Den Tiger zähmen

Die Deutsche Röntgengesellschaft macht den Dompteur in der Debatte um das Lungenkrebsscreening

Rauchen kann tödlich sein. Trotz dieser Erkenntnis sterben immer noch ein Fünftel aller Krebspatienten in Deutschland an den Folgen ihres Tabakkonsums. Neueste Erkenntnisse aus der groß angelegten amerikanischen NLST-Studie zur Lungenkrebsmortalität geben den Rauchern jetzt unerwartet Rückenwind: Durch gezielte Früherkennung mit Niedrigdosis-CT reduziert sich die Sterblichkeitsrate durch das Ziehen am Glimmstengel um 20 Prozent.

Photo: Den Tiger zähmen

Die Deutsche Röntgengesellschaft befürchtet nunmehr einen Ansturm auf Radiologische Praxen von asymptomatischen Patienten, die eine CT-Untersuchung ihrer Lunge wünschen und bemüht sich jetzt um Schadensbegrenzung. Die Arbeitsgruppe Thoraxdiagnostik der DRG hat dieser Tage alle Hände voll zu tun. Gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin wurde eine Stellungnahme zur Lungenkrebsfrüherkennung mit Niedrigdosis-CT formuliert, die eine sinnvolle Überführung der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse in die medizinische Praxis ermöglichen soll. Prof. Dr. Dr. Reinhard Loose, Chefarzt am Institut für Radiologie am Klinikum Nürnberg Nord, und Mitglied der AG Thoraxdiagnostik erklärt, welche Crux sich hinter der aktuellen Diskussion verbirgt, und wie die Situation unter Kontrolle zu bringen ist.

Prof. Loose, was genau steckt hinter der NLST-Studie?

Prof. Loose: Der „National Lung Screening Trial“ des National Cancer Instituts der USA wurde im November 2010 publiziert und ist die größte prospektive, randomisierte multizentrische Studie zur Vorsorge des Bronchialkarzinoms, die bisher initiiert wurde. Von April 2004 an wurden 53.500 Patienten zwischen 55 und 74 Jahren, die einen Nikotinkonsum von mindestens 30 Packungsjahren aufwiesen – das entspricht 30 Jahre lang je eine Packung Zigaretten pro Tag oder 10 Jahre lang 3 Packungen pro Tag – radiologisch untersucht. Die eine Hälfte der Probanden wurde lediglich geröntgt, die andere Hälfte bekam ein Thorax-CT mit niedriger Dosis. Die Studie wurde dann vorzeitig abgebrochen, weil sich herausstellte, dass die CT-Gruppe eine Mortalitätsreduktion von etwa 20 Prozent zeigte. Das heißt, dass die Computertomographie bereits sehr frühe Stadien von Lungenkrebs erkennt. Die Sensitivität des CT liegt mit 24 Prozent gegenüber 7 Prozent beim Röntgenthorax ungleich höher.

Welche Auswirkungen hat diese Erkenntnis?

Prof. Loose: Zunächst einmal könnte dies bedeuten, dass nun viele Raucher zu ihrem Radiologen gehen und nach einem Lungen-CT verlangen. Das stellt uns vor ein großes Problem, denn es gibt in Deutschland z.Zt. nur eine juristisch akzeptierte Vorsorgeuntersuchung und das ist das Mammographiescreening zur Früherkennung von Brustkrebs. Es stellt sich daher die Frage: Ist das erhöhte Bronchialkarzinomrisiko im Vergleich zum Strahlenrisiko eine Rechtfertigung, um Patienten mittels Computertomographie zu untersuchen? Normalerweise darf Röntgenstrahlung in der medizinischen Heilkunde nur dann zum Einsatz kommen, wenn ein Krankheitsverdacht vorliegt. Jetzt würden wir aber gesunde Personen untersuchen.

Im Gegensatz zu Brustkrebspatientinnen sind Lungenkrebspatienten jedoch meist nicht ganz unschuldig an ihrer Erkrankung …

Prof. Loose: Richtig. Das könnte ein wichtiges Argument der Krankenkassen werden, um die Kosten für ein Thorax-CT nicht zu übernehmen. Damit würde die Untersuchung zu einer IGel-Leistung werden, die die Patienten aus eigener Tasche bezahlen. Dazu gibt es übrigens eine interessante Erkenntnis aus dem Deutschen Krebsforschungszentrum: Das DKFZ hat herausgefunden, dass, investierte man dasselbe Geld, das eine Vorsorge-CT der Lunge kostet in ein Rauchentwöhnungsprogramm, wäre dies insgesamt kostengünstiger und vor allem effektiver für den Rückgang von Bronchialkarzinomen.

Es fehlt also eine gesetzliche Grundlage. Darf der Radiologe denn überhaupt ein Vorsorge-CT der Lunge durchführen?

Prof. Loose: Wenn der Patient keinerlei Beschwerden hat, nein, dann macht er sich strafbar. Allerdings bewegen wir uns hier in einer Grauzone auf deren Basis viele Vorsorgeuntersuchungen wie z.B. die virtuelle Koloskopie beim Kolonkarzinom heute praktiziert werden: Wer kann schließlich sagen, ob ein Patient wirklich Beschwerden hat oder nicht? Unsere Sorge ist deshalb eher, dass einige Ärzte hier ein lukratives Geschäft wittern.

Wie lässt sich von Seiten der DRG gegensteuern?

Prof. Loose: Unabhängig von der Frage, wer die Kosten für diese Leistung letztendlich übernehmen wird – Patient oder Krankenkasse – wollen wir grundsätzlich erst einmal durchsetzen, dass das Vorsorge-CT nur unter sehr strengen Qualitätskriterien stattfindet. Das heißt, die Untersuchung soll zum einen an onkologisch zertifizierten Lungenfachkliniken durchgeführt werden und zum anderen unter exakt standardisierten Studienbedingungen, damit die Daten für wissenschaftliche Zwecke auch nutzbar sind. Deshalb wird am 20. Oktober ein Expertentreffen in Neuherberg stattfinden, bei dem Ärzte, das Bundesamt für Strahlenschutz und die Strahlenschutzkommission gemeinsam darüber diskutieren werden, wie sich die Lungenkrebs-Früherkennung in kontrollierte Bahnen lenken lässt und der Tiger damit gezähmt werden kann.

Prof. Loose, vielen Dank für das Gespräch.

 

Bildquelle: pixelio.de/Günter Havlena

12.10.2011

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