Dem Hirntumor auf der Spur
Fragestellungen in der Neuroonkologie richtig begegnen
In gewisser Hinsicht grenzt die Diagnostik des Hirntumors an Detektivarbeit: Ermittlung, Recherche, Observation – und immer wieder die richtigen Fragen zum richtigen Zeitpunkt stellen! Liegt wirklich ein Hirntumor vor oder doch nicht? Wo liegt die Läsion im Hirngewebe genau? Wie groß ist sie? Wie aggressiv? Macht sie Komplikationen?
Derjenige, der all diese brennenden Fragen möglichst präzise beantworten soll, ist der Radiologe. Von der Erstdiagnose bis zur Nachsorge-Untersuchung verlassen sich klinische Partner auf sein Urteil und richten ggf. ihr Therapieregime danach aus.
Denn nicht nur aufgrund radiologischer Differentialdiagnose und Gradings werden Behandlungsentscheidungen getroffen, auch die darauffolgende Therapieplanung (Operation, Strahlentherapie und Chemotherapie) basiert in der modernen Hirntumormedizin auf bildgestützten Methoden. „Das Problem ist, dass ein Großteil der onkologischen Fragen durch Standard-Protokolle nicht adäquat beantwortet werden können“, weiß Prof. Dr. Marco Essig, Oberarzt der Abteilung Radiologie, Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ) Heidelberg. „Moderne funktionelle MRT-Verfahren können jedoch helfen, sehr viel differenziertere Aussagen über den Charakter des Tumors zu treffen.
MR-Perfusionsbildgebung
Die Perfusionsmessung gehört dabei zu den funktionellen Techniken, die eigentlich immer einen zusätzlichen Mehrwert bei der Typisierung des Tumors bedeuten. Denn während es morphologisch oftmals nicht möglich ist, zwischen höher- und niedriggradigen primären Hirntumoren zu unterscheiden, lässt sich anhand des Durchblutungsverhaltens im Gewebe ein zuverlässigeres Grading durchführen. „Weil Tumoren heterogen sind und an verschiedenen Stellen unterschiedlich stark durchblutet sein können, leistet die Perfusions-MRT darüber hinaus besondere Hilfestellung bei der Biopsieplanung“, betont Prof. Essig. „Das heißt, mithilfe verschiedener Perfusionsmessungsverfahren wie z.B. der T2* gewichteten-Kontrastmitteldynamik lässt sich die malignste Stelle im Tumor präzise identifizieren, so dass eine gezielte Biopsie möglich ist. Im Rahmen von Studien wurde die hohe Übereinstimmung zwischen Perfusionsbildgebung und Histologie bereits bewiesen.“ Prof. Essig wird hierzu in Garmisch einige Untersuchungsergebnisse aus dem DKFZ präsentieren.
