Human respiratory pathogens, bacteria that cause nosocomial pneumonia, 3D...

Bildquelle: Shutterstock/Kateryna Kon

Artikel • Infektiologie

Erfolgloser Kampf gegen Krankenhauskeime

Nach einer neuen Studie sterben in Deutschland mehr Menschen durch Infektionen als bei Verkehrsunfällen. Die erschreckenden Mortalitätsraten werden nicht nur durch nosokomiale Keime, sondern auch Infektionskrankheiten verursacht, die in Europa eigentlich als besiegt galten, wie Masern, TBC und neuerdings Syphilis.

Bericht: Anja Behringer

Das bedeutet neben steigenden Patientenzahlen auch finanzielle Millionenschäden für das Gesundheitswesen. Und – vielleicht als gute Nachricht – Hygiene wird endlich zur Chefsache, nachdem die „Aktion Händewaschen“ von vor 10 Jahren und die in Krankenhäusern bereits am Eingang allgegenwärtigen Desinfektionsspender keinen durchschlagenden Erfolg zeitigen. Auch neue Berufsbilder wie Hygienefachärzte, Hygienefachkräfte in der Pflege, Risikobeauftragter oder Infektiologe konnten bislang keinen erkennbaren Erfolg im Kampf gegen die Keime erreichen. Dazu kommen die Anfälligkeit der alternden Bevölkerung gegen Infektionen sowie parallel dazu nicht mehr wirksame Antibiotika. Was also tun? Beim Europäischen Gesundheitskongress in München dominierte das Thema Hygiene die Mehrzahl der Vorträge aus den unterschiedlichsten Bereichen. Der gemeinsame Nenner für den Außenstehenden war: Schuld haben immer die anderen, dass es im eigenen Bereich nicht klappt.

Handhygiene – das A und O der Keimbekämpfung

Der messbare und gestiegene Verbrauch an Desinfektionsmitteln sagt nichts über die Qualität aus

Johanna Knüppel

„Nach der Toilette und vor dem Essen Händewaschen nicht vergessen“ Dieser jedem Kind eingeimpfte Spruch ist immer noch gültig. Denn laut WHO werden 60 Prozent aller Infektionskrankheiten per Hand übertragen.

Johanna Knüppel, Referentin und Sprecherin bei der Bundesgeschäftsstelle des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK) in Berlin sieht die seit Jahrzehnten bekannten und immer noch ungelösten Probleme im eklatanten Mangel an Personal, Zeit und Platz. Natürlich ist die Aktion Händewaschen ins Bewusstsein gedrungen, aber wie wird denn desinfiziert? „Der messbare und gestiegene Verbrauch an Desinfektionsmitteln sagt nichts über die Qualität aus. 30 Sekunden muss das Mittel einwirken laut Vorgaben. Wenn sich das Personal daran hält, desinfiziert sich jeder Mitarbeiter 2,30 Stunden täglich die Hände.“ Dass hier „geschlampt“ wird und zwangsläufig werden muss, erkennen langsam auch die dafür Verantwortlichen im Krankenhaus. Selbst Chefärzte zeigen „organisierte Nachlässigkeit“, wie Professor Dr. Walter Popp, Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene und Ärztlicher Leiter Hykomed GmbH in Dortmund, bei seinen Kollegen selbst im OP beobachtet. Und da meint er noch gar nicht die Handdesinfektion, sondern „sehen Sie sich mal an, wie die da mit unbedeckten Ohren am Patienten arbeiten“. Das ist zwar nur ein Detail, aber es kümmert niemanden. 

Die Infektionsschutzempfehlungen der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) werden laut Popp immer unbestimmter, und woher die geforderten Hygienefachärzte kommen sollen, weiß niemand. Zumal sie den Problemberg allein nicht abbauen können.

2015 machte der Zehn-Punkte-Plan zur Bekämpfung von Krankenhausinfektionen und resistenten Erregern durch den damaligen Bundesgesundheitsminister Furore. Einer der wenigen konkreten Punkte darin: ein Förderprogramm, mit dem bis Ende 2016 zusätzliches Hygienepersonal eingestellt werden sollte. Zu dem Zeitpunkt, als die Hygieneempfehlungen nach einer Übergangsfrist endlich verbindlich werden sollten, wurde verlängert: bis Ende 2019. Das Aufstocken des Personals kommt nur schleppend voran. Das Gesundheitsministerium sieht die Verantwortung bei den Kliniken und den Bundesländern. Allerdings sind die Arbeitsbedingungen im Krankenhaus nicht so attraktiv, dass Bewerber abgelehnt werden müssten.

