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Artikel • Genderparität
Frauen an die Macht: Chirurgie strebt Imagewandel an
Die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) hat sich mehr Genderparität auf die Fahnen geschrieben, um für den medizinischen Nachwuchs attraktiver zu werden und die chirurgische Versorgung auch in Zukunft sicher zu stellen. Im Interview erzählt der DGCH-Generalsekretär Prof. Dr. Thomas Schmitz-Rixen, mit welchen Konzepten das gelingen soll.
Interview: Sonja Buske
HiE: Prof. Schmitz-Rixen, die DGCH hat als ersten Schritt ihre Jahrestagung von „Deutscher Chirurgen Kongress“ in „Deutscher Chirurgie Kongress“ umbenannt. Das ist zwar sicherlich ein Anfang, reicht aber vermutlich nicht aus. Welche weiteren Maßnahmen möchte die Fachgesellschaft konkret umsetzen?
Prof. Schmitz-Rixen: "Semantische Anpassungen sind nur äußere Zeichen, setzen aber deutliche Symbole und stärken den Rücken von allen, die sich bemühen, dem jetzt schon bestehenden Fachkräftemangel mit guten Konzepten zu begegnen. Eine Genderparität ist hierbei nur ein Faktor. Der Anteil an Ärztinnen in unseren zehn assoziierten chirurgischen Fachgesellschaften schwankt zwischen 8% und 50%. In der Kinderchirurgie ist Genderparität bereits erreicht. Eine große Fachgesellschaft wie die Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie hat einen Frauenanteil von jetzt 30% erreicht. Es bedarf neuer Konzepte, um die chirurgische Versorgung auch in Zukunft sicher zu stellen. Diese Konzepte richten sich aber nicht nur an Chirurginnen. Kernpunkt der Überlegungen der DGCH ist der Arbeitsplatz im Krankenhaus, da hier die Mehrheit der Aus- und Weiterbildung stattfindet. Auch ist dies der Ort, wo sich sehr häufig die Entscheidungsfindung von Studierenden für ein chirurgisches Fach manifestiert. Alle Überlegungen müssen die Bedürfnisse der Nachwuchsgeneration beinhalten. Hierzu benötigen wir eine Personalausstattung, die es ermöglicht, sich um den Nachwuchs zu kümmern und diesem zeigt, dass eine Entscheidung für die Chirurgie nicht die Aufgabe der Work-Life Balance bedeutet.
Die zurzeit diskutierten Veränderungen der Krankenhausstrukturen könnten hierfür hilfreich sein, wenn sie nicht sogar notwendige Voraussetzung für eine Verbesserung des Arbeitsplatzes Chirurgie sind
Thomas Schmitz-Rixen
Wir müssen außerdem Diversität und Inklusion in der Chirurgie aktiv fördern, indem beispielsweise unterrepräsentierte Gruppen gezielt unterstützt werden. Zudem ist die Reduktion von Dokumentationsaufgaben sowie die Förderung einer wirksamen Digitalisierung wichtig. Der sinnvolle Einsatz von roboterunterstützten Techniken kann zudem die Auswirkungen des körperlichen Einsatzes in der Chirurgie verbessern. Die zurzeit diskutierten Veränderungen der Krankenhausstrukturen könnten hierfür hilfreich sein, wenn sie nicht sogar notwendige Voraussetzung für eine Verbesserung des Arbeitsplatzes Chirurgie sind."
64 Prozent der Studierenden im Fach Humanmedizin waren im vergangenen Wintersemester weiblich. Wieso entscheiden sich Ihrer Meinung nach dennoch eher weniger Frauen für das Fachgebiet der Chirurgie, und wie möchten Sie das ändern?
