Europas Onkologie muss mit einer Stimme sprechen

Die Krebsforschung macht rasante Fortschritte. Doch die Umsetzung in konkrete Behandlungserfolge kommt nur langsam voran. Zu langsam, meinten die Experten auf dem Europäischen Forum Onkologie. Vertreter der europäischen Spitzenforschung hatten sich gemeinsam mit Vertretern von Krebsorganisationen und Gesundheitsbehörden am 28.-29. Oktober in Berlin darüber beraten, wie die Translation beschleunigt werden kann und wie best-practice-Ansätze in der Gesundheitsversorgung EU-weit umgesetzt werden können.

Im "Berliner Memorandum" fordern sie vor allem eine stärkere länderübergreifende Zusammenarbeit aller maßgeblichen Institutionen - von  Forschungseinrichtungen über Comprehensive Cancer Center bis hin zur  Gesundheitspolitik.

"Angesichts der Komplexität von Krebs ist ein enger, interdisziplinärer Austausch zwischen Forschung und Gesundheitsversorgung auf EU-Ebene unabdingbar, erklärte der wissenschaftliche Leiter des Forums und Direktor des Charité Comprehensive Cancer Centers Berlin, Prof. Dr. Dr. Peter. M. Schlag. Diese Meinung teilte auch der Präsident der European Cancer Organisation (ECCO), Prof. Dr. Michael Baumann: "Wenn wir die Fortschritte der Krebsforschung schneller in präventive und therapeutische Nutzen für die Patienten umsetzen wollen, dann muss sich Europas Onkologie zusammenschließen und mit einer Stimme sprechen."

Der Druck zur personalisierten Medizin steigt

Mit derzeit 3,2 Millionen Neuerkrankungen - bei steigender Tendenz - und 1,7 Millionen Todesfällen pro Jahr ist und bleibt Krebs eine Herausforderung für Europa. Insbesondere die Erwartungen an die Forschung sind hoch. Dank Molekulardiagnostik können Wissenschaftler immer mehr Tumorarten in verschiedene Klassen kategorisieren. In zehn Jahren, schätzt Michael Baumann, wird man das Mamakarzinom in 15  Subgruppen unterteilen können. Den wachsenden Datenmengen wird aber  eine immer kleinere Patientenklientel gegenüberstehen. Nicht nur der Mangel an "kritischer Masse" fordert die Krebsforscher heraus. Mit  den stetig neuen Erkenntnissen aus dem Labor, steigen auch die Erwartungen an eine personalisierte Medizin, bei der der richtige Patient das richtige Medikament zum richtigen Zeitpunkt bekommen soll. Der Vorstandsvorsitzende des Deutschen Krebsforschungszentrums Heidelberg, Prof. Dr. Otmar D. Wiestler, drückte es so aus: "Der  rasante Fortschritt in der Forschung erhöht den Druck, die Befunde  aus dem Labor noch schneller in einen klinischen Nutzen für die Patienten zu überführen." Gut zehn Jahre dauert es, bis eine neue Substanz erstmals in die klinische Anwendung kommt. Dieser Prozess müsse unbedingt beschleunigt werden, meinte Wiestler.

Nach Ansicht der Experten können nur große Forschungsverbünde diese Herausforderung meistern. Im Rahmen der "Europäische Partnerschaft für Maßnahmen zur Krebsbekämpfung" baut die European Cancer Organisation gerade EU-weite Forschungsnetzwerke auf. "Wir wollen undmüssen große Forschungsnetzwerke aufbauen und auch die Industrie stärker bei der Erforschung kleiner Krankheitsgruppen einbinden", sagte ECCO-Präsident Baumann. Der Schulterschluss mit der Industrie ist umso wichtiger, weil immer mehr europäische Pharmakonzerne ihre Forschungsaktivitäten in die USA und nach Asien verlagern. Diesen Trend könne man nur durch den Aufbau neuer Strukturen abwenden, betonte Prof. Dr. Thomas Tursz, Generaldirektor des Instituts Gustav Roussy, Villejuif, Frankreich. "Für eine bessere Partnerschaft zwischen Wissenschaft und Industrie brauchen wir eine neue Infrastruktur, die uns den Zugang zu know-how, Patienten, Tumorbanken, klinischen Daten und den Zugang zu einer transnationalen Forschungsplattform ermöglicht."

