Artikel • KI in der Radiologie

Erweiterte statt künstliche Intelligenz

Künstliche Intelligenz wird durch Verbesserung der Qualität, gesteigerte Effizienz und besseren klinischen Outcome die Rolle der Radiologen stärken und nicht schwächen. Davon zeigte sich Dr. Joon Beom Seo am ECR 2018 überzeugt.

Bericht: Michael Krassnitzer

Source:Pixabay/Seanbatty
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Dr. Joon Beom Seo
Quelle: Asan Medical Center Seoul

Unter Radiologen wird derzeit eine Frage heiß diskutiert: Wird Künstliche Intelligenz (KI) an die Stelle der Radiologen treten? „Ich glaube nicht, dass dies die richtige Frage ist“, meint Dr. Joon Beom Seo von Artificial Intelligence for Medical Imaging Research & Development Center der University of Ulsan in der südkoreanischen Hauptstadt Seoul: „Die Frage sollte besser lauten: Wie können wir die Radiologie durch Integration von KI-Technologie verbessern und neu ausrichten?“, wie der Experte in einem Vortrag auf dem Europäischen Radiologenkongress ECR 2018 in Wien bekräftigte.

Wenn wir das in die klinische Routine einführen, beginnt eine neue Ära

Joon Beom Seo

Wenn man von Künstlicher Intelligenz in der Radiologie spricht, sind meist Anwendungen gemeint, die auf Deep Learning basieren. Dabei lernt ein künstliches System aus Beispielen und erkennt darin selbstständig Muster und Gesetzmäßigkeiten. Solche Anwendungen sind heute bereits für alle Teilgebiete der Bildanalyse verfügbar: für Bildumwandlung und Segmentierung von Läsionen bzw. Organen ebenso wie für die Detektion und Klassifikation von Läsionen.

Seo zählt einige Anwendungsbeispiele für Bildumwandlung auf: Bilder, die mit einem bestimmten Filter aufgenommen wurden, lassen sich so umwandeln, als ob sie mit einem anderen Filter aufgenommen worden wären. Bei niedrigdosierter Computertomografie (CT) lässt sich mit Deep-Learning-Anwendungen eine Rauschminderung erzielen. Bei Diffusion Tensor Imaging (DTI) wiederum kann mit derartigen Verfahren die Bildqualität erhöht werden – die räumliche Auflösung von 2,5 auf 1,25 Millimeter, die Zahl der Gradientenrichtungen von 15 auf 90. „Bildumwandlung mittels Deep-Learning-Methoden ist ein vielversprechendes Feld“, betont Seo: Damit könnte unter anderem die Problematik der mangelnden Einheitlichkeit von Daten bei Multicenter-Studien gelöst werden.

„Die KI-assistierte Segmentierung von Läsionen und Organen kann heutzutage bereits vollautomatisch durchgeführt werden“, weiß der südkoreanische Radiologe. Das gilt zum Beispiel für die Segmentierung der Organe bei Abdominal-CTs oder für die detaillierte Darstellung der Atemwege in Thorax-CTs. „Mit Deep-Learning-Methoden lassen sich die inneren Organe genauso gut darstellen wie durch manuelle Bearbeitung – allerdings braucht der Computer zwei Minuten, während der Radiologe zwei Stunden daran sitzt“, sagt Seo. KI bringt also eine deutliche Reduktion der Dauer und des Aufwandes. „Wenn wir das in die klinische Routine einführen, beginnt eine neue Ära“, schwärmt er.

Das gleiche gilt für die Detektion und Klassifikation von Läsionen: Bei der Detektion von Lungenknoten mit CT liefert Künstliche Intelligenz heutzutage erstklassige Ergebnisse. Auch dies könnte in die klinische Anwendung überführt werden, meint Seo: Noch vor dem Radiologen könnte der Computer Scans nach Auffälligkeiten absuchen und dem Arzt automatisch zur genaueren Überprüfung vorschlagen.

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Freilich seien der Künstlichen Intelligenz derzeit noch Grenzen gesetzt, betont Seo: Da gehe es um politische und rechtliche Einschränkungen betreffend den Datenschutz und die kommerzielle Verwendung, aber auch um technische Fragen. Vor allem aber bereitet es vielen Radiologen Kopfzerbrechen, dass es sich bei jedem Deep-Learning-System um eine „Black Box“ handelt. „Wir können nicht sagen, wie das System zu seinen Ergebnissen kommt“, formuliert Seo dieses Bedenken.

Noch basieren alle auf KI-Anwendungen in der Bildgebung auf überwachten Lernverfahren, das heißt es ist noch immer ein Input von menschlichen Spezialisten notwendig. Daher stellt sich die Frage: Wer soll oder darf diese Systeme trainieren? „Bei der Detektion von diabetischer Retinopathie zum Beispiel sind die Unterschiede zwischen einzelnen Untersuchern sehr groß“, sagt Seo: Auch ein Deep-Learning-System sei von der Qualität der Lerndaten abhängig. „Künstliche Intelligenz wird den Radiologen nicht ablösen, sondern vielmehr dessen Rolle durch Verbesserung der Qualität, gesteigerte Effizienz und besseren klinischen Outcome stärken“, kehrt der südkoreanische Radiologe zur Ausgangsfrage zurück. KI ist demnach eine Hilfestellung und kein Ersatz für die Radiologen: „Man müsste eigentlich von erweiterter Intelligenz sprechen und nicht von künstlicher.“


Session: Joon Beom Seo: Artificial intelligence applications in radiology, ECR 2018

02.03.2018

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