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Die KI ist gekommen, um zu bleiben
Künstliche Intelligenzen (KI) haben ein unvorstellbares Potenzial, um die Medizin zu revolutionieren. KI-Systeme verarbeiten verblüffende Mengen an Daten, erkennen kleinste Details in diagnostischen Bildern und helfen Medizinern bei der Gestaltung von Behandlungsplänen. Doch unter die anfänglich überschwänglichen Stimmen mischen sich in der Öffentlichkeit zunehmend mahnende, sogar ängstliche Kommentare. Prof. Dr.-Ing. Horst K. Hahn, Direktor des Fraunhofer Instituts für Bildgestützte Medizin (MEVIS) versteht dies und merkt an: „Ja, es gibt diese Ängste, aber die entstehenden Werkzeuge lassen uns auf eine höhere Treffsicherheit in der Medizin hoffen.“
Das Thema KI bewegt uns Menschen so sehr, weil sie ursprünglich die Idee verfolgt, mit einem Computerprogramm der menschlichen Intelligenz nahe zu kommen. „Mit dem Wort ‚Intelligenz‘ assoziiere ich ein System, das einen gesetzten Rahmen selbstständig erweitert, doch das geschieht momentan nicht“, sagt Hahn. „Vielmehr durchforsten die derzeitigen Systeme eine Masse an Daten und suchen nach Mustern – in einem durch Algorithmen und Datenbankprogrammierungen vorgegebenen Rahmen“, erklärt Hahn und fügt hinzu: „Sie erlernen, was wir einfüttern, und sind daher Mustererkennungsverfahren ohne eigene Intelligenz.“ Diese Mustererkennungsverfahren haben in den vergangenen Jahren beträchtliche Stärken ausgespielt: „Viele Methoden der Bilderkennung, die wir vorher mit einigem Aufwand erdacht und veröffentlicht haben, sind dabei, durch diese neuronalen Netze verdrängt zu werden. Die neuen Verfahren zeichnen sich insbesondere durch die Eigenschaft des „Selbstlernens“ aus, bei der das Netzwerk alleine anhand von Beispieldaten komplexe Entscheidungsregeln aus den Daten ableitet. Die Algorithmen-Forscher müssen sich dabei fragen, was das „alte“ Wissen heute noch wert ist.“
Müssen wir uns vor künstlicher Intelligenz fürchten?
„Der vernünftige Einsatz von maschinellen Lernverfahren muss uns eigentlich nicht beunruhigen“, betont der Experte. Doch er weiß auch, dass es Befürchtungen gibt, die immer wieder artikuliert werden. Als die ersten KI-Systeme verlässliche Ergebnisse produzierten, kam die Frage auf, wann der Computer den Arzt ersetzen würde. Glücklicherweise herrsche bald Einigkeit mit den Medizinern darüber, den Computer als Hilfsmittel anzusehen, das eine bessere Medizin ermögliche. Das Verständnis sei gewachsen, dass der künftige Arzt mit Computerunterstützung eine bessere Medizin leisten wird als zuvor. „Das kann man als Team-Ansatz bezeichnen. Der Computer wird bei dieser Sichtweise als Mitglied im Team betrachtet, der seine IT-kodierte Wissenswelt und statistischen Korrelationsergebnisse mit an den Tisch bringt.“
Auch gibt es die Sorge, dass der Computer ein Ergebnis präsentiert, das der Nutzer nicht mehr nachvollziehen kann. „Damit beginnt der Mensch an seiner Mündigkeit zu zweifeln. Wann können wir vertrauensvoll handeln, wann müssen wir uns auf die Maschine verlassen und wann wissen wir es besser?“ fragt Hahn. Diese Auseinandersetzung ist noch nicht zu Ende geführt und viele Institutionen arbeiten daran, maschinelle Lernverfahren transparenter und nachvollziehbarer zu gestalten. Eine weitere Angst betrifft den Patienten, nämlich einem Computerprogramm ausgesetzt zu sein, das eine falsche Entscheidung trifft.
Alle diese Bedenken sind miteinander verbunden, da sie letztlich auf die Tatsache zurückzuführen sind, dass wir die Fähigkeiten dieser tief verschachtelten neuronalen Netze im Einzelfall nicht genau einschätzen können. Daher arbeitet MEVIS daran, Systeme zu konzipieren, die diese Sorgen relativieren und adressieren. „Denn Angst ist keine Lösung, sondern ein Indikator für mangelndes Verständnis einer bestimmten Technologie. Diesen Ängsten steht die Hoffnung der Patienten und auch der Ärzte gegenüber, die angesichts der Komplexität in der Medizin heute Unterstützung beim Management medizinischer Probleme benötigen“, erläutert der MEVIS-Direktor.