"Es gibt mehrere Faktoren, die dazu beitragen, dass Frauen sich weniger für die Chirurgie entscheiden. Ein wichtiger Faktor ist die traditionell männlich geprägte Kultur in der Chirurgie, die Frauen in diesem Bereich weniger willkommen fühlen lässt oder stereotypische Vorstellungen darüber vermittelt, dass Frauen in diesem Berufsfeld weniger erfolgreich sein können. Auch Arbeitszeiten und Arbeitsbelastungen in der Chirurgie können als unvereinbar mit familiären Verpflichtungen angesehen werden und Frauen von diesem Beruf abhalten.
Um das zu ändern, müssen wir die Kultur und die Arbeitsbedingungen in der Chirurgie verändern. Es ist wichtig, dass die Chirurgie als ein Bereich wahrgenommen wird, der Frauen willkommen heißt und in dem sie erfolgreich sein können. Wir sollten uns bemühen, stereotype Vorstellungen über Geschlechterrollen in der Chirurgie abzubauen. Außerdem können spezielle Mentoring-Programme und Netzwerke für Frauen in der Chirurgie aufgebaut werden, um Frauen in diesem Bereich zu unterstützen und ihnen die notwendigen Fähigkeiten und Kenntnisse zu vermitteln, um erfolgreich zu sein. Es ist auch wichtig, Frauen als Vorbilder und Führungspersönlichkeiten in der Chirurgie zu fördern und ihre Erfolge und Errungenschaften zu würdigen. Dies geschieht unter anderem seit zirka zwei Jahren in dem selbst organisierten Netzwerk „Die Chirurginnen“, das innerhalb kürzester Zeit gewaltigen Zulauf gefunden hat.
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In den letzten Jahren entscheiden sich immer mehr Frauen für den medizinischen Fachbereich der Orthopädie und Unfallchirurgie. 25 Prozent der Assistenzärzte sind derzeit weiblich, womit Deutschland im internationalen Vergleich weit vorn liegt. Doch was kommt danach?
Durch diese Maßnahmen können wir dazu beitragen, dass sich Frauen in der Chirurgie stärker vertreten fühlen und mehr Frauen ermutigt werden, eine Karriere in diesem spannenden und herausfordernden Fachgebiet anzustreben."
Die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist für viele Chirurginnen nur schlecht oder gar nicht möglich, weshalb sich ein Großteil nach der Elternzeit in den niedergelassenen Bereich zurückzieht. Welche Modelle könnten dazu beitragen, dass Mütter nicht nur den Kliniken erhalten bleiben, sondern sich auch weiterbilden und beruflich erfolgreich sein können?
"Flexible Arbeitszeit- und Jobsharing-Modelle, Teilzeitarbeit und die Möglichkeit, den bürokratischen Teil der Arbeit von zu Hause aus zu erledigen können Frauen ermutigen, eine Karriere in der Chirurgie anzustreben. Arbeitgeber müssen zudem die Möglichkeit bieten, dass die Kinder von Mitarbeiterinnen in der Klinik oder in der Nähe betreut werden können. Das kann zum Beispiel durch Kindertagesstätten oder Kindergärten auf dem Klinikgelände mit entsprechend angepassten Öffnungszeiten realisiert werden.
Spezielle Mentoring-Programme für Chirurginnen, die nach der Elternzeit in die Klinik zurückkehren möchten, können helfen, die Planung der Karriere zu unterstützen. Wichtig ist auch die Einbindung der Mitarbeiterinnen in Elternzeit zum Beispiel in Form von Online-Schulungen."
Denken wir einmal einen Schritt weiter: Könnten mehr Frauen in der Chirurgie auch eine Verbesserung der Behandlung von weiblichen Patienten bedeuten?
"Ich kann zurzeit keine Schlechterbehandlung von weiblichen Patienten erkennen. Diesbezügliche Arbeiten bieten keine belastbare Evidenz. Aber etwas mehr weibliche Intuition in gemischten chirurgischen Teams könnte die Gesamtperformance verbessern. Wenn dann Vorgesetzte noch eine wertschätzende Führungskultur vermitteln, wären wir einen wesentlichen Schritt weiter."
15.05.2023