KI in der Kardiologie: vieles machbar, alles sinnvoll?

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Artikel • Algorithmen als Diagnostik-Helfer

KI in der Kardiologie: vieles machbar, alles sinnvoll?

Was wie Science-Fiction klingt, ist heute schon in der Kardiologie machbar: Mit Hilfe von künstlicher Intelligenz (KI) lässt sich von einem Portraitfoto ablesen, ob die Person eine Herzkranzgefäßerkrankung und damit möglicherweise ein Risiko für einen Herzinfarkt hat. Doch ist das zielführend? Prof. Dr. David Duncker plädiert für eine differenzierte und sorgfältige Betrachtung der Möglichkeiten und Risiken und empfiehlt eine gezielte Auswahl der Zielpopulation, um Risikopatienten frühzeitig herauszufiltern. KI könnte helfen, größere Datenmengen zu analysieren. Aber: „Ein Algorithmus ist immer nur so gut wie derjenige, der ihn trainiert hat. Vorurteile und falsche Entscheidungen fließen unwillkürlich mit ein. Dieser ethische Aspekt muss unbedingt berücksichtigt werden.“

Artikel: Sonja Buske

Vorhofflimmern ist die häufigste Herzrhythmusstörung“, weiß Duncker, Bereichsleiter Rhythmologie und Elektrophysiologie in der Klinik für Kardiologie und Angiologie der Medizinischen Hochschule Hannover. „Sie geht einher mit Folgeerkrankungen wie Schlaganfällen, die durch eine frühe Prophylaxe verhindert werden könnten.“ Er sieht KI als Chance, gerade in Zeiten limitierter personeller Ressourcen und steigender Patientenzahlen mehr leisten zu können. Algorithmen könnten große Datenmengen im Hintergrund scannen, und der Arzt bekäme nur noch auffällige Befunde zu sehen. Allerdings ist die Auswahl der Zielgruppe sehr wichtig. „Mit Smartwatches haben wir heutzutage die Möglichkeit, EKGs aufzuzeichnen und gezielt nach Vorhofflimmern zu suchen“, erklärt Duncker. „Nutzer dieser Smartwatches sind allerdings meistens sehr viel jünger als die Risikogruppe für Vorhofflimmern. Deshalb muss genau ausgewählt werden, wie die Algorithmen in die richtige Zielpopulation gebracht werden können.“

Screening-Empfehlung für Vorhofflimmern

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8 EKG-Aufzeichnungen mit Smartwatches. a Sinusrhythmus, Apple Watch (Apple, Cupertino, CA, USA). b Sinusrhythmus mit ventrikulären Extrasystolen, ScanWatch (Withings, Issy-les-Moulineaux, Frankreich). c Vorhofflimmern, Apple Watch. d Regelmäßige Schmalkomplextachykardie, Apple Watch
Quelle: Deutsche Gesellschaft für Kardiologie

Die europäische Herzrhythmus-Gesellschaft (EHRA) hat kürzlich unter Dunckers Mitwirkung neue Empfehlungen zum Einsatz digitaler Devices für das Vorhofflimmerscreening herausgegeben. Sie empfiehlt ein systematisches Screening für alle über 75-Jährigen und Menschen mit Risikofaktoren über 65. Für 65-Jährige ohne Risikofaktoren oder unter 65-Jährige mit Risikofaktoren wird ein opportunistisches Screening empfohlen – das heißt beim nächsten Arztkontakt. Das Problem ist allerdings die Datenmenge, da es in Deutschland zu viele Menschen in dieser Altersgruppe gibt. „Wenn sich Ärzte alle EKGs anschauen müssten, würde das die Ressourcen sprengen. Eine KI müsste eine Vorselektion vornehmen, um eine kleine Gruppe zu identifizieren, die behandelt werden muss. Spezielle Apps auf dem Handy wären eine gute Alternative zu Smartwatches für diese Zielgruppe“, so der Experte.  

Behandlungsunterschiede durch falsch trainierte KI

Duncker betont jedoch, dass eine KI nicht automatisch bessere Entscheidungen trifft als ein Mensch. „Menschen machen Fehler und haben Vorurteile. Untersuchungen haben gezeigt, dass Patienten unterschiedlich behandelt werden. Geschlecht, Herkunft oder Religion spielen hier zum Beispiel eine Rolle. Wenn diese Vorurteile ungefiltert in die KI einfließen, ergeben sich daraus Behandlungsunterschiede, die dem Patienten im schlimmsten Fall schaden können. Dessen muss man sich bewusst sein und unbedingt versuchen zu vermeiden, Algorithmen falsch zu trainieren.“

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David Duncker

In einigen Jahren, so hofft der Kardiologe, sollte KI in der Lage sein, individualisierte Therapien zu erstellen. Die Berechnung von Medikamenteneffekten und die optimale OP-Planung sind hier nur zwei Beispiele. „Unsere wissenschaftlichen Ansprüche sollten für dieses Ziel allerdings nicht zurückgeschraubt werden“, betont er. „Wird ein neues Medikament getestet, bekommt das nicht jeder Patient, sondern es werden wissenschaftliche Studien durchgeführt. Diese Standards müssen wir auch bei KI ansetzen und randomisierte Studien für die Analyse des Effekts durchführen.“ 


Profil:
Prof. Dr. David Duncker leitet das Hannover Herzrhythmus Centrum und ist Leitender Oberarzt und Bereichsleiter Rhythmologie und Elektrophysiologie in der Klinik für Kardiologie und Angiologie der Medizinischen Hochschule Hannover. Er ist Mitglied des EHRA-Vorstands und Vorsitzender des EHRA-Ausschusses für elektronische Kommunikation.

26.08.2022

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