Marker im Blut gibt, die das Risiko nicht nur für eine, sondern für mehrere Krankheiten gleichzeitig beeinflussen“, erklärt Claudia Langenberg, Leiterin der AG Computational Medicine am BIH. Dazu untersuchten die Wissenschaftler zunächst die Konzentration von hunderten verschiedenen Molekülen in den Blutproben der Studienteilnehmer. Danach prüften sie, wie die Konzentration einzelner dieser Metaboliten mit insgesamt 27 schweren Erkrankungen der Teilnehmer zusammenhing. Die Metaboliten umfassten nicht nur bekannte Stoffwechselprodukte wie etwa Zucker, Fette, oder Vitamine, sondern auch Substanzen, deren Konzentration von genetischen oder Umweltfaktoren abhängt. So konnten die Wissenschaftler mit dem so genannten „molekularen Profiling“ zum Beispiel Abbauprodukte von Medikamenten, Kaffeekonsum oder den Beitrag von Darmbakterien nachweisen.
Die Blutproben waren den Teilnehmern bereits vor 20 Jahren abgenommen worden und lagerten seither bei Minus 196°C. Damals waren die Menschen zumeist gesund. Welche Krankheiten sie danach entwickelten, wurde systematisch und detailliert über mehr als 20 Jahre durch elektronische Krankenhausdaten erfasst. „Damit konnten wir erforschen, wie die Konzentration im Blut von hunderten Molekülen mit der Entstehung einer oder multipler Erkrankungen zusammenhängt“, erklärt Claudia Langenberg. So fand das Team heraus, dass die Konzentration mancher Stoffwechselprodukte im Blut mit einer beeinträchtigten Leber- und Nierenfunktion zusammenhing, mit Übergewicht oder einer chronischen Entzündung. Sie entdeckten aber auch, dass bestimmte Lebensstilfaktoren oder eine verminderte Vielfalt der Darmbakterien, des sogenannten Darmmikrobioms, die Blutwerte beeinflussen und damit Hinweise auf die Entwicklung von Krankheiten im Verlauf der Jahre gaben. Es zeigte sich, dass die Hälfte aller nachgewiesenen Moleküle mit einem erhöhten oder erniedrigten Risiko für mindestens eine Krankheit in Verbindung stand. Der überwiegende Teil tat dies mit mehreren, teils sehr verschiedenen Erkrankungen und wies damit auf Stoffwechselwege hin, die das Risiko für Multimorbidität erhöhen.
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Der Mensch lebt in Symbiose mit einer Vielzahl von Mikroorganismen, die sowohl in seiner Umgebung, wie auch auf und in seinem Körper zu finden sind. Welch wichtige Funktion sie beim Menschen haben, wurde bis vor wenigen Jahren unterschätzt.
„Wir haben zum Beispiel herausgefunden, dass eine erhöhte Konzentration des zuckerähnlichen Moleküls N-Actelylneuraminat das Risiko für gleich 14 Erkrankungen erhöhte“, erklärt Maik Pietzner, Wissenschaftler bei Claudia Langenberg und Erstautor der Publikation. „Gamma-Glutamylglycin dagegen steht ausschließlich mit dem Auftreten von Diabetes in Zusammenhang. Andere Mitglieder der gleichen Molekülgruppen erhöhen gleichzeitig das Risiko für Leber- und Herzerkrankungen.“ Claudia Langenberg ergänzt: „Insgesamt haben wir beobachtet, dass zwei Drittel der Moleküle mit dem Auftreten von mehr als einer Erkrankung verbunden sind. Das passt zu der Tatsache, dass Patientinnen und Patienten im Laufe ihres Lebens oft eine ganze Reihe von Krankheiten entwickeln. Wenn es uns nun gelingt, diese Schlüsselfaktoren zu beeinflussen, sollte dies ermöglichen, mehreren Krankheiten gleichzeitig zu begegnen.“
Die umfangreichen Analysen der Wissenschaftler erlauben einen Einblick auf die verschiedenen Einflussfaktoren auf den menschlichen Stoffwechsel, der bislang in dieser Detailschärfe nicht möglich war. Um diese Referenz Wissenschaftlern in aller Welt zugänglich zu machen, haben die Autoren eigens eine Webanwendung entwickelt, omicscience.org. Sie stellt alle Ergebnisse grafisch aufbereitet frei zur Verfügung, damit sie in neuen Studien weiterverwendet werden können. Claudia Langenberg fügt hinzu: „Die Webseite ermöglicht es Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, für jedes Molekül, für das sie sich interessieren, wesentliche Einflussfaktoren zu bestimmen oder völlig neue Zusammenhänge zu Erkrankungen zu entdecken. All das war nur möglich, weil wir einen systematischen und datenorientierten Ansatz verwendet haben.“
Quelle: BIH - Berliner Institut für Gesundheitsforschung
12.03.2021