Plenum des BVMed-Hygieneforums 2022

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News • BVMed-Hygieneforum 2022

„Wir brauchen ein nachhaltiges Umdenken beim Infektionsschutz“

Für bessere Hygiene und Infektionsschutz im Gesundheitssystem braucht es ein nachhaltiges Umdenken aller Beteiligten im täglichen Handeln.

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Daniela Piossek

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Das zeigten die Praxisbeispiele für einen besseren Infektionsschutz des 11. BVMed-Hygieneforums aus den Bereichen der Pflege, der Kliniken, der Forschung und des Öffentlichen Gesundheitsdienstes. 

„Wir müssen Entscheider und Anwender aus allen Bereichen zusammenbringen, um das Hygienethema voranzubringen, das Bewusstsein für die Bedeutung von Hygienemaßnahmen zu steigern und den Infektionsschutz zu verbessern“, so Daniela Piossek, Sprecherin des BVMed-Fachbereichs Nosokomiale Infektionen und Moderatorin des Hygieneforums. Die Corona-Pandemie habe gezeigt, dass Hygiene und Infektionsschutz nicht nur ein Thema für medizinische Einrichtungen sind, sondern auch für jeden Haushalt und für den Arbeitsschutz. 

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Dr. Marc-Pierre Möll

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„Jeder hat das Recht, vor nosokomialen Infektionen geschützt zu werden“, fasste BVMed-Geschäftsführer und Vorstandsmitglied Dr. Marc-Pierre Möll die Herausforderung zusammen: „Bis zu einem Drittel der nosokomialen Infektionen gilt als vermeidbar. Um dies zu erreichen, sind neben einem Bündel an Hygienemaßnahmen die Anstrengungen aller Beteiligten erforderlich.“ Infektionsschutz-Expertin Prof. Dr. Christine Geffers von der Charité wies auf die Bedeutung einer guten Personalausstattung für den Infektionsschutz hin. Maskenexperte Christoph Thelen informierte über das leitliniengerechte Maskentragen zur Infektionsvermeidung. Prof. Dr. Mark Ellrichmann vom Universitätsklinikum Kiel beleuchtete den Beitrag von Einmalendoskopen zur Infektionsprävention. An dem Hygieneforum nahmen vor Ort und virtuell über 400 Gäste vor allem aus dem Bereich der Pflege und Behörden teil. 

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Prof. Dr. Christine Geffers

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Prof. Dr. Christine Geffers, Oberärztin am Nationalen Referenzzentrum für die Surveillance von nosokomialen Infektionen der Charité, stellte die neuesten US-amerikanischen Präventionsempfehlungen der ZVK-assoziierten Sepsis aus dem Jahr 2022 im Vergleich zur deutschen KRINKO-Empfehlung von 2017 vor. So empfehlen die US-Experten die tägliche antiseptische Körperwaschung aller Patienten mit Chlorhexidin. „Diese Empfehlung ist weltweit mit sehr guter Evidenz hinterlegt“, so Geffers. In Deutschland werde dies jedoch nur als „mögliche additive Maßnahme“ bezeichnet. Als bevorzugten Anlegeort eines zentralenvenösen Katheters empfehlen die US-Institutionen unter Infektions-Gesichtspunkten die Schlüsselbeinvene. Außerdem wird eine Ultraschall-geführte Anlage des ZVK empfohlen. Wichtig sei nach US-Leitlinie auch die Hautdesinfektion vor ZVK-Anlage mit Chlorhexidin auf alkoholischer Basis. Hierzu wünscht sich Geffers in Deutschland geeignete Chlorhexidin-Produkte, um auf Jod verzichten zu können. Eine Empfehlung mit hohem Evidenzgrad ist in den USA zudem, dass eine „angemessene Personalausstattung“ wichtig für Infektionsprävention ist. Die KRINKO-Empfehlung misst dem die niedrigere Evidenzstufe „bewährte klinische Praxis“ bei. Geffers: „Das ist eigentlich eine Unverschämtheit, denn die Personalausstattung spielt nach allen verfügbaren Studien eine sehr große Rolle, um das Sepsis-Risiko zu reduzieren.“ 