Fortschritte beim Intelligent Computing und die Folgen für das Gesundheitssystem
Die Zunahme an Komplexität wird in der Medizin voranschreiten. Dazu tragen das schnell wachsende biomedizinische Wissen über die Zusammenhänge von Krankheiten und neue therapeutische Ansätze bei. Ein Beispiel: Heute werden unter dem Sammelbegriff Lungenkrebs mehrere hundert verschiedene Erkrankungen erfasst, denen allen ganz unterschiedliche pathologische Mechanismen zugrunde liegen – mit entsprechend unterschiedlichen therapeutischen Konsequenzen. Auch wird die Komplexität gespeist durch die anwachsende Masse an diagnostischen Informationen via Bildgebung, Bluttests, Liquid Biopsy, genetische Tests und vieles mehr.
All dies ist auf der diagnostischen Seite schon komplex, da verschiedenste Fallgruppen identifiziert werden müssen, die dann noch in der therapeutischen Vorgehensweise auszudifferenzieren sind. Denn für jede einzelne Fallgruppe muss definiert werden, welche weiteren Gruppen möglicherweise noch unter dem einen Therapieansatz zusammengefasst werden können und wie dieser genau auszusehen hat. Diese Komplexitätszunahme stellt auch Fachexperten vor große Herausforderungen. Niemand kann sich alles aktuelle Wissen anlesen, geschweige denn, dieses Wissen in wenigen Minuten, in denen Entscheidungen getroffen werden müssen, zum Einsatz bringen. Das heißt, Ärzte kommen an ihre Leistungsgrenzen.
Daher versucht die Medizin zu vereinfachen und zu standardisieren und dabei gleichzeitig eine evidenzbasierte Medizin zu betreiben. Ärzte versuchen zudem leitlinienbasiert zu arbeiten, indem Kategorien gebildet werden, die eine Entscheidungsgrundlage bilden. „Das führt zu einem diagnostischen Dilemma“, sagt Hahn. Einerseits werde die Komplexitätssteigerung als Heilsversprechen der individualisierten Medizin gesehen. Andererseits wird eine Standardisierung angestrebt, damit überhaupt klinisch vergleichbar gehandelt werden kann. Das führe zu einer Diskrepanz: ständig wachsendes Wissen auf der einen und leitlinienkonforme Vereinfachung von Entscheidungsprozessen auf der anderen Seite.
„Wollen wir eine höhere diagnostische Treffgenauigkeit erreichen, können wir dieses Dilemma und die Grenzen der „menschlichen Vereinfachung“ nur durch die systematische Computerunterstützung positiv lösen“, ist Hahn überzeugt. Sie ermöglicht das verantwortliche Handeln auch dort, wo die bisherigen Leitlinien relativiert werden müssen. „Die Computerunterstützung zielt darauf ab, durch die Analyse integrierter Daten, deutlich differenziertere Ergebnisse zu erzielen – und sind die Datenbanken groß genug auch nachweisbar treffsichere Resultate“, so Hahn abschließend.
Profil:
Prof. Dr.-Ing. Horst K. Hahn studierte Physik mit den Nebenfächern Mathematik, Informatik und Physiologie an der Universität Bayreuth, der Paul-Sabatier-Universität Toulouse und der Universität Heidelberg. Nach seinem Studium arbeitet Hahn als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Forschungszentrum MeVis Research, wo er initial die Aktivitäten im Bereich Neuroimaging aufbaute. Hahn war maßgeblich an der Umwandlung des Instituts in das Fraunhofer Institut für Bildgestützte Medizin (MEVIS) beteiligt, dass er seit 2014 als Direktor leitet. Seine Forschungen befassen sich mit der digitalen Transformation der Medizin auf der Basis multidisziplinärer Datenintegration und moderner Methoden des maschinellen Lernens.
Veranstaltungshinweis
Session 1: Digitale Revolution in der Radiologie
Donnerstag, 08.11. 9:00-9:35 Uhr
Raum: Gold-Saal
Deep Learning - Hype or Hope?
Prof. Dr. Horst Hahn (Bremen)
08.11.2018