Neuroradiologie 2020: Dem Hirn beim Denken zugucken

Wie wird die neuroradiologische Bildgebung des Zentralnervensystems im Jahr 2020 aussehen? Für RöKo Heute wirft Prof. Dr. Olav Jansen, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Neuroradiologie (DGNR), einen Blick in die Zukunft und nennt die wichtigsten technischen Fortschritte, die zu erwarten sind.

Prof. Dr. Olav Jansen
Prof. Dr. Olav Jansen

Von noch größerer Bedeutung freilich könnten einschneidende Neuerungen bei der Schlaganfallbehandlung sein.

„Die wesentlichen Fokussierungen im bilddiagnostischen Bereich liegen ganz klar in der Magnetresonanztomografie“, erklärt Jansen. Er erwartet, dass bis zum Ende des Jahrzehnts molekulare Bildgebungsverfahren in die klinische Anwendung kommen, bei denen nicht nur die Morphologie, sondern auch Funktionen abgebildet werden können. Bislang blieben die Erforschung physiologischer Prozesse und die Diagnose von Krankheiten auf molekularer Ebene ja auf Experimente im Tierlabor beschränkt.

„Letztendlich geht es darum, dem Hirn nicht nur beim Denken zuzugucken und die Morphologie abzubilden, sondern auch die Funktion des Hirnes mehr und mehr abzubilden“, bekräftigt Jansen.
Zwei unterschiedliche Wege führen hin zur molekularen Bildgebung, erläutert der DGNR-Präsident. Der eine bestehe in der Steigerung der Auflösung. „Ich glaube, dass die 7-Tesla Bildgebung – zumindest was das ZNS angeht – innerhalb der nächsten Dekade in die klinische Anwendung hinein kommen kann“, sagt der Direktor des Instituts für Neuroradiologie am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Kiel.

Der andere Weg besteht in der Entwicklung neuer bildgebender Verfahren. Eine Möglichkeit ist die Magnetpartikelbildgebung, das sog. magnetic particle imaging. Dabei werden mittels Magnettomografen dynamische Prozesse im Körper abgebildet ohne Strahlenbelastung für Patienten und Untersucher. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat bereits im Vorjahr einen umfassenden Förderverbund mit dem Titel MAPIT (Magnetic Particle Imaging Technology) ins Leben gerufen, um die Entwicklung dieses Verfahrens voranzutreiben. Ein andere Möglichkeit sind hybride bildgebende Verfahren wie PET/CT und MRT/PET, also die Kombination von Computertomografie bzw. Magnetresonanztomografie und Positronenemissionstomografie.

Große Veränderungen erwartet Jansen auch bei der Behandlung von akuten Schlaganfällen. „Ich sehe für die nächste Dekade die Verschmelzung von Angiografie und Computertomografie, also die Verbindung von primärer Hirnbildgebung und Therapie in einem Gerät.“ Dies werde teilweise schon gemacht, aber noch nicht in einer Bildqualität, die das Hirngewebe in ausreichendem Maße darstellt und die Hirnperfusionsmessungen ermöglicht. Derzeit wird bei Patienten, die nach einem Schlaganfall ins Krankenhaus eingeliefert werden, zuerst eine Computertomografie durchgeführt. Entscheidet sich der Behandler dafür, das verschlossene Gefäß mittels Angiografie zu rekanalisieren, so wird der Patient in einen anderen Raum geschoben, in dem dann der Eingriff durchgeführt wird. Künftig könnten Computertomografie und Angiografie unter einem Gerät durchgeführt werden. „Diagnostik und Therapie auf demselben Tisch könnten locker eine Stunde Zeitersparnis bringen – und wir wissen ja: ,time is brain‘.“

Die Volkskrankheit Schlaganfall wird zunehmend endovaskulär therapiert. „In den letzten zwei Jahren ist die Entwicklung ganz klar in die Richtung gegangen, dass die schweren Schlaganfälle nicht mehr vom Neurologen, sondern vom Neuroradiologen therapiert werden. Mit den Katheter-Behandlungen werden erheblich bessere klinischen Ergebnisse erzielt als mit der systemischen Lyse“, unterstreicht Jansen. Denn ab einer Größe von acht Millimetern funktioniert die Thrombolyse nicht mehr. Studienergebnisse zeigen, dass bei schweren Schlaganfällen die angiografische Neurothrombektomie in bis zu 60 Prozent der Fälle zu einem guten klinischen Ergebnis führt, eine Behandlung mittels Thrombolyse nur in 20 bis 25 Prozent. „Das ist eine dramatische Verbesserung“, betont der Neuroradiologe. Die schweren Schlaganfälle machen 15 Prozent aller Schlaganfälle aus, betroffen sind also jährlich rund 25.000 Patienten in Deutschland.

„Die große sozialmedizinische Herausforderung wird es sein, Strukturen zu schaffen, die allen Patienten mit schwerem Schlaganfall diese Therapie flächendeckend in Deutschland ermöglicht“, verweist Jansen auf eine Konsequenz dieser Zahlen. Man werde sich wohl vom Konzept lokaler Stroke Units, die alle Patienten mit Schlaganfall behandeln können, verabschieden müssen. In Zukunft werde es sogenannte Schlaganfallnetze geben mit einem neurovaskulären Zentrum im Mittelpunkt, das die endovaskuläre Therapie rund um die Uhr anbiete. Der damit verbundene Transport von Akutpatienten sei deshalb ein kleineres Problem, weil das Zeitfenster, innerhalb dessen eine Therapie durchgeführt werden muss, größer ist als bei der Thrombolyse, die ja spätestens viereinhalb Stunden nach dem Schlaganfall einsetzen muss. Jansen: „Bei der Rekanalisation kann das Zeitfenster acht bis neun Stunden betragen – im Extremfall sogar 24 Stunden.“

 

Veranstaltungshinweis

Saal Peters
Do, 17.05., 08:00 - 08:30 Uhr
Behandlung der Carotis-Stenose – Stand der SPACE-2-Studie
Jansen O / Kiel
Session: Neuroradiologie I – Intervention

 

 

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Im Profil

Der gebürtige Hamburger Prof. Dr. Olav Jansen war nach dem Studium in Göttingen und Lübeck und seiner Promotion Gastwissenschaftler in der Radiologie der Universitätsklinik San Diego in Kalifornien und in der Neuroradiologie der Universität Zürich.

Nach Stationen als Oberarzt an den Universitätskliniken in Lübeck und Heidelberg und seiner Habilitation „Zur Pathogenes des vasogenen Hirnödems“ wurde er 2000 zum C3-Professor und Leiter der Sektion Neuroradiologie der Christian-Albrechts-Universität Kiel berufen. Im Jahr 2008 erhielt er die W3-Professur des Lehrstuhls. Prof. Jansen ist Vorstandsmitglied der DRG und der DGNR
 

08.05.2012

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