Prof. Dr. Cornelia M. Keck vom Institut für Pharmazeutische Technologie und Biopharmazie der Universität Marburg beleuchtete das Thema Nanopartikel in Infusionslösungen. Unterschieden wird in sichtbare und nicht sichtbare Partikel. Partikel, die kleiner als 10 μm sind, unterliegen bislang keiner Reglementierung. Darunter fallen auch Nanopartikel unter 1 μm. Nachdem Partikel in den Blutkreislauf gelangen, können sie in die Zellen eindringen oder mit Blutproteinen interagieren und deren Eigenschaften verändern. Zahlreiche Studien beschäftigten sich mit dem Verbleib von Nanopartikeln im Körper. Man wisse zwar noch nicht exakt, was mit den Partikeln passiere, allerdings gebe es Hinweise auf ein „nanotoxisches Risiko“, so Keck. Man gehe davon aus, dass größere, abbaubare Partikel weniger gefährlich seien als sehr kleine, nicht abbaubare. In einer Studie konnte gemessen werden, dass während einer Infusionstherapie etwa 20 bis 25 Milliarden Nanopartikel in einen Patienten gelangen. Es kann bislang aber noch nicht geklärt werden, wie toxisch eine hohe Zahl von Partikeln für den durch eine Krankheit bereits angegriffenen Körper ist. Durch moderne Filtersysteme könnte die Zahl der Nanopartikel verringert werden, um mögliche Langzeitfolgen zu vermeiden.  

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Masken-Experte Christoph Thelen informierte über das leitliniengerechte Maskentragen zur Infektionsvermeidung. Thelen ist Fachzertifizierer am Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV). Grundlage für die Verwendung von Schutzmasken ist eine Gefährdungbeurteilung durch den Arbeitgeber. Als Hilfestellung gibt es Regelwerke wie die TRBA 250 und 255 oder das übergeordnete Infektionsschutzgesetz. In medizinischen Einrichtungen spielt das Tragen von persönlicher Schutzausrüstung eine große Rolle. Nach der TRBA 250 muss das richtige Aufsetzen von FFP-Masken demonstriert und geübt werden. Sind Patienten mit luftübertragbaren Krankheitserregern infiziert, muss das medizinische Personal mindestens FFP2-Masken tragen. Wichtig ist der korrekte Sitz einer Maske. Hilfreich ist dabei, die Prüfung des Dichtsitzes mit Hilfe geeigneter Testmethoden während einer Schulung zu zeigen. Die Technische Regel TRBA 255 beschäftigt sich mit „Viren mit pandemischem Potenzial“ und ist in der Zeit einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite anzuwenden. Eine FFP2-Maske hat einen Schutzniveau-Faktor 10. Bei hohem Risiko sollten partikelfiltrierende FFP3-Halbmasken getragen werden, die einen Schutzniveau-Faktor 30 haben. Mit Ausatemventil können diese bis zu 150 Minuten getragen werden. Eine medizinische Gesichtsmaske bzw. OP-Maske hat dagegen ein völlig anderes Schutzziel, sie soll die andere Person schützen. Sie soll eng anliegen, muss aber nicht dicht sein und kann über einen längeren Zeitraum getragen werden. 

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Dr. Kristina Böhm

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Wie steht es um die Digitalisierung von Überwachungsaufgaben des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD)? Einblicke gab Dr. Kristina Böhm, Leiterin des Gesundheitsamtes Potsdam und Vorsitzende des Verbands der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes der Länder Berlin und Brandenburg. Sie bemängelte, dass ein exorbitantes Regelwerk und strenge Datenschutz-Vorgaben eine schnelle und pragmatische Umsetzung in der Praxis verhindern. „Die Anforderungen an den Datenschutz hemmen die digitale Weitergabe von Daten und damit eine ämterübergreifende Kooperation. Absprachen mit Datenschutzbeauftragten können zudem sehr zeitintensiv und langwierig sein“, so Böhm. Teilweise mangelt es Mitarbeitenden im ÖGD aber auch an Kompetenzen oder Erfahrungen im Umgang mit digitalen Arbeitsmitteln. Dies führt zu Widerständen gegen Digitalisierungsprozesse. „Wir brauchen Digitalisierung. Wir müssen den Datenfluss so organisieren, dass möglichst wenig manuell eingearbeitet werden muss.“ Bis 2026 stehen dem ÖGD 4 Milliarden Euro für Personal, Digitalisierung und moderne Strukturen zur Verfügung. Insgesamt 800 Millionen Euro sind für die Digitalisierung der Gesundheitsämter vorgesehen. Ziel ist das digitale Gesundheitsamt mit einer standardisierten Dokumentation und Berichterstattung sowie einer digitalen Medizinprodukte-Überwachung. 

