News • Adipositas-Chirurgie
Magen-OP in Deutschland 30 Mal seltener als in anderen Ländern
Mittels Magenbypass oder Magenverkleinerung können bei extrem Übergewichtigen 60 bis 80 Prozent des Übergewichts samt Begleiterkrankungen beseitigt werden. Rund 1,4 Millionen Menschen in Deutschland mit einem Body Mass Index über 40 könnten von so einem Eingriff profitieren. Experten kritisieren allerdings den äußerst restriktiven Umgang der Krankenkassen mit diesen lebensrettenden Operationen.
„Wir können extrem übergewichtigen Menschen mit einem Body Mass Index über 40, bei denen alle anderen Möglichkeiten der Gewichtsabnehme erfolglos ausgeschöpft wurden, heute mit chirurgischen Verfahren effektiv helfen. Mit Methoden wie einem Magenbypass oder einer Magenverkleinerung lässt sich eine Reduktion von 60 bis 80 Prozent des Übergewichts erreichen“, berichtet Prof. Dr. Dieter Birk (Bietigheim-Bissingen), auf dem Kongress der Deutschen Gesellschaft für Kardiologie (DGK) in Mannheim. „Nach fast 15 Jahren angewandter Adipositas-Chirurgie wissen wir mittlerweile auch, dass diese Hilfe nachhaltig ist und diese Effekte auch zehn Jahre nach der Operation erhalten bleiben. Mehr noch: Mit dem Übergewicht verschwinden bei vielen Patienten auch die Begleiterscheinungen. Das Herz-Kreislaufsystem reagiert auf die Entlastung mit deutlichen Verbesserungen.“ Bei 70 bis 80 Prozent der Patienten, die vor der Operation weniger als fünf Jahre an Diabetes gelitten haben, kommt es innerhalb der ersten fünf Jahre nach der Operation zu einer vollständigen Remission (zeitweises oder dauerhaftes Nachlassen), die sie ohne Insulin auskommen lässt.
Nach wie vor ist die Behandlung einer Adipositas im Abrechnungskatalog gar nicht vorgesehen.
Dieter Birk
Prof. Birk: „In Deutschland gehen wir davon aus, dass rund 1,4 Millionen Menschen einen Body Mass Index über 40 haben. In diesem Stadium von einer schweren Erkrankung zu sprechen, ist keineswegs übertrieben.“ Vor diesem Hintergrund sei es mehr als fragwürdig, dass diese Option immer noch vergleichsweise selten genutzt wird. „Aktuell führen wir in den rund 50 zertifizierten Adipositas-Zentren gerade einmal 10.000 solcher Eingriffe pro Jahr durch“, sagt Prof. Birk. „In Österreich, der Schweiz, Frankreich oder Belgien sind es – umgelegt auf die Bevölkerungszahlen – zehn- bis 30mal mehr.“
Das liege zum einen daran, dass schätzungsweise nur jeder fünfte Betroffene den Ernst seiner Lage erkennt und bereit ist, sich einer solchen – heute laparoskopisch durchgeführten und risikoarmen – Operation zu unterziehen. „Das zeigt uns, dass wir die Aufklärungsbemühungen sowohl auf ärztlicher Seite wie auch in der Gesundheitspolitik allgemein deutlich verstärken müssen“, sagt Prof. Birk. „Nach wie vor ist die Behandlung einer Adipositas im Abrechnungskatalog gar nicht vorgesehen.“
Krankenkassen verweigern oft lebensrettende Therapie
Noch viel mehr seien die geringen Fallzahlen aber dem äußerst restriktiven Umgang der Krankenkassen mit dem Thema geschuldet. Obwohl die operative Behandlung in diesem Stadium in den gültigen Leitlinien ganz klar vorgesehen ist und jeder Kandidat ohnehin vor der Operation von einem interdisziplinären Medizinerteam begutachtet werden muss, werden die meisten Einzelfallgenehmigungen zunächst einmal verweigert – oft aus fadenscheinigen Gründen. Prof. Birk: „Aus medizinischer Sicht ist das nicht nachvollziehbar und absolut inakzeptabel: Ein BMI von 40 in Kombination mit einer kardiovaskulären Erkrankung und einem Diabetes reduziert die Lebenserwartung etwa so wie ein Dickdarmkarzinom – das selbstverständlich in jedem Fall und ohne vorherige Prüfung durch die Kassen operiert wird.“
Prof. Birks Appell richtet sich an die Betroffenen selbst: „Solange dieser inakzeptable Zwang zur Einzelfallgenehmigung besteht, lohnt es sich, gegen abschlägige Entscheidungen vorzugehen. Wie die Praxis zeigt, reicht oft ein einziger Brief eines Anwalts, um die Gremien zum Umdenken zu bewegen. Und wer solche Bescheide vor den zuständigen Sozialgerichten bekämpft, bekommt in neun von zehn Fällen Recht – und damit die Chance auf eine lebensrettende Behandlung.“
Quelle: Deutsche Gesellschaft für Kardiologie – Herz- und Kreislaufforschung
09.04.2018