
© wladimir1804 – stock.adobe.com
News • Von der Forschung in die Versorgung
Diabetes-Subtypen: Ungenutztes Potential für Therapie und Prävention
Aktuell leben mindestens 9,1 Millionen Menschen hierzulande mit Diabetes mellitus, 95 Prozent davon mit Typ 2. Bis vor wenigen Jahren galt Typ-2-Diabetes als einheitliches Krankheitsbild.
Wissenschaftliche Erkenntnisse der letzten Jahre zeigen jedoch, dass es mehrere klinisch relevante Subtypen mit unterschiedlichem Risiko für Komplikationen gibt. Diese Einteilung hat konkrete Auswirkungen auf die Prävention und Therapie der Volkserkrankung. Je nach Subtyp benötigen Menschen mit Diabetes wahrscheinlich eine frühzeitige intensive Behandlung mit engmaschigen Kontrollterminen. Bei anderen könnte eine zurückhaltendere Strategie angemessener sein. Welche Konsequenzen diese Einteilung für Forschung, Behandlung und Versorgung hat, diskutieren Experten auf dem hybrid in Berlin und online stattfindenden Diabetes Kongress 2025. Kongresspräsident Professor Dr. Martin Heni stellt neueste Erkenntnisse zum Thema vor.
Dieser Artikel könnte Sie auch interessieren

Video • Paradigm shift
Diabetes has 5 subtypes, not 2, study suggests
A completely new classification of diabetes which also predicts the risk of serious complications and provides treatment suggestions. The major difference from today’s classification is that type 2 diabetes actually consists of several subgroups, the results indicate. “This is the first step towards personalised treatment of diabetes”, says physician and diabetes expert Leif Groop.
„Menschen mit Typ-2-Diabetes unterscheiden sich erheblich in ihrer Stoffwechsellage, Krankheitsdynamik und Komplikationsgefährdung“, erklärt Prof. Heni, Leiter der Sektion für Endokrinologie und Diabetologie am Universitätsklinikum Ulm. „Ein Teil der Patienten benötigt frühzeitig eine intensive Behandlung und engmaschige Therapiebegleitung, um Folgeerkrankungen und Komplikationen zu vermeiden. Andere profitieren möglicherweise eher von einer zurückhaltenden Strategie. Wir müssen die Therapie stärker am individuellen Krankheitsverlauf ausrichten, um so Schäden zu verhindern, bevor sie entstehen.“
Wissenschaftliche Arbeiten der letzten Jahre identifizieren 5 Subtypen des Diabetes, die sich anhand klinischer, immunologischer und metabolischer Merkmale voneinander unterscheiden.
- Beim Severe Autoimmune Diabetes (SAID) handelt es sich um eine autoimmun vermittelte Form des Diabetes mit starkem Insulinmangel, die klinisch dem klassischen Typ-1-Diabetes entspricht.
- Der Severe Insulin-Deficient Diabetes (SIDD) ist durch einen ausgeprägten Insulinmangel gekennzeichnet, allerdings ohne immunologische Merkmale. Diese Form geht mit einem hohen Risiko für diabetische Retinopathie einher.
- Menschen mit Severe Insulin-Resistant Diabetes (SIRD) weisen eine deutliche Insulinresistenz auf. Dieser Subtyp ist mit einem erhöhten Risiko für Nierenerkrankungen, Fettleber und Herz-Kreislauf-Komplikationen verbunden.
- Der Mild Obesity-related Diabetes (MOD) tritt häufig bei Menschen mit Adipositas auf und ist durch eine moderate metabolische Entgleisung charakterisiert. Das Risiko für Folgeerkrankungen ist im Vergleich zu anderen Subtypen geringer.
- Der fünfte Subtyp, Mild Age-related Diabetes (MARD), betrifft überwiegend ältere Menschen. Hier steht eine nur leicht ausgeprägte Stoffwechselstörung im Vordergrund, mit einem insgesamt niedrigen Komplikationsrisiko.
Diese differenzierte Klassifikation bietet neue Perspektiven für eine gezieltere Diagnostik und individuell angepasste Therapie.
Wir stehen hier noch am Anfang einer differenzierten Versorgung. Umso wichtiger ist es, dass wir Forschung, klinische Praxis und Versorgungsperspektiven eng miteinander verzahnen
Martin Heni
Ein Instrument zur besseren Unterscheidung dieser Krankheitsformen ist das sogenannte C-Peptid. Es erlaubt Rückschlüsse auf die körpereigene Insulinproduktion, da es im Gegensatz zum Insulin nicht in der Leber abgebaut wird. Besonders hilfreich ist die C-Peptid-Glukose-Ratio, die zunehmend als einfaches diagnostisches Hilfsmittel genutzt wird. Sie unterstützt unter anderem bei der Abgrenzung zwischen Typ-1- und Typ-2-Diabetes und hilft, einen absoluten Insulinmangel zu erkennen – mit unmittelbaren Konsequenzen für die Therapiewahl.
Die derzeit verfügbaren Erkenntnisse zu den Subtypen sind vielversprechend für eine individualisierte Behandlung. Für eine Umsetzung in die Leitlinien fehlen jedoch bislang Ergebnisse aus prospektiven randomisierten Studien. „Wir stehen hier noch am Anfang einer differenzierten Versorgung“, sagt Heni. „Umso wichtiger ist es, dass wir Forschung, klinische Praxis und Versorgungsperspektiven eng miteinander verzahnen.“ Das gelte besonders für die schweren Formen des Typ 2 Diabetes, die eine große Herausforderung in der medizinischen Praxis darstellen, betont der Kongresspräsident: „Ein Symposium stellt verschiedene Untertypen und Risikogruppen des Typ-2-Diabetes in den Mittelpunkt, die besonders stark betroffen sind. Dabei diskutieren wir unter anderem die besondere Gefährdung junger Patienten als Hochrisikogruppe.“
Quelle: Deutsche Diabetes Gesellschaft
02.06.2025