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Interview • Mikrobiologie & Hygiene

„Nosokomiale Infektionen sind ein Problem, multiresistente Bakterien ein anderes“

Angesichts des stetigen Anstiegs von multiresistenten Erregern hat die Weltgesundheitsorganisation WHO die zunehmenden Antibiotika-Resistenzen bei ansteckenden Krankheiten als eine der derzeit größten Gesundheitsbedrohungen eingestuft. Insbesondere in Krankenhäusern sind sie ein anwachsendes Problem.

Hygiene wird zur Chefsache

Die Ärzte sind die schlechtesten Vorbilder, die Pflegenden am aktivsten bei der Umsetzung der umfangreichen Vorgaben, die der Realität nicht standhalten. Da wird der Kranke mit unbekannten Keimen in seinem Bett zunächst im Flur „geparkt“, bis er sein Zimmer beziehen kann. Bei den Reinigungsdiensten wird jedes Jahr neu ausgeschrieben und der preiswerteste engagiert, ohne die Fähigkeiten seiner Mitarbeiter zu kennen. Immerhin sehen Ärzte den Einsatz von Antibiotika jetzt kritischer, zumindest in Deutschland. Hier bekommen sie 25 Prozent der Patienten. In den südeuropäischen Ländern sind es doppelt so viele, zum Beispiel 55 Prozent in Griechenland wie Professor Popp erklärt. Durch die zunehmende Durchmischung der europäischen Bevölkerung ist die Infektionsbekämpfung inzwischen auch ein Länder übergreifendes Problem. Dabei ist MRSA sogar auf dem Rückzug, aber die nicht-resistente Variante dieses Bakteriums fordert nach wie vor jedes Jahr Tausende Menschenleben wie die Deutsche Gesellschaft für Infektiologie mitteilt.

In Deutschland treten jährlich zwischen 400.000 bis 600.000 behandlungsassoziierte Infektionen mit 10.000 bis 15.000 Todesfällen auf. Diese können im Zusammenhang mit einer stationären oder ambulanten Behandlung stehen, teilt das Bundesministerium für Gesundheit unverändert seit 2015 auf seiner Website mit. Ein Drittel dieser Infektionen ist durch hygienische Maßnahmen vermeidbar, zum Beispiel bei qualifizierter Gerätesterilisation.

Gut gemeinte Programme von ABS bis APS

Hygienefachkräfte sind in der Pflege vor allem für den Hygieneplan zuständig, und der ist ein Feigenblatt

Walter Popp

Seit der „The Microbial Threat“-Konferenz 1998 in Kopenhagen und den Brüsseler EU-Ratsbeschlüssen zum Thema „Prudent Use of Antimicrobial Agents in Human Medicine“ im Jahr 2001 werden Antibiotic-Stewardship-(ABS)-Programme als notwendig erachtet, um mittels rationaler Antiinfektivaverordnung die weiter zunehmenden Antibiotikaresistenzen nach Möglichkeit einzudämmen. „ABS-Programme haben nachweislich einen günstigen Einfluss auf Resistenz-, Kosten- und Verbrauchsentwicklung und sind zu einer sehr wichtigen Komponente der Patientensicherheit in der modernen Medizin geworden“ so die eigene Einschätzung.

Dazu sagt Professor Popp, dass es erstens zu wenig Daten zu Antibiotikagaben im Krankenhaus gibt. Zweitens „läuft ABS nicht, da der frisch ausgebildete ABS-Experte  zur einer entsprechenden Beratung keine Zeit mehr hat, wenn er ans Krankenhaus kommt.“ Und Johanna Knüppel ergänzt: „Hygienefachkräfte sind in der Pflege vor allem für den Hygieneplan zuständig, und der ist ein Feigenblatt.“

Das im Jahr 2005 gegründete Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V. (APS) zeigt sich optimistisch, seit sein erster internationaler Welttag der Patientensicherheit in diesem Jahr mit dem Segen der WHO stattfand, und bekräftigt: „Das APS wird weiter die Dinge aufzeigen, die eine sichere Versorgung behindern.“ 

So bleibt als Fazit, dass Verbesserungen oder gar Lösungen der Hygieneproblematik nicht in Sicht sind, obwohl alle daran arbeiten. Die Politik handelt offenbar nach dem Motto „Nur ein toter Patient ist ein guter Patient“. Für die Lebenden läuft es auf den mündigen Patienten hinaus, der in der Lage ist, seinen Krankenhausaufenthalt zum Beispiel für eine Operation vorzubereiten. Er sollte sich beim Hausarzt auf seine persönlichen multiresistenten Keime untersuchen lassen, sie bekämpfen und sein Immunsystem auf Vordermann bringen. Dann begibt er sich quasi „gesund“ in die Hände der Ärzte und hat gute Chancen, nach erfolgreichem Eingriff auch so nach Hause entlassen zu werden.

07.01.2020

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