Magnetresonanzspektroskopie und Hochfeld-Bildgebung
Eine weitere wichtige funktionelle Methode ist die MR-Spektroskopie, die praktisch einen metabolischen Fingerabdruck des Tumors erstellt. Dazu werden die charakteristischen Verteilungsmuster der Metaboliten im Gehirn gemessen. Verschiebungen in der biochemischen Stoffwechselkonzentration im Gewebe geben Aufschluss darüber, ob ein Tumor vorliegt und wenn ja, wie biologisch aktiv bzw. wie aggressiv er ist. „Neben der Primärdiagnostik stellt die therapeutische Verlaufsbeurteilung ein zentrales Einsatzgebiet der MR-Spektroskopie dar, um zwischen therapiebedingten und tumorbedingten Veränderungen zu differenzieren“, ergänzt Essig. „Denn moderne kombinierte Therapiekonzepte können zwar schonender für das Normalgewebe sein, greifen den Tumor aber sehr viel stärker an. Diese effektive lokale Therapie führt häufiger zu dem Tumor sehr ähnlichen, und von einem Tumorrezidiv schwer zu unterscheidenden, therapiebedingten Nebenwirkungen wie beispielsweise Schwellungen, Mikroeinblutungen oder pathologische Kontrastmittelanreicherungen.“
Bei der klinischen Anwendung funktioneller Bildgebungsverfahren bringen die hohen Feldstärken moderner MR-Geräte-Technologie große Vorteile, weiß Essig: „Wenn wir von 1,5 auf 3 Tesla oder auch 7 Tesla gehen, dann kann ich das verstärkte Signal in kürzere Messzeiten oder bessere räumliche Auflösung investieren. Wenn es um die Morphologie geht, ist die hohe Auflösung von Bedeutung; bei den funktionellen Verfahren dagegen möchte man häufig von der kürzeren Untersuchungszeit profitieren, beispielsweise bei der ansonsten sehr zeitintensiven MR-Spektroskopie.“
Die Zukunft der Diffusionsbildgebung
Aufregende neue Ansätze bei den funktionellen MRT-Verfahren verspricht die Diffusionsbildgebung. Diese findet sowohl in der Tumor- als auch beispielsweise in der Schlaganfalldiagnostik bereits breite Anwendung. Neu ist allerdings, dass Forscher versuchen, keine Zelldichten, sondern Infiltrationsmuster mit der Diffusionsbildgebung zu erkennen, um Aussagen darüber treffen zu können, in welche Richtung der Tumor wachsen wird. Untersuchungen an verstorbenen Hirntumor-Patienten haben gezeigt, dass auch in vom Tumor weit entfernten Arealen, Tumorzellen nachweisbar sind, die sich in der Bildgebung völlig unauffällig zeigen. Erste experimentelle Studien zu diesem Thema laufen bereits.
Wenn es um die klinische Routine in der Hirntumordiagnostik geht, so liegt Prof. Essig ein Aspekt besonders am Herzen: Die enge Diskussion mit den klinischen Partnern. „Kommunikation ist das A und O. Besonders in der funktionellen Bildgebung besteht ein großer Interpretationsbedarf der Bilddaten mit Ärzten aus anderen Fachbereichen. Denn häufig fordern die nicht-radiologischen Kollegen Informationen an, die bereits in unseren Ergebnissen drin stecken, wir müssen ihnen diese nur herausarbeiten, interpretieren und präsentieren. Zum anderen ist natürlich im Gegenzug für unsere Arbeit das Feedback der Neurochirurgen und Neurologen, die den Therapieverlauf des Patienten sehen, unerlässlich. Gerade in der Onkologie investieren wir viel Zeit in jeden einzelnen Fall, bevor wir den ersten therapeutischen Schritt tun. Denn je besser die primäre Therapie, desto erfolgreicher ist das gesamte Behandlungskonzept.“
Im Profil
Prof. Dr. Marco Essig wurde 1967 in Karlsruhe geboren. Seine Mediziner-Laufbahn ist stark mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg verbunden: Bereits 1994 begann er hier als Assistenzarzt in der Abteilung Radiologische Diagnostik und Therapie. Nach Aufenthalten in den USA und an der Universitätsklinik Heidelberg arbeitet der Radiologe und Neuroradiologe seit 2001 als Oberarzt in der Abteilung Radiologie des DKFZ Heidelberg, wo er auch die Leitung der Arbeitsgruppen Magnetresonanztomographie und Neuroimaging inne hat. Essig lehrte als Gastprofessor unter anderem an der Universität von Kalifornien, in San Diego, der Harvard Medical School und der Temple University in USA, und der Universität Leiden, Niederlande.
Prof. Essig ist Gutachter für zahlreiche deutsch- und englischsprachige Fachzeitschriften und sitzt im Herausgebergremium des Radiologen, der Zeitschriften Investigative Radiology, dem Polish Journal of Radiology und Insights into Imaging. Für die Zeitschrift Journal of Magnetic Resonance Imaging (JMRI) ist er als Associate Editor für den Bereich Neuroimaging verantwortlich.
18.01.2011