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Artikel • Assistenz- und Entscheidungssysteme
Künstliche Intelligenz für die präoperative Planung
Künstliche Intelligenz (KI) wird in der Chirurgie insbesondere in der Bildgebung, Navigation und Roboterintervention angewendet. Dabei kann KI eine große Rolle bei der präoperativen Planung spielen. Objektive Entscheidungen, eine optimale Auslastung der Operationssäle und weniger Überstunden – das sind drei Vorteile, die mit dem Einsatz in der Chirurgie erzielt werden.
Bericht: Sascha Keutel
Chirurgen treffen, meist auch unter Zeitdruck, komplexe, risikoreiche Entscheidungen mit erheblichen Auswirkungen auf das Leben der Patienten. Die Vielzahl und Variabilität diagnostischer Daten und die potenziellen Gefahren eines chirurgischen Eingriffes stellt das Personal vor besondere Herausforderungen. Auch deswegen ist eine gute präoperative Planung, bei der Chirurgen die Operation auf der Grundlage vorhandener Krankenakten, Bildgebung des Patienten, aber auch historischer Methoden und Daten vorbereiten, für den Erfolg eines Eingriffes unerlässlich.
Entscheidungssysteme
Chirurgen treffen Entscheidungen auf Basis ihrer Ausbildung, Erfahrung und Wissen, weshalb sie durch deren Urteilsvermögen oder deren Voreingenommenheit beeinflusst werden können. Entscheidungssysteme, die auf künstlicher Intelligenz beruhen, haben das Potenzial, diese Einschränkungen zu überwinden. KI-Systeme ermöglichen die Verarbeitung zahlreicher Patientendatensätze, die in mathematische Modelle überführt und mit Hintergrundwissen angereichert werden können, um eine bestimmte Therapie zu empfehlen oder davon abzuraten.
KI kommt insbesondere als Entscheidungsunterstützung zum Zuge und die Systeme haben dabei zwei Aufgaben: den unterschiedlichen Wissens- und Erfahrungsstand von Chirurgen durch objektive und individuelle Analyse von Patientendaten auszugleichen und klinisch relevante Zusammenhänge aufzuzeigen, die möglicherweise von Ärzten nicht erkannt werden.
Wissenschaftler des Universitätsklinikums Heidelberg entwickeln einen „Kognitiven medizinischen Assistenten“ (KoMed)1. Ziel des Projektes ist es, aus Laborwerten, Bilddaten, Diagnosen und Therapien Muster zu erkennen und Zusammenhänge zu identifizieren, die zur Erstellung individueller Risikoprofile genutzt werden können. Der Algorithmus soll vor einem Eingriff das Operationsrisiko eines Patienten erkennen, Therapieentscheidungen erleichtern und Komplikationen vorbeugen. Ganz konkret soll der Algorithmus prognostizieren, mit welcher Wahrscheinlichkeit Patienten eine Bluttransfusion benötigen werden.
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News • "Kognitiver Assistent"
KI soll zukünftig OP-Risiken mindern
Wissenschaftler des Universitätsklinikum Heidelberg entwickeln einen „Kognitiven medizinischen Assistenten“. Der Algorithmus soll das individuelle Operationsrisiko des Patienten im Vorfeld erkennen, Therapieentscheidungen erleichtern und Komplikationen vorbeugen. Das Projekt wird vom Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg mit 2 Millionen Euro gefördert.
In einer anderen Studie setzen die Forschenden Deep Learning zur Vorhersage von Nierenversagen, Mortalität und postoperativen Blutungen nach Herzoperationen ein und erzielten im Vergleich zu klinischen Standard-Referenzinstrumenten verbesserte Ergebnisse.2
Klinische Studien im Bereich der KI-assistierten Chirurgie mit Evidenz sind rar, KI-gestützte Entscheidungsunterstützung hat ihr Potenzial noch nicht entfaltet. Derzeit beschränkt sich die Arbeit zur Entscheidungsunterstützung hauptsächlich auf die Risikostratifizierung der chirurgischen Behandlung oder ihrer Komplikationen.3 In der chirurgischen Onkologie beschränken sich KI-Studien hauptsächlich auf die Machbarkeit der Vorhersage onkologischer Ergebnisse4, postoperativer Komplikationen5 und der Vorhersage von Mortalität und Überleben6.
Allerdings gibt es nur wenige vergleichende Studien, die sich auf die Verbesserung der Behandlungsentscheidung konzentrieren. Kommerzielle Versuche, dieses Problem anzugehen, hatten mit unterschiedlichen Problemen zu kämpfen. IBM Watson for Oncology Cognitive Computing System griff auf Daten, Testfällen und Experten des Memorial Sloan Kettering Cancer Center zurück, um Behandlungsempfehlungen zu generieren. Jedoch haben Studien bislang nur eine geringe Übereinstimmung zwischen den Watson-Behandlungsempfehlungen und tatsächlichen chirurgischen Behandlungen gezeigt. Googles Deep Mind hingegen musste sich mit völlig anderen Herausforderungen auseinandersetzen – hier wurden die Forschenden für mangelnde Transparenz und Probleme mit Datenschutz7 kritisiert.8
OP-Planung
Operationen terminieren, Patienten zuweisen, Chirurgen, Pflegepersonal und Anästhesisten einbeziehen – die OP-Planung in Kliniken ist ein dynamisches, komplexes und zeitintensives Unterfangen. Kurzfristige Änderungen durch Notfälle, Personalausfall oder unvorhergesehene Ereignisse während des Eingriffs können die Abläufe schnell durcheinanderbringen. Selbst für erfahrene OP-Manager ist die exakte Planung oder eventuelle manuelle Anpassung daher nur schwer möglich. Die Folgen sind nicht nur eine suboptimale Auslastung der Operationssäle und damit der Ressourcen, sondern auch die zusätzliche Belastung für die Mitarbeiter.
