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Artikel • National Lung Screening Test

Das Lungen- und Bronchialscreening

Umstritten, spannend und besser als sein Ruf

Seither wird dessen Einführung auch in Europa diskutiert. Ein ausgewiesener Kenner der Studiendaten und Sachlage ist Prof. Dr. Christian Herold, Leiter der Universitätsklinik für Radiologie und Nuklearmedizin an der Medizinischen Universität Wien.

Herr Prof. Herold, warum widmen Sie dem Thema Lungenscreening so große Aufmerksamkeit?

Nach der Veröffentlichung der NLST-Studie werden die Stimmen vor allem aus der Radiologie und Pulmologie lauter, das Lungenscreening ehebaldigst auch in Europa einzuführen. Die Datenlage hierzu scheint günstig, allerdings sind die Vorbereitungen für die Einführung einer Reihenuntersuchung, – wie wir beim Mamma-Screening, das in Österreich gerade flächendeckend eingeführt wird – sehr schön beobachten können, sehr lange und aufwändig. Ich beschäftige mich deshalb so intensiv mit den aktuellen Forschungsergebnissen und der monatlich aktualisierten Datenlage, um falsche Rückschlüsse und überstürzte Entscheidungen zu vermeiden.

Immer geht es um die amerikanische NLST-Studie. Haben die Europäer keine eigenen Studienergebnisse zu diesem Thema?

In Europa gibt es einige wenige prospektive Screening Studien, so beispielsweise in Italien (MILD, ITALUNG, DANTE), in Dänemark (DLCST) und den Niederlanden (NELSON). Diese Studien sind deutlich kleiner als die NLST, haben eine heterogenere Studienpopulation und schließen eine jüngere Risikopopulation ein. Deshalb wird die Studien- und Datenqualität von unabhängigen Zentren als weniger aussagekräftig im Vergleich zur NLST bewertet. In Großbritannien wird bald ein weiteres großes Screening-Vorhaben mit einem sehr interessanten Design und einer großen Population starten, entsprechende Daten sind allerdings nicht vor 2020 zu erwarten. Daher beziehen wir uns als Grundlage für unsere Argumentation immer auf die NLST-Studie, weil sie die weltweit größte und qualitativ beste ist.

Welche Tücken gibt es bei der Einführung des Lungenscreenings?

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Prof. Dr. Christian Herold ist Leiter der Universitätsklinik für Radiologie und Nuklearmedizin an der Medizinischen Universität Wien.

Ein wichtiger und für den Erfolg ausschlaggebender Punkt ist die Definition der zu screenenden Population. In der NLST-Studie wurden nur starke Raucher und Ex-Raucher zwischen 55 und 74 Jahren eingeschlossen, bei den Studien in Europa hat man hingegen auch jüngere Menschen mit geringerer Raucher-Anamnese gescreent. Deshalb sind die Daten in Europa auch nicht so aussagekräftig und zeigten keine signifikante Risikoreduktion. In der amerikanischen Studie konnte durch das Screening eine Senkung der Mortalität bei starken Rauchern um 20 Prozent erreicht werden. Für das erfolgreiche Setting einer Studie ist es folglich sehr wichtig, eine möglichst starke Einengung der Risikopopulation vorzunehmen. In einer Risikostratifizierung der NLST Daten und in der West-Roybury-Studie, die beide kürzlich im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurden, hat sich gezeigt, dass das Risiko zur Entwicklung einer Bronchialkarzinoms mit der Stärke des Nikotinabusus und auch mit dem Vorliegen einer pulmonalen Komorbidität steigt, was für die zielsichere Planung von Screeningprogrammen wichtig ist.

Wie wichtig ist die Strahlenexposition in der Diskussion um das Screening?

Natürlich spielt die Strahlenexposition in der Diskussion um Vor- und Nachteile des Lungenkarzinom-Screenings und in der Bewertung der Ergebnisse eine beträchtliche Rolle. Aus den derzeitigen Risikomodellen zur Entwicklung eines strahleninduzierten Karzinoms und aus der Tatsache, dass Raucher strahlen-sensibler sind als Nichtraucher, lässt sich ableiten, dass die Mortalitätssenkung durch Bronchialkarzinom Screening mindestens 3% betragen müsste, um den potentiellen negativen Effekt durch wiederholte Niedrigdosis CT-Untersuchungen zu balancieren. Tatsächlich hat nun die NLST eine Mortalitätsreduktion um 20% für die gescreente Population errechnet, so dass der Benefit des Screenings den potentiellen Nachteil durch die wiederholte Strahlenapplikation bei weitem übersteigen dürfte. Vermutlich aus diesem Grund spielt zumindest in Österreich die Strahlenexposition in der Berichterstattung über die Ergebnisse der NLST keine wesentliche Rolle. Für die Zukunft wird aller Wahrscheinlichkeit nach durch die Weiterentwicklung der Technik das Bronchialkarzinom Screening mit neuerlich reduzierten CT-Dosen möglich sein.