Einen solchen Zugang will jetzt die Eurocan Platform ermöglichen. In dem Netzwerk haben sich 17 nationale Krebsinstitute zusammengeschlossen, um die Krebsforschung in Europa besser zu koordinieren. "Unser Ziel ist, eine weltklassige Infrastruktur der translationalen Krebsforschung aufzubauen, damit wir neue Erkenntnisse schneller in neue Strategien zur Prävention, Diagnose und Behandlung von Krebs umzusetzen können", sagte der Sprecher der Eurocan Platform, Prof. Ulrik Ringborg vom Karolinska Institut Stockholm.

Gemeinsam Handeln gegen den Krebs

Doch um in der Krebsbekämpfung erfolgreich zu sein, bedarf es weiterer Anstrengungen. Die 2009 von der EU-Kommission gegründete "Europäische Partnerschaft für Maßnahmen zur Krebsbekämpfung" erarbeitet deshalb Maßnahmen zur Krebsbekämpfung in zehn Handlungsfeldern. Mehr als 300 Krebsorganisationen und
Gesundheitsbehörden arbeiten gemeinsam an dem Ziel, die Zahl der Krebsneuerkrankungen bis 2020 um 15 Prozent zu senken. So beschäftigt sich ein Handlungsfeld etwa mit der Einführung Nationaler Krebspläne, die nach Vorgabe der EU-Gesundheitsminister bis 2013 in allen  EU-Ländern abgeschlossen sein soll. Hierfür erarbeitet das Bündnis verbindliche Qualitätskriterien, die von allen Ländern umgesetzt  werden sollen.

In einem weiteren Handlungsfeld untersuchen Wissenschaftler unter Führung von Dr. Josep M. Borràs, Direktor Catalan Cancer Strategy, Barcelona, warum die Heilungserfolge in den einzelnen EU-Ländern sehr unterschiedlich sind. "Noch ist nicht klar, welche Faktoren in welchem Maße dazu führen, dass etwa die Überlebensraten in den skandinavischen Ländern mit über 50 Prozent über dem europäischen Durchschnitt liegen", sagte Borràs. "Deshalb analysieren wir Faktorenwie Früherkennung, Behandlungsstandards und die psychosoziale Versorgung, um best-cancer-practices zu identifizieren und die Behandlungsleitlinien europaweit zu harmonisieren." Was Krebstherapie letztlich kosten darf - das entscheiden die Länder bislang selbst. Künftig werden sich auch Institute wie NICE in Großbritannien oder  der Gemeinsame Bundesausschuss in Deutschland stärker austauschen  müssen, um transparente Kosten-Nutzen-Bewertungen in der EU zu  organisieren, so die Experten in Berlin.

Das Berliner Memorandum

Im Berliner Memorandum haben die Teilnehmer des Europäischen Forums Onkologie die dringendsten Handlungsfelder zur Verbesserung der  Krebsbekämpfung in Europa zusammengefasst. Das Memorandum wird jetzt den maßgeblichen Akteuren der onkologischen Community und den politischen Entscheidern auf EU-Ebene vorgelegt. Das Berliner Memorandum lautet:

1. Die institutionalisierte, interdisziplinäre Zusammenarbeit in Früherkennung, Diagnostik und Therapie von Krebserkrankungen muss weiter ausgebaut werden.

2. Onkologischen Zentren fällt eine wichtige Rolle in der regionalen Umsetzung interdisziplinärer Arbeit zu.

3. Die translationale Forschung - die schnellere Übertragung von Erkenntnissen der Grundlagenforschung in Netzwerke klinischer Studien - muss gestärkt werden.

4. Der Eingang gesicherter Fortschritte der Medizintechnik in die Routineversorgung von Krebserkrankten muss beschleunigt werden.

5. Überholte Verfahren müssen schneller abgebaut werden.

6. Der Aufbau eines sektorenübergreifenden Qualitätsmanagements in der Krebstherapie ist essentiell wichtig und muss durch kompatible IT-Systeme, welche den Anforderungen an den Datenschutz gerecht und die länderspezifischen Versorgungssysteme berücksichtigt werden.

7. Die Medikamentenzulassung muss an die neuen Anforderungen einer zunehmend individualisierten, molekular plan- und steuerbaren Tumortherapie angepasst werden.

8. Anreizsysteme müssen geschaffen werden für eine breit angelegte Versorgungsforschung auch nach Medikamentenzulassung.

9. Die Kosten-Nutzen-Bewertungen in der Krebstherapie in der EU müssen fair, transparent und nachvollziehbar organisiert werden.

10. Eine enge Zusammenarbeit zwischen der Gesundheitsforschung und der Gesundheitsversorgung auf nationaler und auf EU-Ebene ist unabdingbar und weiter auszubauen.

02.11.2010

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