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Prof. Dr. Mark Ellrichmann

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Infektionsrisiken am Beispiel endoskopischer Eingriffe thematisierte Prof. Dr. Mark Ellrichmann, Stellvertretender Klinikdirektor und Leiter der Interdisziplinären Endoskopie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Kiel. Er berichtete, dass die Weltgesundheitsorganisation WHO 2021 eine Strategie zu mehr Patientensicherheit publiziert habe. Dazu gehöre der Punkt „Sicherheit von klinischen Prozessen“ mit den Unterpunkten Infektionsprävention und -kontrolle und antimikrobielle Resistenz sowie Sicherheit von Medizinprodukten. Als Beispiel beleuchtete Ellrichmann das Infektionsrisiko in der Endoskopie. Dabei gehe es um endogene Keime, die jeder Mensch in sich trägt, und exogene Keime durch Kontaminationen. „Auf diese exogenen Keime müssen wir uns konzentrieren. Wenn Instrumente beispielsweise unzureichend aufbereitet wurden, kann daraus ein Infektionsrisiko erwachsen“, so Ellrichmann. Endoskope bergen dabei durch ihr Design und sehr geringen Lumina ein Infektionsrisiko, da auch nach einer guten Aufbereitung noch Keime vorhanden sind, wie eine FDA-Studie zeigte. Hier sei die Verwendung von Einwegprodukten bei diesem Teil der Medizin ein Bestandteil der Infektionsprävention. Dies mache aber nur Sinn, wenn ein Einmalendoskop genauso gut funktioniere wie ein mehrfach verwendbares Produkt. Entscheidende Punkte seien zudem die Kosten sowie die Entsorgung der Produkte „auf dem Weg zur Nachhaltigkeit“. Die Funktionalität sei bei den modernen Einmalprodukten voll gegeben. „Die Frage ist, für welche Patienten wir diese Einmalprodukte verwenden, denn ein flächendeckender Einsatz ist kaum zu finanzieren“, so der Kliniker. Er plädierte für einen Fokus auf Risikopatienten sowie kontaminierte Patienten. Um die Nachhaltigkeit zu optimieren, forderte er neue gesetzliche Material- und Recyclingansätze, um Plastikabfälle in der Medizin drastisch zu reduzieren. 

Antimikrobielle Technologien könnten als potenziell zusätzliche Interventionsstrategie für evidenzbasierte Hygiene im Gesundheitswesen eingestuft werden

Dirk Höfer

Prof. Dr. Dirk Höfer vom Institut für Alltagskultur, Bewegung und Gesundheit der PH Freiburg stellte den VDI-Statusreport „Antimikrobielle Oberflächen zur Infektionsprävention“ vor. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie Oberflächen zwischen Hygienezyklen wie der Reinigung oder Desinfektion möglichst keimarm gehalten werden können. Ziel des VDI-Projekts ist es, einen Argumentationsleitfaden zu entwickeln, der in Abhängigkeit von Anwendung, Werkstoff und Wirkstoff eine praxisnahe Leistungsbeurteilung bietet, aus dem sich für Hersteller und Betreiber Handlungsempfehlungen ableiten lassen. Höfers Fazit: „Antimikrobielle Technologien könnten als potenziell zusätzliche Interventionsstrategie für evidenzbasierte Hygiene im Gesundheitswesen eingestuft werden.“ Dazu sollten die Regelungslücken in der Zulassung dringend geschlossen werden, indem neue Beschichtungstechnologien, Wirk- und Werkstoffe praxisnah berücksichtigt werden. Eine zukünftige optimierte Hygiene im Gesundheitswesen benötige Labor-, Feld- und Benchmark-Tests, die dabei helfen, die Wirksamkeit antimikrobieller Technologien exakt zu bewerten.

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Dr. Emanuel Wyler

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Was kann das Abwasser über das Infektionsgeschehen verraten? Sehr viel, zeigte Molekularbiologe Dr. Emanuel Wyler vom Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin (MDC) in Berlin auf. Die Forscher begannen Anfang 2021 mit einem SARS-CoV-2-Abwassermonitoring zusammen mit den Berliner Wasserbetrieben. Hintergrund ist, dass Krankheitserreger, die in der Bevölkerung zirkulieren, im Abwasser nachweisbar sind. Insgesamt wurden 116 Proben entnommen. Eine Hochdurchsatz-Sequenzierung identifizierte zehntausende von Mikroben in Berliner Abwasserproben. Selektive Methoden wie gezielte PCR-Tests zeigen noch viele weitere, auch klinisch relevante respiratorische Viren. Dadurch entsteht eine starke Ausweitung unserer Kenntnisse der Virenwelt, so Wyler. Weltweit gebe es in diesem Bereich eine intensive methodologische Forschung, die durch die Corona-Pandemie klar beschleunigt wurde. Künftig könnte daraus ein „Virus-Wetterbericht“ entstehen, um eine bessere Grundlage für behördliche und politische Entscheidungen zu bieten. 


Quelle:  BVMed - Bundesverband Medizintechnologie

20.12.2022

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