Zu viele falsch positive Befunde waren auch ein Ergebnis der Studie. Wie kann diese Belastung sowohl für Patienten als auch für die Solidargemeinschaft gemindert werden?

In jedem Fall ist die Anzahl invasiver diagnostischer Eingriffe zur Abklärung der Dignität der gefundenen Herde so klein wie möglich zu halten.

Christian Herold

Wollen wir Screeningverfahren etablieren, sollte das im Rahmen eines regionalen oder nationalen systematischen Programms geschehen. Derartige Programme müssen die hochqualitative und qualitätsgesicherte Durchführung, die Expertise der beteiligten Spezialisten aus verschiedenen Fachrichtungen, die Einhaltung von Richtlinien und die systematische Auswertung der Daten in geeigneten Zentren gewährleisten. Es ist also Kompetenz und Infrastruktur dringend gefragt, nicht nur, um Frühstadien von Bronchialkarzinomen richtig zu erkennen, sondern um die hohe Zahl von falsch-positiven Befunden, die ein Problem jeglicher Screeningstudie darstellen, adäquat zu managen. Aus der bisherigen Erfahrung weiß man, dass die überwiegende Mehrzahl dieser zufällig gefundenen falsch-positiven Herde, die durch benigne Veränderungen verursacht werden, durch nichtinvasive bildgebende Verfahren abgeklärt werden können. Hier ist das Wissen um das biologische Verhalten von benignen und malignen Herden wichtig, sowohl um bildgebende Verfahren adäquat einzusetzen, als auch um den Intervallzeitraum bis zur nächsten Kontrolluntersuchung optimal zu planen. Je kleiner und je weniger dicht zufällig gefundene Herde sind, desto geringer ist die Chance, dass sie maligne Veränderungen repräsentieren und desto langsamer, wenn überhaupt, wachsen sie. In jedem Fall ist die Anzahl invasiver diagnostischer Eingriffe zur Abklärung der Dignität der gefundenen Herde so klein wie möglich zu halten.

Welchen Einfluss hat die Wahl der Diagnostik auf die Befunde und den Verlauf beim Patienten?

Ein Ergebnis der amerikanischen Studie ist auch die Erkenntnis, dass die Zahl der Komplikationen mit der Invasivität der Abklärungsmaßnahmen steigt. Die Komplikationsrate im Rahmen der Diagnostik lag in der NLST bei 3,3 Prozent, war aber fast exklusiv den invasiven diagnostischen Maßnahmen wie Biopsien und videoassistierten endoskopischen Eingriffen vorbehalten. Bei kleineren Herden reicht daher die Bildgebung, ein PET/CT zur Untersuchung des Glukosemetabolismus empfiehlt sich ab einer Tumorgröße von 8 mm.

Wie beurteilen Sie abschließend die Chancen für ein Lungenscreening?

Dank der NLST-Daten konnte zum ersten Mal der positive Effekt des Lungenscreenings nachgewiesen werden. Bei der Hochrisikopopulation gibt es eine klare Indikation für das Screening. Nun müssen Gesellschaft und Politik entscheiden, ob ein Lungenscreening eingeführt werden soll oder nicht. Diskussionen um die „Überdiagnose“(over diagnosis) werden überwiegend von Epidemiologen geführt – nach meiner Ansicht etwas einseitig. Eine neue Studie aus Japan zeigt nämlich, dass eine gewisse Anzahl kleinster Herde im Verlauf von Jahren zu bösartigen und inkurablen Karzinomen heranwächst. Die meisten großen amerikanischen Gesellschaften empfehlen heute ein Lungenscreening, wie auch die US Präventive Service Task Force, die sich systematisch und intensiv mit dem Thema beschäftigt hat. Sie hat gerade ihre Empfehlungen aktualisiert und spricht sich klar für das Screening als Methode zur Reduzierung der Mortalität beim Bronchialkarzinom aus.


Profil:

Prof. Dr. Christian J. Herold ist Vorstand der Universitätsklinik für Radiologie und Nuklearmedizin und Direktor für Internationale Angelegenheiten der Medizinischen Universität Wien. Er ist zudem Fakultätsmitglied der Radiologischen Abteilung der Johns Hopkins Medical Institutions in Baltimore/ USA. Von 2009 bis 2010 stand Herold der Europäischen Gesellschaft für Radiologie (ESR) als Präsident vor, nachdem er drei Jahre zuvor bereits als Kongresspräsident des ECR fungierte. Zu seinen herausragenden Auszeichnungen zählen der Hounsfield Award und die Ehrenmitgliedschaft in der nordamerikanischen, französischen, argentinischen und ungarischen Gesellschaft für Radiologie.
 

25.01.2014

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