Abhilfe können hier Assistenzmanagement-Systeme schaffen, die Personal, Behandlungen, Zeiten, Ressourcen sowie vorgelagerte und nachfolgende Prozesse rund um den OP mithilfe von KI planen. Basierend auf der Sammlung und Analyse von Daten erstellen diese nach definierbaren Kriterien einen OP-Plan, evaluieren das Geschehen und passen den Plan bei unerwarteten Ereignissen in Echtzeit an.
Ein stabiler OP-Plan entlastet nicht nur das Personal nachhaltig, indem OP-Verschiebungen und Überstunden entfallen, sondern erhöht auch die Behandlungsqualität, da das Personal mehr Zeit für die Patienten hat. Eine optimale Auslastung zahlt sich auch für die wirtschaftliche Situation eines Krankenhauses aus, indem sie eine bessere Disposition des Personals und der Bettenbelegung ermöglicht.
Im Projekt KIOM entwickeln Forschende ein interaktives KI-gestütztes Assistenzsystem für eine effiziente Planung von Operationen.9 Es soll OP-Manager bei der Ablaufplanung interaktiv unterstützen. Die Kombination mathematischer Optimierungsansätze mit Methoden der Künstlichen Intelligenz generiert stabile und transparente OP-Pläne.
Bildquelle: CASSANDRA Projekt
Anästhesie
Viele KI-Anwendungen für die Anästhesiologie werden in klinischen Umgebungen getestet. Ihr Einsatz hat das Ziel, mit einer personalisierten perioperativen Therapie mögliche Komplikationen vorherzusagen und das postoperative Outcome der Patienten nachhaltig zu verbessern.
Im Projekt Cassandra entwickeln und evaluieren Forschende ein virtuelles „KI-Teammitglied“, das die Anästhesisten bei der Behandlung und Versorgung von Patienten unterstützen soll.10 Durch eine automatische Dokumentation sollen die zeitlichen und mentalen Belastungen des Personals reduziert und die Dokumentationsqualität verbessert werden. Zudem wird das Potential für KI zur Steuerung der mechanischen Ventilation von anästhesierten Patienten ausgelotet. Studien beschreiben, wie die Technik eingesetzt werden kann, um die Entwöhnung von der Beatmung zu automatisieren.11
Weitere Einsatzbereiche betreffen die KI-basierte Abschätzung der richtigen Opioid-Dosierung und die Identifizierung von Patienten, die von einer präoperativen Beratung durch den Akutschmerzdienst eines Krankenhauses profitieren könnten.12
Abschließende Gedanken
Viele KI-Softwareentwicklungen und Studien zu deren Anwendungen weisen Verbesserungen gegenüber bestehenden Methoden auf. Doch der Hype um Künstliche Intelligenz kann zu unrealistischen Erwartungen führen und Kliniker und Patienten enttäuschen.
Assistenz- und Entscheidungssysteme können den Krankenhäusern eine höhere Planungssicherheit geben und chirurgische Ergebnisse zu verbessern. Doch sie sollten wie jedes andere Werkzeug in der richtigen Situation eingesetzt werden, um ein bestimmtes Problem zu lösen. Die Beispiele von IBM und Alphabet zeigen, wie komplex die Integration von KI-Systemen in den klinischen Arbeitsablauf ist.
Quellen:
- "KoMeD"-Projekt des Universitätsklinikums Heidelberg
- Meyer et al., Machine learning for real-time prediction of complications in critical care: a retrospective study; Lancet Respiratory Medicine 2018
- Hasimoto et al., Artificial Intelligence in Surgery: Promises and Perils; Annals of Surgery 2018
- Kudo et al., Artificial Intelligence System to Determine Risk of T1 Colorectal Cancer Metastasis to Lymph Node; Gastroenterology 2021
- Mai et al., Artificial neural network model for preoperative prediction of severe liver failure after hemihepatectomy in patients with hepatocellular carcinoma; Surgery 2020
- Que et al., Application of preoperative artificial neural network based on blood biomarkers and clinicopathological parameters for predicting long-term survival of patients with gastric cancer; World Journal of Gastroenterology 2019
- CNBC: Google and DeepMind face lawsuit over deal with Britain’s National Health Service
- Powls, Hodson, Google DeepMind and healthcare in an age of algorithms; Health and Technology 2017
- "KIOM"-Projekt auf der Seite des Bundesministeriums für Bildung und Forschung
- "Cassandra"-Projekt auf der Seite des Bundesministeriums für Bildung und Forschung
- Martinoni et al., Model-based control of mechanical ventilation: design and clinical validation; British Journal of Anaesthesia 2004
- Tighe et al., Use of Machine-learning Classifiers to Predict Requests for Preoperative Acute Pain Service Consultation; Pain Medicine 2012
09.08.2022